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Das Ende einer Illusion

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Die Botschaft Nr. 8 der Roten Brigaden hat einen jähen Strich unter weitverbreitete italienische Hoffnungen der letzten Tage und Stunden gezogen. Indem die Terroristen für Moros Entlassung aus dem sogenannten Volksgefängnis die Befreiung von nicht weniger als 12 Leidensgenossen aus verschiedenen Strafanstalten verlangen, unter ihnen auch den gefürchteten Rotbrigadistenführer Renato Curcio, haben sie zunächst Papst Pauls Appell zu einer bedingungslosen Freilassung des DC-Präsidenten in den Wind geschlagen. Noch schwerer wiegt - zumindest für den italienischen Staat -die Forderung der „Brigate rosse“ nach einer ausdrücklichen Kapitulation der Democrazia Cristiana: „Die herrschende Partei“ und „Regierungspartei“ soll um die Auslieferung bitten. Es genügt den Terroristen keineswegs, daß Caritas Internationalis, Amnesty International, daß der Vatikan, die Vereinten Nationen oder sonst eine Institution an Stelle der Democrazia Cristiana die Verhandlungen mit den Roten Brigaden führen.

Italien steht am Ende einer großen Illusion, weil landauf, landab viele mit einer solchen indirekten Lösung gerechnet hatten. Mit dem Ausweg über eine internationale Organisation ä la Caritas wäre das Gesicht der Democrazia Cristiana und des italienischen Kabinetts - wenigstens für italienische Begriffe - gewahrt worden. Regierungspartei und Regierung hätten immer sagen können: „Wir sind hart geblieben und haben die Staatsautorität durch dick und dünn verteidigt. Wenn andere Moros Befreiung aus humanitären Erwägungen erwirkt haben, tragen sie - nicht wir - die Verantwortung.“

In ihrer dreißigjährigen Vorherrschaft haben es die italienischen Christdemokraten immer wieder meisterhaft verstanden, den Schwarzen Peter bei schwierigen Entscheidungen auf andere zu schieben. Was von 1945 bis 1954 Alcide de Gasperi ausmachte, ja zum großen Erfolg der DC in den ersten Parlamentswahlen vom 18. April 1948 führte und ihre Hegemonie über Italien verstärkte, ist seit den sechziger Jahren in zunehmendem Maße der klugen Taktik und noch klügeren Strategie Aldo Moros zu verdanken. Die

Roten Brigaden wußten, warum sie gerade Moro entführten. Durch sein Verschwinden ist die Democracia Cristiana gerade um jenen Exponenten gekommen, der dieses Schwarz-Peter-Spiel besser als jeder andere Politiker Italiens, besser auch als Enrico Berlinguer, beherrschte.

Italien hat mit seiner Entführung einen neuen Nationalhelden erhalten. Wie ein Mann verurteilte das italienische Volk die grausame Ermordung der fünf Leibwächter des DC-Präsidenten und distanzierte sich mit jedem Tag, an dem die Staatsorgane vergeblich nach dem Entführten suchten, mehr von den Roten Brigaden, die mit einer Botschaft nach der andern ihre Gewaltakte zu rechtfertigen suchen. Soviel ist in all den langen Wochen seit dem 16. März klar geworden: Die Terroristen sind mit ihren vordringlichen Anliegen - der Diskreditierung der Staatsorgane und der Aushöhlung der demokratischen Einrichtungen - nicht durchgedrungen; wenigstens vorderhand ist ihr Vorhaben jämmerlich gescheitert.

Aldo Moro bemühte sich seit 30 Jah-

ren in zunehmendem Maße um die nationale Einheit und ist schließlich nach seiner Entführung zum Symbol dieser Unitä geworden ... mehr als er es als freier Mann je zuwege brachte.

Zwölf Jahre läng haben Christdemokraten und Linkssozialisten gemeinsam regiert. Nicht zuletzt den Kommunisten und den von ihnen kontrollierten Gewerkschaften ist es zuzuschreiben, daß die sozialen Anliegen der Links-Mitte-Regierung sich nicht erfüllen konnten. Die Kommunisten ließen sich nicht den Wind aus den Segeln nehmen. Als eigentliches Sammelbecken der Arbeiter und Intellektuellen vermochte die KPI fast alle Pläne zur Verwirklichung durchgreifender Strukturreformen zu durchkreuzen, bis die von ihrer angestammten Wählerschaft mehr und mehr verlassenen Sozialisten 1976 die dreizehnjährige Zusammenarbeit mit der Democrazia Cristiana aufkündigen mußten. Moro hat sich von den politischen Ereignissen, auch dieser Absage, nie überraschen oder gar überfahren lassen. Im Bewußtsein der Ungerechtigkeit, rund ein Drittel der Italiener dau-

ernd von der direkten Mitbestimmung der Staatsgeschäfte auszuschließen, streckte Moro schon Ende der sechziger Jahre die Fühler nach der KPI aus. Es ging nicht darum, vor der großen Konkurrentin der Democrazia Cristiana zu kapitulieren, sondern sie ins demokratische Spiel der Kräfte einzu-beziehen, und dafür nutzbar zu machen, bevor es zu spät ist.

Wer unter solchen Vorzeichen in Moro beinahe einen Geheimagenten des Kremls gesehen hat, übersieht da/ Wesentliche an diesem Christdemokraten, der wirklicher Demokrat und auch in seiner Lebensführung wahrer Christ gewesen ist. Moro war stets von der Überzeugung der Demokratie als bestmögliche Staatsform durchdrungen, die gerade durch ihre Betätigung und vermehrte Verwirklichung immer bessere demokratische Lösungen zuläßt, so daß das Heranziehen der KPI ins parlamentarische Spiel der Kräfte die totalitären Züge im Kommunismus vermindern und die demokratischen entsprechend vermehren müßte.

Wir haben noch nicht den zeitlichen Abstand, um entscheiden zu können, ob Moros Bekenntnis zur Demokratie und einer entsprechenden Begegnung mit der KPI wenigstens für Italien den Weg zu einer wirklichen Erneuerung öffnet, ohne die demokratischen Einrichtungen in Frage zu stellen oder gar - wie in den Volksdemokratien des Ostblocks und Chinas - ad absurdum zu führen. Soviel kann jedoch schon heute gesagt werden: Wenn es in Rahen seit den Jahren des Kalten Krieges trotz vielen Mißständen und riesigen Belastungsproben bisher nicht zu einem Total-Chaos, Staatsbankrott oder gar Bürgerkrieg gekommen ist und über kunstvolle und teilweise raffinierte Kompromisse die nationale Einheit gewahrt und die demokratische Staatsform sogar erweitert und vertieft werden konnte, so liegt das Verdienst nicht zuletzt bei Moro. Nach de Gasperi hat Moro unter allen italienischen Politikern der Nachkriegszeit zweifellos das größte staatsmännische Format bewiesen. Tragisch aber auch dies: daß Moros Bedeutung den meisten sten erst nach seiner Entführung ins Bewußtsein getreten ist.

Wieder haben die Christdemokraten nach Moros Entführung ruhig Blut bewahrt und sind - bisher - mit den Roten Brigaden geschickt umgegangen, wenn man bedenkt, daß sie nicht nur die Einheit ihrer Volkspartei sichergestellt, sondern auch die anderen Parteien und die öffentliche Meinung fast ausschließlich für sich und ihren Kurs - hart nach außen und weich nach innen - gewonnen haben. Wie lange sie dies ohne'Moro und im Umgang mit den Terroristen tun können, bleibt allerdings abzuwarten.

Die Roten Brigaden haben in ihren Botschaften eins bis acht, im Turiner Prozeß und in der ganzen Vorgangsweise vor und nach Moros Entführung vom 16. März eine Hartnäckigkeit und Unbarmherzigkeit sondergleichen gezeigt, die der gewohnten Verhandlungstaktik demokratischer Parteien engste Grenzen setzen. Wohlmeinende Appelle zur Menschlichkeit, zum Verzeihen, ja zur bloßen Vernunft scheinen lediglich ihr Hohngelächter heraufzubeschwören.

Die Roten Brigaden wollen die Kapitulation der herkömmlichen parlamentarischen Demokratie liberalen Zuschnitts nicht nur in Worten und glauben, daß in Italien die Stunde der Erfüllung ihrer Träume nahe sei.

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