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Das Ende einer Illusion

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Die ÖVP hat Grund, erschrocken zu sein. Die SPÖ ist erwachsen geworden. Zugleich mit den Kampfjahren, ihrer Sturm-und-Drang-Periode, hat sie auch ihre Jugend abgelegt. Sie präsentiert sich nun mit der Selbstgewißheit dessen, dem Vergangenheit und Zukunft gleich viel bedeuten. Vom nostalgischen „April und Mai und Junius sind ferne“ Hölderlins jedoch verspürt sie nicht einen Hauch. Im Sommer ihrer Existenz schickt sie sich an zu ernten und zu überlegen, was mit dem Kom, das sie jetzt einfahren wird, geschehen soll.

Das sind die Lehren aus dem zu Ende gegangenen Parteitag der österreichischen Sozialisten. Kritiker haben bemängelt, daß er keinen Paukenschlag gebracht hat. Haben sie nur mit halbem Ohr hingehört? Haben sie den dumpfen Trommelwirbel überhört, der diesen Parteitag, vom Grundsatzreferat Bruno Kreis-kys bis zu dessen Schlußwort, ohne Unterbrechung begleitete? Es war ein dumpfes, beklemmendes Trommeln, als würde jemand zu Grabe getragen. Und in der Tat schien ein Leichenbegängnis stattzufinden. Das der großen Koalition. Sie ist nun endgültig tot.

Daß die SPÖ sich liei diesem Parteitag auf sich selbst besinnen wollte, wurde von vielen als ein Zeichen der Schwäche ausgelegt, als ein Zeichen innerparteilicher Unruhe und Uneinigkeit. Die, die so dachten, sind nun eines Besseren belehrt: die SPÖ dürfte aus einer Position der Stärke heraus Gewissenserforschung betrieben haben. Der Versuchung, von einer Kaderpartei, also einer Gesinnungsgemeinschaft, zu einer Wählerpartei, also einer Interessengemeinschaft, sich zu wandeln, hat sie einmütig widerstanden. Ihr Ziel ist höher gesteckt. Sie will als Kaderpartei Staatspartei sein. Und da sie ihre Gesinnung nicht zu ändern und Arbeiterpartei zu bleiben gedenkt, wird sie, damit dieses Ziel erreichbar werde, eben den Staat, wird sie die Gesellschaft verändern.

Für die ÖVP ist in diesem politischen Konzept wohl kein Platz mehr. Sie wird nur noch als politischer Gegner berücksichtigt und apostrophiert, als Opponent gegen die Verwirklichung eines sozialistischen Österreich, der, im Verein mit den anderen bürgerlichen Gruppierungen, nur verzögern, aber nicht aufhalten kann, daß die Sozialisten alle gesellschaftlichen Institutionen dieses Landes durchdringen und umwandeln.

Und doch: nicht Überheblichkeit oder Selbstüberschätzung sprechen aus diesem Konzept. Es fußt auf der nüchternen Überlegung, daß die Entpolitisierung der Massen so groß geworden sei, daß der SPÖ, die sich als Bewegung versteht, eine Politisierung ihrer Kader bis hinunter zum einfachen Mitglied genügen müßte, um nun auch diese Massen bewegen zu können.

Die ÖVP hat also Grund, erschrok-ken zu sein. Und jene treibenden Kräfte inner- und außerhalb dieser Partei,'die in dem von ihnen angestrebten Zusammengehen von „Kurier“ und „Kronen-Zeitung“ eine Art Kostümprobe für die nächste große Koalition erblickten und noch bis zur Vorwoche glaubten, es würde genügen, bei den nächsten Nationalratswahlen eine absolute Mehrheit der SPÖ zu verhindern, um wenigstens partiell wieder an die Macht gelangen zu können — sie haben allen Anlaß, aus ihren eigenen Wolken zu fallen.

Wer der Meinung war, Bundeskanzler Kreisky würde mit seiner unverhohlenen Abneigung gegen eine große Koalition auf die Dauer in seiner eigenen Partei nicht durchkommen, hat sich verrechnet. Als Kreisky dem Parteitag gestand, daß er 1966 nur aus Angst vor dem Aufleben alter Ressentiments gegen das Ende der großen Koalition aufgetreten war, nun aber geradezu erlöst sei, eine Regierung zu führen, die rasche Entscheidungen treffen könne und im übrigen eine Allparteienre-gierung als parlamentarische Farce betrachte, erhielt er demonstrativen Applaus. Als nach ihm Fred Sino-watz dem Parteitag zurief, die Sozialisten dürften nicht Verwalter eines politisch indifferenten, sondern müßten Gestalter eines sozialistischen Österreich sein, war der Beifall ebenso stürmisch wie bei Heinz Fischer, der forderte, in Hinkunft nicht nur auf die Opposition, sondern auch auf die öffentliche Meinung keine Rücksicht mehr zu nehmen und'Maß-nahmen, die der Sozialisierung Österreichs dienten, wie etwa die Verstaatlichung der pharmazeutischen Industrie, eben zu beschließen. Den letzten Funken der bürgerlichen Hoffnungen zertrat dann Wohl Anton Benya persönlich, der auf diesem Parteitag nicht als der maßvolle Gewerkschaftsbundpräsident sprach, der er auch ist, sondern als der eiserne SPÖ-Funktionär, der er immer war: kein Wort über die Zusammenarbeit der Interessenvertreter, dafür ein gezielter Seitenhieb auf den ÖVP-Bundesparteiobmann, dem er mit ätzender Ironie Regierungsformat absprach und schließlich eine Aufforderung an den SPÖ-Kader, jedes einzelne Parteimitglied gegen die Thesen und Phrasen der bürgerlichen Wirtschaftspropagandisten zu immunisieren. Als daraufhin Bruno Kreisky in seinem Schlußwort die Feststellung traf, er betrachte die Wirtschaftspartnerschaft als eine Sublimierung des Klassenkampfes, der nur von der Straße an den Verhandlungstisch verlegt worden sei, konnte sich Benya das Applaudieren ersparen und mit sichtlicher Befriedigung in seinen Sessel zurücklehnen: der Beifall, der dem SPÖ-Ob-mann entgegenbrandete, war von ihm mitprovoziert worden.

Wie gesagt: die SPÖ ist erwachsen geworden. Ihr Selbstverständnis und ihr ungebrochenes Verhältnis zum Staat scheinen auszuschließen, daß sie sich je wieder durch Kompromisse vom Weg abbringen lassen wird, den sie in ihrer Jugend freigekämpft hat. Die ÖVP aber sollte am Ende der Illusion angelangt sein, 1975 mit den Sozialisten koalieren und diesen Zustand in der Ära nach Kreisky mit einer SPÖ unter Gratz oder Androsch verankern zu können. Nicht nur ist die Ära Kreisky bis 1979 verlängert — und fünf Jahre sind in der Politik eine furchtbar lange Zeit: Androsch und Gratz sind in der Opposition gehärtete und in der alleinigen Machtausübung großgewordene Politiker. Letzterer hat erst vor wenigen Monaten in Wien gezeigt, wie man politische Gegner ohne irgendein Federlesen aus Verantwortung und Macht entlassen kann — und ohne Aussicht auf Wiederkehr.

Der ÖVP bleibt nur eine Hoffnung: der Wähler.

Um den wird sie sich selber kümmern müssen.

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