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Das Ende einer Ära

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Am schwül-heißen Spätsommertag des 17. September kam die Erlösung: nicht das von allen sehnlich erwartete Gewitter, sondern Helmut Schmidts Flucht nach vorn. Was sich seit dem Frühjahr 1981 anbahnte und in der letzten Zeit immer deutlicher wurde, trat in seinen letzten Akt: das Ende der sozialliberalen Koalition in Bonn.

Das Papier des FDP-Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff, am vorvergangenen

Sonntag veröffentlicht, war jener Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. ISelmut Schmidt wollte in die Offensive gehen und den Schrecken ohne Ende beenden.

Die vier FDP-Minister traten gemeinsam zurück, so daß Schmidt als Minderheitskanzler regiert. Seinen Vorschlag, Neuwahlen herbeizuführen, lehnten CDU-Chef Helmut Kohl und FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher ab. Sie wollen schon bald ein Mißtrauensvotum einbringen und Helmut Kohl zum Kanzler machen.

Es sind nun fast 13 Jahre her, daß im Herbst 1969 die sozialliberale Koalition aus SPD mit dem damaligen Kanzler Willy Brandt und FDP mit dem damaligen Vorsitzenden Walter Scheel zustande kam. Sie löste eine Periode 20-jähriger CDU-Kanzlerschaft ab.

Das damalige Gespann Brandt und Scheel ging mit Reformeifer an die Arbeit. Neue Wege in der Außenpolitik (Ostverträge) sollten die Deutschlandpolitik aus der Sackgasse führen. Neue Akzente in der Innen- und Gesellschaftspolitik („Mehr Demokratie wagen”) sollten das Protestpotential der Studentenbewegung der späten sechziger Jahre integrieren (Marsch durch die Institutionen).

In der Tat, die Sozialliberalen schwömmen damals auf einer Welle der Sympathie, vor allem in meinungsbildenden und intellektuellen Kreisen ansonsten nicht unbedingt sozialdemokratischer Provenienz, auf die der Polit-Pre-diger Brandt Eindruck machte. Die vorgezogenen Bundestagswahlen des Jahres 1972 brachten einen Erfolg für die SPD, sie erreichte damals die relative Mehrheit.

Doch zwei Jahre später (1974) ging eine der Geschäftsgrundlagen der Koalition verloren. Brandt stürzte infolge einer Spionageaffäre, Scheel ließ sich zum Bundespräsidenten wählen. Den Nachfolgern Schmidt und Genscher fehlten jene persönlichen Bindungen, die gerade für die Spitzen einer Koalitionsregierung notwendig wären.

Zwar konnte sich die Koalition bei den Wahlen 1976 und 1980 behaupten, doch bereits im Frühjahr 1981 kam es zu Auseinandersetzungen um Haushaltsfragen, die auch auf andere Sachthemen übergriffen und zuletzt auch die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik tangierten.

Der Münchner SPD-Parteitag des Frühjahrs 1982 machte allzu deutlich, wie sehr die SPD zwischen Kanzler und Partei gespalten ist. Mit Recht betonte die FDP, daß an diesem Parteitag eigentlich das Regierungsprogramm verworfen wurde.

Wie wird es nun in Bonn weitergehen? Es steht außer Zweifel, daß es zu einer von der Union geführten Regierung mit der FDP und mit Helmut Kohl als Kanzler kommen wird. Die SPD fordert rasche Neuwahlen noch in diesem Jahr, obwohl sie nach Meinungsumfragen nicht gut liegt. Der Abgang Schmidts hatte innerhalb der SPD einen Solidaritätseffekt zufolge, der, gekoppelt mit einem Mitleidseffekt, die Talfahrt der SPD stoppen könnte.

Die CDU/CSU liegt in Umfragen gut, sie brauchte nichts zu scheuen, doch will sie Kohl zuerst zum Kanzler machen und März nächsten Jahres wählen lassen. Ähnlich die Position der FDP.

Die SPD wird nun ohne Rücksicht auf „Sachzwänge” sozialdemokratische Politik in der Opposition betreiben können. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß sie dadurch einen Teil des Protestpotentials, daß sich bei den Grünen angesammelt hat, aufsaugt, jedoch durch eine linke Politik an ihrem rechten Flügel Stimmen verliert.

Die größte Zerreißprobe hat aber die FDP durchzustehen. Erst nach 1945 gelang es, den in zwei Flügeln — Wirtschaftsliberalismus und Gesellschaftsliberalismus — gespaltenen deutschen Liberalismus in der FDP zu einen. Der linke Flügel—in den sechziger Jahren stark geworden — wehrte sich bis zuletzt, die Koalition mit der SPD aufzugeben.

Es wird also in der Kunst des alten Taktierers Genscher und des FDP-Fraktionsvorsitzenden Mischnik liegen, daß möglichst alle FDP-Abgeordneten beim konstruktiven Mißtrauensvotum Kohl zum Kanzler wählen. Wenn das nicht gelingt, so wäre das ein schlechter Anfang für die christliberale Koalition, Neuwahlen wären unvermeidlich.

Am nächsten Sonntag hat das neue Regierungsbündnis seinen ersten Test zu bestehen, die Landtagswahlen in Hessen, bei denen die dortige FDP schon seit einiger Zeit eine Koalitionsaussage zugunsten der CDU gemacht hat. Gelingt der Wiedereinzug der FDP in den Wiesbadener Landtag, dann ist erst einmal die erste Hürde genommen.

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