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Das Ende des Ausgleichs

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Vor kurzem wurde in der FURCHE auf die Unsicherheit hingewiesen, welche das ideologische Umfeld der Familienpolitik in Österreich prägt. Die Auswirkungen dieses bedauerlichen Umstan-des treten nun neuerlich drastisch in Erscheinung. Derzeit dürfte die ÖVP drauf und dran sein, ihre familienpolitischen Grundsätze einfach über Bord zu werfen. Bewußt oder unbewußt?

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Vor kurzem wurde in der FURCHE auf die Unsicherheit hingewiesen, welche das ideologische Umfeld der Familienpolitik in Österreich prägt. Die Auswirkungen dieses bedauerlichen Umstan-des treten nun neuerlich drastisch in Erscheinung. Derzeit dürfte die ÖVP drauf und dran sein, ihre familienpolitischen Grundsätze einfach über Bord zu werfen. Bewußt oder unbewußt?

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Damit das nicht unbewußt geschieht, ist es notwendig, einige Tatsachen in Erinnerung zu rufen, die -zumindest bisher - ihre unumstößliche Bedeutung hatten. Und das, wie wohl einsichtig sein wird, mit gutem Grund.

Zunächst aber zum aktuellen Schwenk der Volkspartei. Deren Bundesleiterin der Frauen, Rosemarie B auer, erklärte vor einigen Tagen, der Familiensprecherin des Koalitionspartners sei darin zuzustimmen, daß „eine Bindung der staatlichen Zuwendungen an die soziale Situation der Familie” erfolgen solle. Eine derartige Verteilung der Familiengelder führe zu einer „gezielten Förderung”.

System sozialen Ausgleichs

Schon mit den gewählten Worten zeigt sich, daß die Abgeordnete Bauer einem fundamentalen Irrtum erliegt: Unser System des Familienlastenausgleichs - und dieses Wort des Gesetzes sei ihren Begriffen entgegengesetzt - ist nämlich ganz und gar nicht „staatliche Förderung”. Hier scheint man einmal mehr der Terminologie des größeren Regierungspartners aufgesessen zu sein. Die SPO betrachtet ja immer den einzelnen als Objekt staatlicher Förderung, während die Väter des Familienlastenausgleichs, die Rosemarie Bauers Partei entstammten, von ganz anderen Vorstellungen geleitet waren.

Was man ursprünglich wollte, was ein gewaltiger sozialer Fortschritt war und was auch heute absolut erhaltens-wert erscheint, ist ein gesellschaftliches Ausgleichssystem. Unsere Wirtschaftsordnung bringt mit sich, daß Einkommen im Prinzip nach dem Wert der erbrachten Leistung auf dem

Markt (auch dem Arbeitsmarkt) zugeteilt wird. Das bedeutet, daß soziale Gesichtspunkte vorerst unberücksichtigt bleiben. Also auch die Tatsache, daß Familienerhalter in ihrem Lebensstandard gegenüber den anderen benachteiligt sind. Dies gilt, was besonders zu betonen ist, für jede soziale Schicht.

Der Familienlastenausgleich stellt also eine Korrektur der primären Einkommensverteilung dar. Das ergibt sich sehr anschaulich aus seiner Finanzierung. Der Löwenanteil der „staatlichen” Familiengelder, rund 35 Milliarden Schilling, das sind siebzig Prozent, stammt aus sogenannten Arbeitgeberbeiträgen.

Das Wort „sogenannt” ist deswegen angebracht, weil es sich ja um Geld handelt, das die Beschäftigen in den Betrieben erarbeitet haben. Ein Teil ihres Lohnes wird ihnen aber nicht bar ausbezahlt, sondern auf dem Weg der Zahlung von Familienbeihilfen an jene umverteilt, die Kinder aufziehen. Der Arbeitgeber fungiert nach dem Gesetz quasi als Kassier, der jene Lohnanteile sogleich abzieht und abliefert, welche dann zu Familieneinkommen werden. Sinn ist -siehe vorher- sozialer Ausgleich, der nicht von oben, sondern zwischen den Erwerbstätigen stattfindet. „Armenfürsorge” ist nicht Zweck dieses Systems, sondern die hat daneben zu erfolgen.

Verfolgt man die familienpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte, sieht man, daß sie zu einem großen Teil von einem Abwehrkampf jener gekennzeichnet war, die den staatlichen Zugriff auf das soziale Gebilde des Ausgleichsfonds abwehren wollten. Subventionierung von Pensions- und Arbeitslosenversicherung, Bundesbahnzuschüsse, Gratisschulbücher, welche sich die Familien ja selbst aus ihrem Fonds zahlen mußten - all dies ließ den Grundsatzstreit immer wieder neu aufbrechen.

Familiengeld verstaatlichen?

Nun wird ausgerechnet von der Volkspartei bestätigt, daß die Familiengelder doch des Staates sind. Von jener Partei, die ihr Grundsatzprogramm derzeit neu überarbeitet, aber das sie - wie versichert wird - in den wesentlichen Positionen beibehalten will. Wäre da nicht zunächst eine Besinnung darauf angezeigt, für welche Werte man stets angetreten ist? Dies übrigens gar nicht so erfolglos, wie ein Vergleich der früher und jetzt erzielten Wählerzustimmung zeigt. Daß man auf der einen Seite geradezu verbissen privatisiert, auf der anderen Seite aber die Familiengelder dem Staat überantworten will, erscheint jedenfalls kaum logisch.

Zu hoffen ist, daß es sich letztlich doch nur um eine Schwäche im Ausdruck handelt. Sonst wäre eine rasche und tiefgründige Beratung derer in der ÖVP, denen Familienpolitik ein Anliegen ist, angebracht. Der Autor ist Volksanwalt.

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