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Das Drama Siebenbürgen: Literatur als Politik

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Auf der Bühne des Ungarischen Nationaltheaters kann man (andeutungsweise) jener Massenhochzeit beiwohnen, die vor mehr als 2.300 Jahren Alexander der Große in Persien angeordnet hat:

10.0 seiner Krieger mußten ebenso viele persische Jungfrauen ehelichen. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und heiratete in der Gegend des heutigen Samarkand die Fürstentochter Ro- xane.

Natürlich kann ein heutiger Betrachter seine Zweifel haben, ob all den 10.000 Soldaten jene staats- männischen Interessen am Herzen lagen, die Alexander bei seiner Heirat bestimmten: Versöhnung mit einem besiegten, unterworfenen Volk, Verschmelzung der Völker zwecks Friedenssicherung. Kann solch erzwungene Heirat die Völker nachhaltig verbinden?

Man kann sich nun fragen, was das Budapester Publikum veranlaßt, dieser alten Geschichte so viel Aufmerksamkeit zu schenken, wie es spürbar geschieht. Gewiß, Andräs Sütö, der das Stück „Die Hochzeit von Susa“ verfaßte, ist einer der bedeutendsten Dramatiker, die heute in ungarischer Sprache schreiben. Er gehört der etwa zwei Millionen Menschen starken ungarischen Minderheit in Siebenbürgen an, deren

Schicksal die Ungarn heute mit wachsender Sorge verfolgen.

Vielleicht wächst aus der Bedrohung der ungarischen Kultur unter rumänischen Assimilations-Bestrebungen die besonders reine Sprache und die formbewußte Dichtung, die sich immer wieder in künstlerischer Behandlung historischer Themen äußern. Andräs Sütö (er wurde vor einigen Jahren in Wien mit dem Herder-Preis ausgezeichnet) hat schon mehrere wichtige Stücke geschrieben, die sich mit der Spannung von Macht und Gerechtigkeit, Macht und Glauben aus^ einandersetzten. Diesmal glaubt man in seiner Thematik Parallelen zur erlebten Gegenwart zu erkennen: Kann man zwei Völker mit Gewalt versöhnen, vermischen? Oder müssen nicht Freiwilligkeit, gegenseitige Liebe, Achtung, Gleichberechtigung dabei sein?

So weit gehen die geschriebenen ungarischen Kommentare zu dem Stück nicht — schon deshalb, weil es im Ermessen der rumänischen Regierung liegt, ob sie den ungarischen Autoren rumänischer Staatsangehörigkeit erlaubt, im Ausland zu publizieren. Sie ist damit recht sparsam.

Wo es irgend geht, werden aber Autoren aus Siebenbürgen in Ungarn aufgeführt. Das ist zumeist auch durch ihre literarische Qualität voll gerechtfertigt.

Diese Qualität bestätigt sich bei dem zweiten Autor aus Siebenbürgen, Jänos Szėkely. Sein Stück

„Der blinde König“ spielt im 12. Jahrhundert. Ungarn hat sich als europäischer Staat etabliert und gerät in das Spannungsfeld der Mächte. Diese sind: der deutsche und der oströmische Kaiser, der Papst und Venedig, Kreuzzüge und Investiturstreit. Ungarn drängt an die Adria. Bis in die königliche Familie geht der Parteienstreit. Um die Einheit zu erzwingen, läßt König Koloman seinen Bruder und dessen kleinen Sohn blenden, kann aber nicht verhindern, daß dieser Sohn später als blinder König Bėla II. auf den Thron kommt. Dieser Leidgeprüfte wiederum, der mit allen Vorsätzen der Humanität und Gerechtigkeit sein Amt antritt, gerät ebenso unentrinnbar in die Machtkämpfe wie sein Onkel.

Immer wieder werden Episoden aus der Geschichte auf ungarischen Bühnen behandelt, wird nationales Schicksal nacherlebt, das sich scheinbar unentrinnbar immer aufs neue wiederholt. Dabei gibt es kaum weiße Flecken.

Es mag ein Zufall sein, wenn man an drei Abenden in Budapest drei Stücke aus Siebenbürgen sehen kann. Aber die Sorgfalt, mit der man sich dęr Kultur jener Minderheit widmet, ist unverkennbar.

Das dritte Stück stammt freilich aus ferner, volkstümlicher Überlieferung. Die Csiksomlyoer Passion geht auf mittelalterliche Osterspiele zurück und wurde im 18. Jahrhundert von Studenten des Franziskanerklosters Csiksomlyo in Siebenbürgen erneuert. Von weit her kamen damals die Menschen, um die Spiele zu sehen, die beinahe fünfzig Jahre lang aufgeführt wurden. Nun wurde die Passiorr vom Ungarischen Volkstheater abermals erneuert und auch mit alter Volksmusik versehen. Es ist ein Riesenerfolg, man ist damit auch schon ins Ausland gereist, und im alten Burgtheater von Buda sitzen die Leute sogar auf den Treppen.

Das Bezaubernde an dieser Aufführung ist, daß es modernen Theaterleuten gelang, auf höchst professionelle Art das Spiel aufzuführen, ohne den Reiz des Naiven zu stören oder gar lächerlich zu machen.

Dabei ist die Auswahl der biblischen Szenen so bemerkenswert, wie die Einbeziehung des Volkes, das ebenso intensiv Anteil nimmt, wenn es das Jesuskind in Bethlehem feiert, wie später, wenn es „Kreuziget ihn“ schreit.

Aber das vorherrschende Anliegen ist offensichtlich die Pflege und Erneuerung alter Volkskultur aus Siebenbürgen. Denn aus der Vergangenheit nehmen ja beide Parteien ihre Argumente. Versuchen die Rumänen ihre kontinuierliche Anwesenheit seit der Römerzeit zu untermauern, so antworten die Ungarn mit den Kulturleistungen, die sie inzwischen erbracht haben. Wie reich könnte das Land Siebenbürgen sein, wenn sich alle zur kulturellen Vielfalt bekennen wollten.

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