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Das Chaos und die Klassizisten

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Selbst eine Woche nach Eröffnung der diesjährigen 40. Biennale in Venedig bieten sich die Giar-dini mit ihren Ausstellungspavillons noch als große, eher verlassen wirkende Baustelle an: umherliegendes Werkzeug und Baumaterial, Gebäude, die dringend einer Restaurierung bedürften.

Sogar im Inneren des großen internationalen Pavillons, der unter dem Motto „Arte come arte: per-sistenza dell'opera” — „Kunst als Kunst: Beständigkeit des Werkes” — steht, wird ein Provisorium zur Schau gestellt, das die großen Namen Schiele, Matisse, Brancu-si, mit denen sich diese Präsentation und ihre Organisatoren schmücken, verhöhnt.

Warum gerade diese drei Künstler — Schiele, Matisse, Brancusi — ist keineswegs evident — sieht man von der Tatsache ab, daß das Brancusis Werk bestimmende Element des Mythischen und Spirituellen überzeitlich ist, und das gerade im österreichischen Biennale-Beitrag Walter Pichlers in ähnlicher Intensität aufzuspüren ist. Schieies Zeichnungen in einem finsteren Gang, Matisse' zwei Bilder viel zu wenig und zu unmotiviert, um Hommage zu sein oder die künstlerische Wurzel der Moderne dokumentieren zu können!

Die übrigen hier ausstellenden Künstler bieten mit ihren realistischen Tendenzen, die nur in einer wissenschaftlich-didaktisch aufgebauten Exposition Sinn und Evolution ablesen ließen, keinerlei Sensation.

Sicherlich stolz sein kann der Österreicher beim Betreten des Pavillons seines Landes: hier wird Präzision und Perfektion in Plastik, Zeichnung und Architektur vorgetragen, die ein Gesamtkunstwerk der Ästhetik errichten. Es ist aber zugleich auch gerade die Observanz der ausgeklügelten Perfektion in den Arbeiten Walter Pichlers, die die Elemente Sinnlichkeit und Spontaneität verdrängt, ohne die ein Kunstwerk nicht als solches empfunden werden kann.

Pichlers sitzender Torso aus Lehm mit strohumwickeltem Holzkern und polierten Bronzeplatten auf Schädel, Brust und Lenden wirkt wie ein archaischer Götze im weiß getünchten Andachtsraum; daneben eine Schädelstätte, ein Holzgerüst mit einer Reihe von glatten Metallschädeln, gegenüber das Gebälk des Glashauses mit der in Gewänder gehüllten „Beweglichen Figur”.

Diese nun strahlt technischstählerne Kälte aus; sie führt in einen Bereich der Klassizität, die Entrücktsein von allem Menschlichen bedeutet, die eine Huldigung an einen sehr fernen und sehr fremden Gott ausspricht. Die Oberfläche der Objekte trägt nicht mehr die Spuren des von der Hand Berührtseins, sondern die perfekte abweisende Preziosi-tät, die sie in die Sphäre des Ubernatürlichen hineinhebt. Sie macht frösteln, nicht aber vermag sie das Herz zu öffnen.

.Anders Walter Pichlers Zeichnungen: sie berühren durch ihre Sensibilität, durch ihre um Wachsen und Tod kreisende Thematik. Ein Aquarell des von sprießenden Ästen durchwachsenen Rumpfes mit der Aufschrift „Wenn ein Baum vom Wind gefällt wird, seine Wurzeln aber noch in der Erde bleiben, wachsen seine Äste im rechten Winkel zum Stamm” ist ein ergreifendes Bild der Hoffnung.

Im Haus der Belgier erwartet den Besucher Marthe Werys konzeptionelles Environment: ein mit rotgefärbten Leinenplatten, die nach einem höchst feinnervigen System geordnet sind, umstellter Saal. Und was für ein Rot! Wie Wärmeplatten in verschiedenen Temperaturstufen glühen diese Flächen nach einer geheimen Gesetzmäßigkeit, die ihren Ursprung sowohl in der Archetypik wie in höherer Mathematik hat. Hier liegt ein Kunstwerk vor, das den von Max Bense kreierten Begriff der „Mitrealität des Schönen” verkörpert.

Eine vergleichbare meditative Stille herrscht im deutschen Pavillon,' wo Wolfgang Laibs „Milchstern”, eine täglich mit frischer Kuhmilch begossene glatte weiße Marmorplatte, leicht säuerlichen Geruch verströmt.

In den Magazzini del Sale und in den Cantieri Navali herrschen auch heuer wieder die Nachwuchskünstler, von denen sich bereits viele, allen voran die sogenannten „Neuen Wilden”, das in Sergio Pacinis Granitmonument eingravierte „Art is a business” zum Leitsatz gemacht haben. Auch hier pendeln die Objekte zwischen wild und mythisch, neu ist aber keines.

Lohnend ist aber ein Besuch der Scuola Grande di San Giovanni Evangelista, wo tiefgründige Werke des Meisters der Vergeistigung, Antoni Tapies, zu sehen sind.

Als Gesamteindruck bietet sich ein Internationalismus der Kunst an, der zwischen Klassizismus und Manierismus schwankt, der Individualismus einzelner Länder aus Scheu vor Provinzialismus erst gar nicht aufkommen läßt, somit aber eine Kunst-Biennale von rund 40 Nationen a priori ad absurdum führt.

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