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Das Dilemma der Welt

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Rund 120 Experten aus 46 Ländern, darunter namhafte Wissenschaftler aus kommunistischen Ostblockländern und aus der Dritten Welt, trafen sich vom 6. bis 8. Juni in den Räumen der Salzburger Residenz. Anlaß dieser internationalen Tagung, zu der der „Club of Rome“ und die Salzburger Landesregierung als Gastgeber eingeladen hatten, war die Präsentation der jüngsten vom Klub von Rom vor zweieinhalb Jahren in Auftrag gegebenen Studie über das neue Lernen.

Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner außerordentlichen Exklusivität genießt der Klub einen geradezu legendären Ruf, dem bis jetzt auch die zum Teil sehr heftige Kritik von verschiedenen Seiten nichts anhaben konnte. Dieser Ruf wurde nicht zuletzt durch die 1972 veröffentlichte Studie über „Die Grenzen des Wachstums“ - der Titel ist geradezu zum geflügelten Wort geworden - begründet.

Der Studie lag das erste systemanalytische und von einem Megacompu-ter durchgerechnete Weltmodell überhaupt zugrunde. Darin ging es um die folgende Fragestellung: Wie wird diese unsere Welt im ersten Jahrhundert des neuen Jahrtausends ausschauen, wenn Bevölkerungswachstum, Rohstoffausbeutung, Energieverbrauch und Umweltzerstörung im bisherigen Tempo weitergehen? Die Antwort, die 1972 Au-relio Peccei, Gründer und Präsident des Klubs von Rom, gegeben hat, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sie lautet im Klartext: Die Welt lebt bereits im Notstand, nur will das niemand wahrhaben!

„Nach unseren Berechnungen geht es mit der Welt noch vor dem Jahr 2100 rapid abwärts“, schrieb Peccei wörtlich. „Tod und Entbehrungen werden auch bei uns Millionen von Menschen erfassen. Da wir 50 bis 100 Jahre brauchen, um entsprechende Veränderungen herbeizuführen, müssen wir handeln - und zwar sofort!“

Das war ein Alarmschuß, und er wurde weltweit gehört. Im Vergleich damit kann die jüngste Studie („Das menschliche Dilemma“ - „The Human Gap“) mit keinen ähnlichen Sensationen aufwarten. Dennoch ist sie ihrer Substanz und ihren möglichen Konsequenzen nach vielleicht von sogar größerer Bedeutung.

Die Erkenntnis, der dieser neueste Bericht zum Durchbruch verhelfen möchte, ist die, daß die letzte Ursache aller jener globalen Probleme und Herausforderungen und gleichzeitig der einzige Schlüssel zu ihrer Lösung der Mensch selbst ist. Es geht nicht länger an, die Verantwortung dafür, wie unsere Kinder und Enkel leben werden, ja ob sie überhaupt noch leben werden, auf anonyme Mächte und Zwänge abzuwälzen: auf die Natur, auf die Geschichte oder gar auf den bloßen Zufall.

Trotz der enormen Entwicklungen in Naturwissenschaft und Technologie könne man beileibe nicht sagen, daß sich der allgemeine Zustand der menschlichen Familie mit ihren 4,5

Milliarden Mitgliedern grundlegend zum Guten verändert habe, meinte Aurelio Peccei in seiner Eröffnungsansprache. Der fortschreitende Verfall unserer Institutionen und unserer Umwelt, Glaubensverlust, Frustrationen, Intoleranz und Gewalt, Stagnation und Arbeitslosigkeit sowie Mangel an Motivation und Führung seien die besorgniserregenden Symptome einer globalen Krise, deren tiefere Ursachen unser Fassungsvermögen ebenso zu übersteigen scheinen wie die Möglichkeit ihrer Überwindung.

Hat es also zunächst den Anschein, daß in der jüngsten Studie erneut pessimistische Untertöne anklingen, so gibt sich der Bericht anderseits äußerst zuversichtlich, was die Chancen einer Uberwindung dieses menschlichen Dilemmas anlangt -freilich nur unter ganz bestimmten Bedingungen.

Die wichtigste Bedinguung, die die Studie nennt, heißt „Lernen“. Damit ist keineswegs ein Mehr an Bildung und Erziehung gemeint, wie sie heute weltweit praktiziert - und vom Klub von Rom kritisiert wird, was das adaptive = „Erhaltungslernen“ angeht, das auf bloße Anpassung abzielt, aber auch, was Lernmodelle biologischer, kybernetischer und beha-vioristischer Art betrifft.

Demgegenüber betont der Klub von Rom die Notwendigkeit des innovatorischen Lernens, das nicht so sehr auf die Erweiterung unserer gegenständlichen Macht als vielmehr auf die Veränderung unseres Bewußtseins und unseres Verhaltens abzielt und das allein den globalen Herausforderungen unserer Zeit gewachsen sei.

Anläßlich des 10. Jahrestages der Gründung des Klubs von Rom im Sommer 1978 wurden jene Faktoren und Trends untersucht, die darauf hinweisen, daß die Menschheit in eine Phase des Niedergangs eingetreten ist. Wenn diese Analyse stimmt, kann es kaum einen Zweifel darüber geben, daß mehrere Optionen, die uns heute noch offenstehen, bereits in naher Zukunft nicht mehr vorhanden sein werden. Darum spricht vieles dafür, daß die nächsten zehn Jahre eine der entscheidendsten Perioden der menschlichen Geschichte werden.

Auch innerhalb des Klubs von Rom gibt es Leute, die der Ansicht sind, daß es dafür schon zu spät ist. Andere sind optimistischer.

Im besonderen betonen die Autoren von „Human Gap“ die Notwendigkeit, daß sich jeder Mensch zumindest versuchsweise auf den Boden eines anderen fremden Wertsystems stellen müsse. Wir werden in Zukunft entweder bi-kulturell existieren oder überhaupt nicht existieren. Eben darum erblickt der Klub von Rom in der politischen und besonders in der militärischen Macht, die die Exklusivität des eigenen Wertsystems unter feindseliger Abgrenzung gegenüber allen anderen erzwingt, das Haupthindernis für die Verwirklichung des antizipatori-schen (= vorwegnehmenden) und partizipatorischen Lernens.

Ob etwas von der großen machtpolitischen Konstellation geändert werden wird, ist freilich mehr als fraglich. So könnte sich das „Neue Lernen“, dessen Verwirklichung so etwas wie eine Kulturrevolution bedeuten würde, letztlich doch nur als eine schöne Utopie erweisen. Immerhin aber war doch die Salzburger Tagung des Klubs von Rom ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung.

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