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Das Chamäleon

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Argentinien ist das einzige Land Lateinamerikas, in dem bei völlig freien Wahlen am 23. September ein Präsident mit Sicherheit gewählt werden wird: Juan Domingo Perön. Mit ihrem immer wieder geschlagenen Kandidaten Dr. Ricardo Baibin nimmt auch die „Union Civica Radi-cal“ am Rennen teil und bestreitet — trotz der guten Beziehungen zu Perön —, daß „die Regierung ein sauberes Spiel treibe“. Für die „Ali-anza Populär Federalista“ kandidiert der kämpferische Francisco Manrique. Er nennt Perön einen Mann, „dessen Uhr nachgeht oder seit vielen Jahren stehengeblieben ist“. Der vierte Kandidat ist der Sozialist Juan Carlos Coral, der die kleine „Sazialistische Arbeiterpartei“ vertritt. Aber ob nun die drei weiteren Kandidaten eine echte Opposition darstellen oder nicht — man fragt nur, ob Perön 60 oder 80 Prozent der Stimmen bekommen wird. Aus seinen Kreisen ist wiederholt angeregt worden, dem Land die Mühen und Kosten eines Wahlkampfes zu ersparen und es dem Parlament zu überlassen, einen Präsidenten zu bestimmen, dessen Wahl ohnedies feststeht. Aber Perön überschlägt sich jetzt mit Verfassungstreue. So hat er seine Marionette Dr. Hector J. Cämpora zum „freiwilligen Rücktritt“ veranlaßt, dem Senatspräsidenten schnell ein anderes Amt übertragen, den Präsidenten des Deputiertenhauses Raul Lastiri zum provisorischen Staatsoberhaupt ernannt und sich selbst zum Präsidentschaftskandidaten manipuliert.

Der Entschluß kann Perön nicht leicht gefallen sein. Er hat kürzlich selbst die Bescheinigung seiner Ärzte verlesen; nach der er seine Herzerkrankung überstanden habe, aber die Amtsgeschäfte eines Präsidenten nur bei größter Schonung versehen könne. Der Grund für die Ausbootung Cämporas liegt darin, daß dieser, den man immer als Vertreter des konservativen Flügels der Perönisten dargestellt hat, überraschend unter den Einfluß der „Perönistischen Jugend“ gefallen war und begann, einen radikalen Kurs auf außen- und innenpolitischer Ebene einzuschlagen. Perön entfernte die Anhänger dieser Richtung aus allen wichtigen Regierungs- und Parteistellen. Aber sie jubeln ihm — merkwürdigerweise — weiter zu. Als die „Perönisti-sche Jugend“ am 22. August mehr als 40.000 Anhänger zu einer Trauerkundgebung für die „Helden von Trelew“ — sechzehn am 22. August 1972 auf einer Marinebasis massakrierte Guerrilleros — in einem Fußballstadion vereinigte, sah Perön, wie aktionsfähig und damit wichtig für ihn die radikale Jugend geblieben ist und nahm die Fühler zu ihr wieder auf. Dazu paßt, daß er seinen Vertrauten und Sekretär Lopez Vega, der das rote Tuch für die linksradikale Jugend ist, als Delegationschef zu der Tagung der „blockfreien Staaten“ nach Algier schickte. Auch paßt in dieses Konzept, daß Kuba Darlehen von 1200 Millionen Dollar (im Laufe von sechs Jahren) zugesagt wurden. Ins Groteske sah man freilich Peröns chamäleonhafte Wandelfähigkeit gesteigert, als er vor einer perönistischen Frauenorganisation das volkschinesische Regime „demokratisch“ nannte und pe-rönistische Arbeiter aufforderte, „Viva Mao Tse-tung“ zu rufen.

Dabei kompromittierten die „Mao-istas“ systematisch das Regime. Baibin sprach in seiner ersten Wahlrede von einem „Höhepunkt der Kriminalität“ und machte für sie jene verantwortlich, die mit der Bewaffnung der Jugend die Grundlage für die „Violencia“ gelegt hätten. Von den zwei täglichen Entführungen gehen die meisten auf Rechnung des trotz-kistischen „ERP“ („Ejercito Revolu-cionärio des Pueblo“ — „Revolutionäres Volksheer“), das eine Beruhigungspause ablehnt und dem Regime erbitterten Kampf angesagt hat. Riesige Summen werden laufend an Lösegeld gezahlt. Ford hat dem „ERP“ eine Million Dollar gezahlt, um der Entführungsdrohung , zu entgehen. Coca-Cola hat die ganze Führungsmannschaft kurzerhand nach Montevideo verfrachtet.

Die Guerrillatätigkeit ist aber nicht der wichtigste Faktor, der die Stabilität des kommenden Regimes trotz des ungewöhnlich sicheren Wahlausganges gefährdet. Der erste Unsicherheitsfaktor liegt in der mangelnden Gesundheit des herzkranken 77jährigen Generals. Nach wochenlangem Rätselraten ergibt sich, daß Perön seine dritte Ehefrau Isabel Martinez („Isabelita“) nun doch als Vizepräsidentin kandidieren läßt. Die Gründe hiefür mögen in dem komplizierten Gleichgewichtsspiel zwischen den verschiedenen Gruppen des Peronismus liegen. Nur Isabelita bietet durch ihre völlige Farblosig-keit die Gewähr, keine Widerstände innerhalb der eigenen Partei zu finden. Außerdem sucht Perön, einen Teil des Glanzes, der sich aus dem „Evita-Kult“ ergibt, auf Isabelita ausstrahlen zu lassen. Aber ihr fehlen die Persönlichkeit, das Charisma und die politische Erfahrung Evitas. Isabelita kann, ohne Perön, nur entweder als Marionette eines einflußreichen Perönisten eine Scheinherrschaft ausüben oder durch eine Revolution gestürzt werden. Jedenfalls ist die „nationale Einheit“, die Perön anstrebt, nur ein kurzes Intermezzo in der abwechslungsreichen argentinischen Geschichte.

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