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Das Bundesheer, mit dem man keine „Politik machen“ konnte...

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Nachdem die FURCHE in ihren bisher veröffentlichten Beiträgen zum März 1938 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu Wort kommen ließ, die mit dem Geschehen damals unmittelbar verstrickt waren, wenden wir uns jetzt historischen Detailproblemen zu. In diesem Beitrag werden militärische Aspekte durchleuchtet - genauer: die militärpolitische Lage Österreichs im Europa der Zwischenkriegszeit. Wie war die personelle und materielle Situation des österreichischen Bundesheeres? War sich die größtenteils deutsch denkende, aber antinationalsozialistisch eingestellte militärische Führung der drohenden Gefahr eines deutschen Einmarsches bewußt? Was für Pläne bestanden, um dieser Gefahr entgegenzuwirken? Der Autor dieses Berichts hat sich im Verlaufe einer Dissertation über die militärischen Abwehrmaßnahmen Österreichs gegen den Anschluß mit der Materie eingehend beschäftigt. In diesem Artikel skizziert er die militärpolitische Problematik.

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Nachdem die FURCHE in ihren bisher veröffentlichten Beiträgen zum März 1938 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu Wort kommen ließ, die mit dem Geschehen damals unmittelbar verstrickt waren, wenden wir uns jetzt historischen Detailproblemen zu. In diesem Beitrag werden militärische Aspekte durchleuchtet - genauer: die militärpolitische Lage Österreichs im Europa der Zwischenkriegszeit. Wie war die personelle und materielle Situation des österreichischen Bundesheeres? War sich die größtenteils deutsch denkende, aber antinationalsozialistisch eingestellte militärische Führung der drohenden Gefahr eines deutschen Einmarsches bewußt? Was für Pläne bestanden, um dieser Gefahr entgegenzuwirken? Der Autor dieses Berichts hat sich im Verlaufe einer Dissertation über die militärischen Abwehrmaßnahmen Österreichs gegen den Anschluß mit der Materie eingehend beschäftigt. In diesem Artikel skizziert er die militärpolitische Problematik.

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In die europäischen politischen Probleme der Zwischenkriegszeit war die Sicherheitspolitik der Ersten Republik Österreich unentrinnbar eingeflochten und dabei war die „österreichische Frage“ wahrlich nicht die einzige. Die den jeweiligen staatspolitischen Verträgen und Beschlüssen folgenden oder beabsichtigten neuen Kräfteverteilungen zeigten auf dem Gebiet der Militärpolitik die verschiedensten Spannungsfelder, in die Österreich auf Grund seiner geopoliti-schen und wirtschaftlichen Abhängigkeit direkt oder indirekt miteinbezogen war. Mit einigen Schlagworten sei an den Vertrag von Rapallo 1922, Locarno-Pakt 1925, Vertrag von Lausanne 1932, den Organisationspakt der Kleinen Entente 1933, Balkanpakt 1934, Konzepte für einen Donau- und einen Ostpakt, die „Stresa-Front“ 1935, den Beistandspakt der Sowjetunion mit Frankreich und der Tschechoslowakei 1935, das deutsch-britische Flottenabkommen 1935, das Angebot Hitlers vom März 1936, das deutsch-österreichische Juliabkommen 1936 und den Antikominternpakt 1936 erinnert.

Bei den jeweiligen Versuchen, ein Nahverhältnis in den deutsch-österreichischen Beziehungen (Länderplebiszite 1921 und angestrebter Zollunionsplan mit Deutschland 1931) herzustellen, war die Lage Österreichs brisant geworden. Den in einem „Frontdenken“ verharrenden verantwortlichen Politikern einer „Frontgeneration“ der verschiedenen Lager fehlte weitgehend die Bereitschaft, dauerhafte politische Lösungen zu finden.

Das österreichische Bundesheer, dessen Rahmen durch den Friedensvertrag von St. Germain-en-Laye eng und karg bemessen war, versuchte in Genügsamkeit Qualität zu erreichen, die Quantität schien unerreichbar. Nach einer anfänglichen Konsolidierungsphase, während der General Körner als Heeresinspektor verbittert ausschied, wurde bei weitem nicht die erlaubte Höchststärke von 30.000 Mann erreicht. Es blieb bei einem Berufsheer von 18,000 bis 22.000 Mann und einer äußerst bescheidenen materiellen und technischen Ausstattung, die aus Restbeständen der Wehrmacht der Monarchie bis in die dreißiger Jahre bestand. Das mit deutlichen Spuren einer Verpolitisierung unter Heeresminister Vaugoin und des von ihm geförderten „Wehrbundes“ behaftete Heer genügte knapp für sicherheitspolitische Aufgaben mit innenpolitischem Stellenwert.

Ende 1932 wurde dem Führer der ö sterreichischen Abrü stungsdelega-tion in Genf von französischer Seite vertraulich mitgeteilt, daß auf Grund der besonderen österreichischen Verhältnisse der französische Generalstab (dieser stand in enger Zusammenarbeit mit dem britischen War Office, den Generalstäben Belgiens und der Staaten der Kleinen Entente und verfügte über Verbindungen zum Generalstab Polens) einer Erhöhung des militärischen Effektivstandes des Bundesheeres zustimmen werde. Dieses Faktum allein veranschaulicht den geringen Spielraum autonom aktiver österreichischer Wehrpolitik, die stets Rücksicht auf die Politik der Nachbarländer zu nehmen hatte.

Besondere innenpolitische Verhältnisse schufen die Erfolge der Nationalsozialisten bei den Landtagswahlen

1932 in Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg. Im Vergleich zu den 111.683 Stimmen bei der Nationalratswahl 1930 gelang es den Nationalsozialisten, in diesen vier Bundesländern rund 340.000 Stimmen zu erreichen. Das waren deutliche Gefahrenzeichen für die Bundesregierung. In der Folge richtete sich das Bundesheer ideologisch immer mehr nach den Interessen der Bundesregierung Dr. Dollfuß aus, dadurch wurde seine Distanz zum Nationalsozialismus stark vergrößert.

Das 1933 und 1934 seitens des uneinheitlichen Lagers der Opposition - besonders der Nationalsozialisten - beinahe täglich geforderte Bundesheer, das mit Mühe seinen Ausbildungsplänen nachkommen konnte, wies zu den Stichtagen 1. Juli und 1. September

1933 einen verwendungsfähigen Einsatzstand von rund 12.500 beziehungsweise 9400 Mann auf. Eine geringe Verbesserung gelang in der Folge durch die Aufstellung des „Militärassistenzkorps“, zusammen mit

dem Bundesheer „Bewaffnete Macht“ genannt. Dennoch blieben viele Wünsche offen, als klar wurde, daß dem Bundesheer verstärkt Aufgaben einer außenpolitisch orientierten Landesverteidigung zukamen. Der noch getarnte Generalstab des Bundesheeres arbeitete in der Folge den damals möglichen Bedrohungsfällen angepaßte Abwehrmaßnahmen aus. Diese Pläne versprachen auch Aussicht auf Erfolg, solange der „große Bruder“ Italien oder eine andere Macht im Rücken Österreichs stand.

Entscheidender italienischer Einfluß und ungarisches Drängen beeinflußten in dieser Phase die österreichische Politik, die sich im Rahmen der „Römischen Protokolle“ (17. März 1934) zu bewegen hatte. In dieser Konstellation ist neben Italiens außenpolitisch verwerteter „Wacht am Brenner“, die deutscherseits als politische Demonstration und nicht als militärische Bedrohung gewertet wurde, ein geheimer Militärvertrag zwischen Italien, Ungarn und Österreich ausgearbeitet worden. Der Inhalt zielte auf die Ausgestaltung des Bundesheeres nach italienischem Vorbild ab, umfaßte Programme der Motorisierung, Mechanisierung, der Schaffung starker Luftstreitkräfte und der Bildung eines Heeres in Stärke von mehreren hunderttausend Mann. Der Vertrag war gekoppelt mit italienischen Rüstungskrediten, einem Industrialisierungs-

programm, einem umfassenden Ausbau der Kommunikationslinien und der Erschließung neuer Absatzmärkte. In erster Linie war er gegen Jugoslawien gerichtet, das integrierend zur Kleinen Entente gehörte. Für Österreich bestand dabei die Gefahr einer Teilung in eine italienische und tschechoslowakische Interessensphäre- für die wiederholt die Donau als mögliche Grenze in den Akten aufscheint. Dies vor allem dann, wenn das vereinte Militärpotential und die politische Konstellation eine schnelle Niederwerfung der Tschechoslowakei und Jugoslawiens durch Italien nicht erlaubt hätte.

Von diesem Militärvertrag, wie von den ab 1927 vom italienischen Generalstab ausgearbeiteten Einmarschplänen nach Österreich erlangte die emsige deutsche Abwehr Kenntnis und reagierte zunächst im Juli 1935 mit einem Öperationsplan im Sinne einer Vorfeldverteidigung der deutschen Südgrenze. Diese Aufmarsch- und Kampfanweisung für die „Kampfführung an der österreichischen Grenze“ stellte den ersten Operationsplan der deutschen Wehrmacht gegen Österreich als italienische Aufmarschbasis dar - lange noch vor dem (quasi aus dem Nichts kommenden) „Sonderfall Otto“. Der für ein deutsches Armeekorps ausgearbeitete Plan zielte darauf ab, den italienischen Streitkräften keine Entfaltung aus den Ausgängen der nördlichen Kalkalpen, möglichst

auch nicht aus dem Hauptalpenkamm und dem Raum Flachgau-Innviertel gegen Bayern zu gewähren. „Naturgemäß“ war der größte Teil Westösterreichs sowohl in den italienischen Plänen wie im deutschen Generalstabsplan als Besetzungszone vorgesehen. -Mit der deutsch-italienischen Verständigung entfiel Westösterreich, wie auch Südtirol, als deutsch-italienischer militärischer Konfliktstoff.

Der deutscherseits wiederholt propagandistisch verwerteten Gefahr einer Bolschewisierung in Osteuropa lag mehr als nur Propaganda zugrunde. Dies registrierten auch die betreffenden österreichischen Staatsstellen, hinter denen gleichsam als graue Eminenzen der Leiter der außenpolitischen Abteilung, Gesandter Th. Hornbostel, und in besonderer Verwendung der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, General Max Ronge, fungierten. Die Politik um Einfluß auf den Ostkarpatenraum, sowjetrussische Anstrengungen um militärische Durchmarschrechte durch Rumänien in die Slowakei und viele weitere diesbezügliche Indizien ergaben im Zusammenhang mit dem französisch-sowjetrussischen und dem tschechoslowakisch-russischen Beistandspakt - beide enthielten eine Reihe von militärischen Imponderabilien - neuerlich eine ernstzunehmende Bedrohungsmöglichkeit Mitteleuropas, dem die Abschüttelung des Kommunismus bereits früher gelungen war.

Nach einer Reihe legistischer, materieller und finanzieller Maßnahmen für Ausbau und Modernisierung des Bundesheeres setzte die Bundesregierung unter Bundeskanzler Dr. Schuschnigg, der schon im März 1935 von einer drohenden Kriegsgefahr gesprochen hatte, gegen Einwände des Vizekanzlers Starhemberg mit der Einführung der allgemeinen Bundesdienstpflicht am 1. April 1936 einen militärischen Akzent (am 1. Oktober 1936 rückten dementsprechend erstmals 15.000 Rekruten zum zwölfmonatigen Präsenzdienst ein), der eine Überarbeitung der operativen Defensivmaßnahmen gegen einen eventuellen deutschen Einmarsch (Fall DR) erforderte. Für die Einleitung und Ausarbeitung zeichnete vor allem der mit 1. Juni 1935 inoffiziell, mit 1. April 1936 offiziell zum Chef des Generalstabes ernannte

Feldmarschalleutnant Alfred Jansa verantwortlich. Das Wagnis Jansas, operativ in ein jahrelanges Vakuum militärischer Kriegsvorbereitungen hineinzustoßen und allen Ernstes der österreichischen Außenpolitik ein autonomeres exekutives Machtmittel zur Verfügung zu stellen, war abgestimmt auf den für die Entscheidungsfindung notwendigen Zeitgewinn der österreichischen Außenpolitik.

Zuerst behandelte Jansa die Erstellung der taktisch-organisatorischen Kriegsgliederung der Divisionen. Dafür sollten Erhöhung des Munitionsvorrates, des Standes an technischen und Tel-Geräten, Kraftfahrzeugen, Bekleidung und Ausrüstungsgegenständen, eine verstärkte Waffenbeschaffung (Jansa dachte an eine Rückgabe von 1000 ehemals österreichisch-ungarischen Beutegeschützen durch Italien, von denen letztlich nur 150 Geschütze dem Bundesheer zugeführt wurden) und die Erzeugung von Senfgas (Gelbkreuzkampfstoff, Lost) die Grundlage bilden. - Für den Einsatz Mitte März 1938 blieben die Probleme der schwachen Artilleriedotierung und der Panzerabwehr sowie die der Geringfügigkeit eigener Panzerkräfte (der von Jansa angestrebte Erwerb von Kampfpanzern wurde vom italienischen Chef des Generals tabes, Pariani, abgelehnt) ungelöst.

Die Bearbeitung der personellen Ergänzung des Bundesheeres auf einen Kriegsstand ist der zweite Bereich, der ebenfalls mit erheblichen Mehrkosten verbunden war. Die Aufbringung finanzieller Mittel führte dann auch zu Differenzen zwischen Jansa und Staatssekretär Zehner. Jansa dachte an eine Lösung mit Hilfe einer italienischen Rüstungsanleihe. Das Bundesheer verfügte schließlich nach dem Mobilmachungsplan 1938 über rund 60.000 Mann im aktiven Stand. Für eine Erhöhung des Einsatzstandes auf rund 125.000 Mann und der Aufstellung von 40.000 Mann Frontmiüz war Vorsorge getroffen. Der Gesamtstand entsprach also bei weitem nicht den im Frühjahr 1938 von Mussolini geforderten 250.000 Mann Mob-Stand, den der Duce für notwendig erachtete, um „Politik machen“ zu können.

Den dritten Bereich bildeten die operativen Detailstudien, die in Annahme eines deutschen Hauptstoßes auf Wien auf einer Geländeverstärkung durch Sperr- und Sprengobjekte und Ausbau von Landesbefestigungen beruhten. In einer etwa 50 Kilometer tiefen Grenzzone in Oberösterreich sollte durch den dort kämpfenden und von einer Division verstärkten Grenzschutz eine gestaffelte Entwicklung der deutschen Angriffsformationen erreicht werden. Diese sollten dann kulminierend in einer Abwehrschlacht an der Traun-Enns-Linie südlich Linz von der Hauptmasse des Bundesheeres gestellt werden und den für die Außenpolitik und für eine Entwicklung italienischer Streitkräfte in Westösterreich, das nur durch eine österreichische Division abgedeckt war, entscheidenden Zeitgewinn erringen.

Der Anschluß kam für den „Fall DR“, dessen Endstadium für 1942 vorgesehen war, zu früh und die dafür notwendig gewesene ausländische Hilfe war angesichts der sich bereits abzeichnenden italienisch-britischen Verständigung vom 16. April 1938 nicht mehr zu erwarten. Die dennoch teilweise anlaufende Mobilmachung beziehungsweise die Aktivierung des Bundesheeres zeigt interessanterweise eine gewisse Kombination mit dem „Fall T“ (Tschechoslowakei), was auch Rückschlüsse auf eine Ausarbeitung einer militärischen Lösung in einem deutschen, jedoch nicht nationalsozialistischen Sinn zuläßt.

Resümierend sei festgestellt, daß in der Endphase der Ersten Republik die Regierungsentscheidungen nicht mehr zufriedenstellend kooperativ und parallel mit denen der Heeresführung liefen und beiderseitiges vorsichtiges Mißtrauen die militärische Inef-fektivität verstärkten. Nach außen hin blieb der durchgeführte, wenn auch mit Mängeln behaftete deutsche Einmarsch als Operationsplan das Resultat gegen nur vereinzelt anlaufende Durchführungsmaßnahmen des Bundesheeres, dessen Abwehrplan eigentlich „operative Studien“ blieben.

Militärisch gesehen hatte das Bundesheer also gegen die einmarschierende deutsche 8. Armee in der geplanten Versammlung der Hauptmacht an der Traun keine reelle Chance.

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