6980849-1986_10_08.jpg
Digital In Arbeit

Das Dilemma von Theorie und Praxis

19451960198020002020

Verstaatlichte Unternehmen erfüllen wichtige wirtschaftliche, aber auch gesellschafts- und strukturpolitische Aufgaben. Sie haben Vorbildfunktion. Sagt zumindest das SPÖ-Parteiprogramm von 1978. Was bedeutet das in Zukunft für die VOEST?

19451960198020002020

Verstaatlichte Unternehmen erfüllen wichtige wirtschaftliche, aber auch gesellschafts- und strukturpolitische Aufgaben. Sie haben Vorbildfunktion. Sagt zumindest das SPÖ-Parteiprogramm von 1978. Was bedeutet das in Zukunft für die VOEST?

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Im SPÖ-Parteipro-gramm von 1978 steht, daß die Orientierung von Produktionsund Investitionsentscheidungen in der Gemeinwirtschaft nicht an Ertragserwartungen, sondern an gesamtgesellschaftliche Ziele geknüpft werden soll. Ist die ÖIAG-Reform, wie sie jetzt präsentiert wurde, nicht eine Außerkraftsetzung dieser Grundsätze?

„Wichtiger denn je ist, wer gemeinwirtschaftliche Ziele definiert“

EWALD NOWOTNY: Auch im Parteiprogramm ist man davon ausgegangen, daß die weitergehenden Zielsetzungen nur auf der Basis einer entsprechenden betriebswirtschaftlichen Effizienz durchgeführt werden können. Die Probleme, wie wir sie heute bei der VOEST haben, sind größtenteils auf Managementversagen zurückzuführen. Natürlich gab es auch Strukturfehler wie die Proporzregelung. Aber die wurde ja beseitigt.

FURCHE: Heißt das konkret, sozialistische Prinzipien wurden nicht ad acta gelegt und die jetzige Politik ist nur ein Versuch, Zeit zu gewinnen, um unter geänderten, besseren Umständen wieder die alten Rezepte anzuwenden?

NOWOTNY: Im Moment muß man sicherlich andere Prioritäten setzen bei der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben. Und da steht im Fall VOEST derzeit die Reduzierung von Defiziten an der Spitze. ...

FURCHE: Es gab aber auch Entscheidungen im Rahmen übergeordneter wirtschaftspolitischer Ziele, die zu Verlusten geführt haben und die nicht Fehler

des Managements waren. Zum Beispiel die Erhaltung des Standortes in Donawitz.

NOWOTNY: Es war und ist auch in Zukunft wichtig und richtig, die Verstaatlichte als Instrument der Beschäftigungs- und Regionalpolitik einzusetzen.

FURCHE: Dann ist die Entpoli-tisierung ein Etikettenschwindel. Die Gemeinwirtschaft verlangt doch per Definition eine politische Zielvorgabe. Denn wenn es diese nicht gibt, was rechtfertigt dann die Existenz der verstaatlichten Industrie?

NOWOTNY: Der Begriff „Ent-politisierung“, wie er kolportiert wurde, ist falsch und wird auch weder von Minister Ferdinand Lacina noch von Bundeskanzler Fred Sinowatz so verstanden. Richtiger wäre der Begriff „Entproporzlösung“. Aber für die Zukunft ist es wichtiger denn je, daß klargestellt wird, wer über gemeinwirtschaftliche Ziele zu bestimmen hat.

FURCHE: Wer ist das konkret?

NOWOTNY: Das können nicht regionale oder lokale Instanzen sein wie Betriebsräte oder Landeshauptleute, sondern die, die im neuen ÖIHAG-Gesetz vorgeschrieben sind. Und das ist die Hauptversammlung bzw. der zuständige Minister, der auch die entsprechende politische Verantwortung trägt.

FURCHE: Das heißt, auch der neue VOEST-Generaldirektor Herbert Lewinsky wird sich letztlich an den Zielsetzungen des Parteiprogramms zu orientieren haben?

NOWOTNY: Ein Manager hat sich nicht an Programmen zu orientieren. Im Fall VOEST hat er

ein Unternehmenskonzept für die Sanierung zu erstellen. Auch ein gemeinwirtschaftlich ausgerichteter Betrieb ist zur Effizienz verpflichtet. Es ist falsch, zwischen beiden Zielen immer nur einen Widerspruch zu sehen.

FURCHE: Was bedeutet es dann konkret für die Zukunft, daß die Verstaatlichte laut Parteiprogramm Vorbildfunktion habe?

NOWOTNY: Vorbild sein heißt, vorbildlich gesetzliche Vorschriften einzuhalten. Es heißt aber

nicht, etwa Pionierarbeit in Hinblick auf bessere Sozialleistungen als in der Privatwirtschaft zu ermöglichen. _,

FURCHE: Herr Professor, da stehen Sie im Widerspruch zu Ihrem eigenen Parteiprogramm. Dort steht als eine wichtige Aufgabe die Vorbereitung und Durchführung sozialpolitischer Experimente.

NOWOTNY: Sozialpolitische Experimente sind erst dann relevant, wenn ein Betrieb gesund ist. Aber auf jeden Fall bedeutet es, daß auch die Sanierung ohne soziale Härten vor sich gehen muß. Ohne Härten wie zum Beispiel Zwangspensionierungen oder keine Lehrlingsausbildung mehr über den Bedarf hinaus. Uberkapazitäten sind sozial gerechtfertigt und besser als Arbeitslosigkeit. Aber sicherlich ist der Spielraum - wie in der Privatwirtschaft — eng geworden.

FURCHE: Im Bereich Forschung und Entwicklung werden der Gemeinwirtschaft in Zukunft neue, große Aufgaben gestellt — hieß es 1978. Liegt in diesem Bereich nicht genauso viel Scheitern wie beim Ablesen der Bilanzkennzahlen?

NOWOTNY: Die VOEST hat dementsprechend ' versucht, in neue Bereiche zu investieren. Einiges wie das AMI-Werk ist nicht geglückt. Es kann eben nicht nur Treffer geben.

FURCHE: Was soll mit den Ge-

winnen geschehen, falls die VOEST nach der Sanierung tatsächlich welche erzielt?

NOWOTNY: Gewinne der Gemeinwirtschaft sind an die Eigentümer auszuschütten oder an die Konsumenten in Form niedrigerer Preise weiterzugeben. Keinesfalls sollte die Situation so sein wie derzeit in der E-Wirtschaft.

FURCHE: Sozialminister Alfred Dallinger hat in einem Interview erklärt, die Verstaatlichte sei für ihn ein Grundwert. Ist sie das für Sie auch? ' NOWOTNY: Grundwert ist zuviel gesagt. Aber für die wirtschaftlichen und industriellen Verhältnisse Österreichs ist sie ein unverzichtbares Instrument.

FURCHE: Zur Verwirklichung welcher Ziele?

NOWOTNY: Nicht so sehr die des Sozialismus. Es gibt auch progressive Sozialisten wie die

schwedischen, die keine Verstaatlichving anstreben. Die wichtigste Funktion ist die, daß es in unserer Industrie einen Bereich geben muß, der eigenständig genug bleibt, um eine wirtschaftliche Beweglichkeit aufrechtzuerhalten und das Uberhandnehmen ausländischen Kapitals abzuwehren. Freiräume zu schaffen zum Beispiel für weitere Forschung und Entwicklung - wir haben trotz Fehlschlägen genug Intelligenzkapazitäten -, für die Verwirklichung der Mitbestimmung oder überhaupt des - und hier sind wir wieder beim Vorbildcharakter — vorbildlichen Umganges von Belegschaft und Arbeitgebern.

FURCHE: Für Sie gibt es keine Alternative zur verstaatlichten Industrie?

NOWOTNY: Privatisierung hieße letztendlich wieder Konzentration auf einige wenige und Uberhandnehmen ausländischen Kapitals. Die Entwicklungen in der Vergangenheit haben gezeigt, daß der typische österreichische Kleinzeichner seine Papiere bald wieder verkauft.

FURCHE: Der derzeitige Bör-

„ln der Wirtschaftspolitik gibt es keine rot-grünen Perspektiven“

senboom zeigt doch wachsendes Interesse an Risikokapital.

NOWOTNY: Davon darf man sich nicht täuschen lassen. Sehr viele Aktien werden von Ausländern gekauft.

FURCHE: Wo liegen denn in der jetzigen Politik gegenüber der verstaatlichten Industrie die Gemeinsamkeiten zwischen der SPÖ und OVP bzw. FPO?

NOWOTNY: Die Freiheitlichen sind eine Partei, der gesellschaftspolitische Fragen wie die Stellung der Gemeinwirtschaft sehr viel weniger bedeuten als etwa der OVP. Bei der Volkspartei haben die Politiker, die von der christlichen Soziallehre beeinflußt werden, eine große Affinität zu sozialistischen Vorstellungen über die gesellschaftliche Verantwortung des Eigentums.

FURCHE: Es gibt zwischen der SPÖ und alternativen Gruppen in bezug auf Grundwerte wie Solidarität und Basisdemokratie doch auch eine gewisse Ubereinstimmung. Wünschen Sie sich den Einzug Grüner ins Parlament, um in wirtschaftlichen Bereichen mehr Handlungsspielraum zu gewinnen?

NOWOTNY: Die Grünen können uns in manchen wirtschaftspolitischen Fragen wie die des Umweltschutzes Anstöße geben. Aber ich glaube, sie stellen zumeist Forderungen auf, die die gesamtwirtschaftlichen Kosten außer acht lassen. Ich halte das für sehr gefährlich, und deshalb sehe ich auch gerade in bezug auf die Wirtschaftspolitik keinerlei Perspektiven für eine rot-grüne Koalition.

Mit dem SPO-Abgeordneten und Professor für volkswirtschaftliche Theorie und Politik an der Wirtschaftsuniversität Wien sprach Elfi Thiemer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung