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Das Ende der Pionierzeit

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Mit Golda Meirs Tod vor zwei Wochen neigte sich in Israel das Zeitalter des Pioniergeistes seinem Ende zu. Es wurde durch eine Atmosphäre des Pragmatismus abgelöst, dem auch der „Sozialismus in unseren Tagen“, die Devise, die Golda Meir verteidigt hatte, zum Opfer gefallen ist.

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Mit Golda Meirs Tod vor zwei Wochen neigte sich in Israel das Zeitalter des Pioniergeistes seinem Ende zu. Es wurde durch eine Atmosphäre des Pragmatismus abgelöst, dem auch der „Sozialismus in unseren Tagen“, die Devise, die Golda Meir verteidigt hatte, zum Opfer gefallen ist.

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Der Kampf zwischen dem bürgerlichen und sozialistischen Lager in Israel hat direkt nach dem Ersten Weltkrieg (1918) begonnen. Es war ein Ringen der gesamten Arbeiterbewegung mit all ihren Parteien gegen das Lager der Kleinbauern auf dem Lande und des Mittelstandes in den Städten.

Dieser ursprünglich nur ideologische Kampf fand jedoch bald seinen Niederschlag auch im gesellschaftlichen Leben des kleinen jüdischen Ji-schuw- wie damals die jüdische Gemeinde des Mandatspalästinas genannt wurde -, die bis heute den Kern des Judenstaates bildet.

Die moderne Besiedelung Palästinas durch Juden hatte Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen. Die erste Einwanderungswelle brachte Flüchtlinge vor den Judenpogromen im zaristischen Rußland ins Land. Ideologisch waren diese Flüchtlinge nicht ausgerichtet: Im damals noch türkischen Palästina wollten sie sich eine neue Existenz aufbauen und eine neue Heimat finden.

Mit der zweiten Einwanderungswelle kamen jüdische Revolutionäre, die zum Teil an der russischen Revolution von 1905 und viele von ihnen auch an der Oktoberrevolution von 1917 teilgenommen hatten, nach Palästina. Für diese Gruppe hatte jeder Schritt im Leben einen ideologischen Hintergrund. Sie wollten ihren Sozialismus mit dem Zionismus kombinieren und ihn in Palästina verwirklichen.

Obwohl die bürgerlichen politischen Gruppen in der zionistischen Weltbewegung die Mehrheit hatten, erhielt die Arbeiterbewegung im jüdischen Palästina, das vor Staatsgründung 1947 ungefähr 550.000 Seelen zählte, die Mehrheit.

Diese zweite Einwanderungswelle stellte die sozialistische Führungsschicht dar, die fast bis zum Tod von Golda Meir dominant war. Ihr wich-

tigster Vertreter war David Ben Gurion. Es war eine Gruppe charismatischer Führer, die allein mit ihrem Auftreten und ihren bombastischen Reden die Massen mitreißen konnte. Sich selbst nannten sie die „Generation der Vision“ und wollten nicht nur Israel, sondern die ganze jüdische Diaspora anführen.

Für diese dominante Gruppe war das Leben in Schwarz und Weiß geteilt. Sie kannte weder Zögern noch Zaudern und war von ihrer visionären Welt völlig eingenommen. Obwohl sie selbst Sozialisten waren, hatten sie etwas Bolschewistisches an sich. Die Partei hatte immer recht.

Doch mit Ansteigen des Lebensstandards wurden auch die sozialistischen Ideale der Arbeiterpartei mehr - und mehr verwässert Zuerst glaubte man nur im Kibbuz die sozialistischen Ideale verwirklichen zu können. Die Kibbuzkommune ist eine Kollektivsiedlung, wie sie nur in Israel besteht. Hier ist jedes Mitglied auch zu großen persönlichen Verzichten gezwungen.

Nach Staatsgründung wurde der Kibbuz, der bis dahin in der Arbeiterbewegung führend war, mehr oder weniger auf die Seite gedrängt. Der Sozialismus der Gründungsjahre mußte mehr und mehr einem pragmatischen Staatskapitalismus weichen. Die bürgerlichen Parteien, die eine Minderheit im Parlament bildeten, wurden immer stärker, bis sie nach dem Jom-Kippur-Krieg zum ersten Mal die Mehrheit erhielten.

David Ben Gurion ging nach seinem Rücktritt in einen Kibbuz, um dort nach seinen Idealen leben zu können. Sein Nachfolger Levy Eschkol war jahrelang Mitglied eines Kibbuz. Auch Golda Meir war einige Jahre Kibbuzmitglied. Diese drei Führer der Arbeiterpartei und die meisten ihrer Kollegen haben alle als Arbeiter begonnen, körperlich schwere Pionierarbeit geleistet.

Es war ein besonders bescheidener Lebensstil, den diese Führungsschicht gelebt hatte. Sie hatte weder persönlichen Besitz noch besondere Ansprüche. Am liebsten gingen Ben Gurion und Eschkol in Hose und Hemd zu öffentlichen Auftritten. Golda Meir sträubte sich immer, wenn ihr nahegelegt wurde, doch endlich ein neues repräsentatives Kleid nähen zu lassen.

Sicherlich: Diese Führungsschicht hatte ihre großen Fehler, die man noch lange spüren wird. Doch in einer dreißigjährigen Epoche der andauernden Spannungen, wirtschaftlichen Miseren und des permanenten Kriegszustandes, in einer Zeit, in der sich die Bevölkerung verdreifachte, hat die sozialistische Führung den Geist der Aufopferung für Israel und insbesondere für die parlamentarische Demokratie - die einzige im Nahen Osten - kreiert und für ihn gesorgt.

Der neue Ministerpräsident Mena-chem Begin, Exponent der Rechten in Israels Öffentlichkeit, hat Jus studiert, niemals selbst harte körperliche Arbeit verrichtet und kennt auch die Probleme der Arbeitnehmer nicht. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist er hauptsächlich der Mann des Protokolls.

Im Staat Israel sieht Begin die Erfüllung eines göttlichen Versprechens an die Vorväter der Juden. Sein Vorbild ist der verstorbene rechtsradikale Zionistenführer Zeev Jabotinsky, dessen Sekretär er jahrelang war. Jabotinsky hatte mit seinen Anhängern alle zionistischen Organisationen verlassen, weil die Mehrheit gegen ihn war und seine Vorschläge nicht angenommen hatte. Für sich und seine Jünger hatte er die Devise geprägt: „Gott, du hast uns zum Regieren gewählt.“ Begin war ein guter Schüler seines Herren.

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