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Das Evangelium ist die Botschaft

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Der katholische Journalist im Dienste der Verkündigung: Ein Sprachrohr der Hierarchie? Ein Propagandist? Darf er kritisch Stellung nehmen? Muß er es nicht sogar?

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Der katholische Journalist im Dienste der Verkündigung: Ein Sprachrohr der Hierarchie? Ein Propagandist? Darf er kritisch Stellung nehmen? Muß er es nicht sogar?

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Das Evangelium ist die Botschaft. Bei dieser Kurzformel sind einige spezifische Eigenarten des Evangeliums zu beachten, die sich auch in der Weitergabe durch katholische Journalisten auswirken. Dazu gehört zuerst einmal die Tatsache, daß es sich im Evangelium nicht so sehr um eine Lehre, sondern primär um die Person Jesu Christi handelt. Das Evangelium ist Christus — dieses Wort der Väter würde hier besagen: Christus ist die Botschaft.

Darin unterscheidet sich die christliche Botschaft von allen anderen Lehren, Theorien und Systemen, für die die Personen bloß als Autoren, als Urheber und als Lehrer auftreten, nicht aber selber der wesentliche Inhalt ihrer Botschaft sind.

Wenn das Evangelium mit irgendwelchen anderen religiösen, philosophischen, ideologischen oder wissenschaftlich orientierten Weltanschauungen nivelliert wird, geht seine Eigenart verloren.

Damit hängt zusammen, daß es sich im Evangelium nicht um eine Ideologie handelt, sondern um das Geschehen. Alle Deutungen und Erklärungen beziehen sich auf das konkrete geschichtliche Geschehen im Leben, Sterben und in der Auferstehung Jesu Christi und sind deshalb absolut einmalig. Auch wenn sich im Evangelium bestimmte Parallelen und Ähnlichkeiten mit anderen religiösen Schriften und Berichten feststellen lassen, ist das Evangelium als die Botschaft von der Menschwerdung des Gottessohnes und von seinem Erlösungswerk absolut ursprünglich. Auch hier würde jede Nivellierung des Evangeliums mit anderen Berichten über Religionsgründer oder mit verschiedenen Mythologien den Verrat am Evangelium als der Botschaft bedeuten.

Weil das Evangelium Person und Geschehen ist, ist es keine Theorie, sondern Leben. Dies besagt nicht nur, daß es vom Leben spricht, Leben kündet und Leben verspricht, sondern vor allem, daß es Leben zeugt, hervorruft, verändert, gestaltet und deshalb nur im Lebensprozeß angenommen werden kann. Wenn sich die-Adressaten dieser Herausforderung zum Leben entziehen wollen und aus dem Evangelium eine Theorie machen, bleiben ihnen die Eigenart und die Kraft des Evangeliums verborgen.

Aus diesem Grund ist die Verkündigung des Evangeliums keine bloße Information, sondern Aufruf zum Leben, keine Reportage, sondern Verheißung. Man kann die Botschaft des Evangeliums nicht einfach zur Kenntnis nehmen, sondern man muß sich an ihr frei entscheiden.

Die Auseinandersetzung aber erfolgt aus der inneren Kraft des Evangeliums und nicht aus der Propaganda, mit der die Botschaft betrieben wird. Wegen der spezifischen Eigenart des Evangeliums als Gotteswort kann das Menschenwort in der Auslegung der Botschaft nicht völlig gleich sein wie bei anderen literarischen Gattungen.

Welche Voraussetzungen sind zu beachten und welche Bedingungen müssen erfüllt werden, um das Evangelium als die Botschaft weitergeben zu können? Es geht hier vor allem um die persönliche Einstellung zum Evangelium bei jenen Verkündern und Multiplikatoren, die sich in den Dienst des Evangeliums stellen, um es anderen zu vermitteln.

Von einem guten Journalisten sagt man manchmal, daß er mit einer solchen inneren Anteilnahme und Distanz zugleich über eine Frage schreiben soll, daß er auch das Gegenteil mit der gleichen Uberzeugung vertreten könnte. Es bleibe dahingestellt, ob eine solche Qualifikation zutreffend ist oder nicht.

Auf jeden Fall wäre sie für einen katholischen Journalisten im Dienste des Evangeliums völlig unzutreffend. Hier geht es gewiß auch um das fachliche Können, aber es geht zuerst um jenes persönliche Ethos, das eine echte persönliche Uberzeugung voraussetzt.

In dieser Hinsicht hat der katholische Journalist vieles mit den kirchlichen Verkündern des Evangeliums, den Priestern und Bischöfen, gemeinsam. Ja, in gewissem Sinn kann seine Vermittlung der Botschaft noch glaubwürdiger sein, weil nicht eine Amtspflicht dahinter steht und weil er sich in einer stärkeren Tuchfühlung mit dem Leben befindet.

Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß der katholische Journalist nur eine Art Sprachrohr der amtlichen Verkündigung und Speaker der Hierarchie sein sollte. Gerade wegen seines persönlichen Engagements ist sein selbständiges, schöpferisches und kritisches Wort geradezu unentbehrlich.

Nie banal und vulgär

Das Problem, das sich bei der Weitergabe, Auslegung und Anwendung des Evangeliums als der Botschaft für den heutigen Menschen in Europa immer wieder stellt und oft erörtert wird, ist das Problem der adäquaten, angemessenen und verständlichen Sprache. Die Frage hat ihre besondere Dringlichkeit, weil es sich im Evangelium um das Gotteswort handelt, das aber dem Menschen von heute in einer verständlichen und ansprechenden Sprache so nahe gebracht werden soll, daß es für ihn wirklich zur Botschaft wird. Anders wird die Sprache der amtlichen kirchlichen Lehrschreiben, anders die Sprache in der Predigt und wieder anders im Radio und Fernsehen oder in der Zeitung sein.

Was aber den Adressaten betrifft, wird die Sprache, auch wenn man sich noch so sehr um die Verständlichkeit und Anpassung bemüht, nie banal und vulgär sein dürfen. In einer Welt, die von der Technik und menschlichen Erzeugnissen geprägt und vom Zerfall der Kultur und Natur, der menschlichen und ethischen Werte bedroht ist, ist die Sorge um die Sprache um so wichtiger.

Damit hängt zusammen, den Inhalt und den sprachlichen Ausdruckin der Darlegung des Evangeliums als der Botschaft für heute so zu wählen, daß beide aussagekräftig und nahrhaft bleiben. In der Inflation der Wörter und auf dem Markt der Ideologien, Lebensentwürfe und Weisungen für das tägliche Leben tut eine Konzentration auf das Wesentliche und Entscheidende not.

Um einer Säkularisierung wirksam entgegenwirken zu können, ist auf jene evangelischen Wahrheiten und Lebensnormen zu achten, die als festes Fundament für den Aufbau einer neuen geistigen Welt und als sichere Orientierungspunkte für eine innere Klarheit und Festigkeit dienen können. Das bedeutet auf keinen Fall, daß man eine Auswahl aus dem Evangelium nach Mode und Geschmack trifft, sondern daß man die ganze, unverfälschte und unverwässerte Botschaft verkündet.

Auf eine besondere Form der unermüdlichen und geduldigen Belehrung wird man aber im heutigen europäischen Raum besonders zu achten haben: auf den Dialog, auf das ununterbrochene bzw. immer neu aufzunehmende Gespräch. Nachdem weder eine In-doktrination noch eine von oben kommende autoritative Belehrung, weder eine aufdringliche Propaganda noch eine psychologisch suggestive Beeinflussung in Frage kommen, bleibt der Dialog der einzig richtige und mögliche Weg.

Mit welchen Adressaten haben katholische Journalisten heute zu rechnen, wenn sie das Evangelium als die Botschaft weitergeben wollen? Am wenigsten wohl mit solchen, die die Botschaft schon kennen und denen es nur um die Vertiefung und die Anwendung auf unsere Zeit geht. Der Ausfall der Familie, der Schule und der öffentlichen Meinung in der Vermittlung der christlichen Botschaft ist so groß und katastrophal, daß man mit einem stark säkularisierten Publikum rechnen muß. Darunter gibt es natürlich sehr verschiedene Gruppen.

Die größte Gruppe der Adressaten, nicht nur unter jungen Menschen, ist die kritische und skeptische Generation. Ihnen das Evangelium als die Botschaft zu vermitteln ist besonders schwierig. Alle, die es trotzdem tun, werden sich der unerbittlichen Forderung nach Wahrheit und Echtheit sowohl im Inhalt und in der Absicht der Verkünder wie auch in der Art und Weise besonders bewußt. Das Evangelium besteht eine solche Prüfung ohne Schaden. Ob sie die Verkünder unbeschadet bestehen, hängt von ihrer persönlichen Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit ab.

Unter den Adressaten befinden sich auch ausgesprochene Gegner, sei es, daß sie ihre Ablehnung des Evangeliums auch theoretisch begründen, sei es, daß sie mehr aus einer Lebenshaltung des praktischen Materialismus, des Konsumismus und des Indifferentismus die Botschaft des Evangeliums ablehnen oder bekämpfen.

Daß sich katholische Journalisten mit verschiedenen Ideologien, mit vielen Vorurteilen und verallgemeinernden Schlagworten und einer feindlichen öffentlichen Meinung.auseinandersetzen müssen, ist zwar der Form nach in West und Ost verschieden, im Grunde genommen geht es aber um das gleiche Problem. Die Entscheidung darüber, wann man sich in eine Polemik einlassen und wann man Angriffe einfach ignorieren soll, ist nicht immer leicht. Auf jeden Fall wird man darauf achten müssen, daß man sich von der Art und Weise der Angriffe nicht in eine unwürdige und der Sache unangemessene Polemik verleiten läßt. Eine Apologetik um jeden Preis und mit allen Mitteln, auch durch bloße persönliche Gegenangriffe, ist selten von Nutzen.

Es ist zu hoffen, daß auch gläubige und freundlich gesinnte Menschen zu den Adressaten der katholischen Journalisten gehören. Welche sind ihre Erwartungen? Wünschen sie vor allem eine Bestätigung ihrer eigenen Ansichten und Lebensformen? Erwarten sie eher eine Erweiterung ihres Horizontes und eine bessere Begründung ihrer Urteile und Entscheidungen? Sind ihnen An-, regungen zur kritischen Ausein-^ andersetzung mit der geistigen Umwelt willkommen?

In den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde viel von der Verunsicherung und Verwirrung durch die Presse unter der katholischen Bevölkerung gesprochen. Den Journalisten wurden verschiedene links- oder rechtsbetonte Trends angekreidet, die zur Polarisierung in der Kirche und zur Konfrontation unter den einzelnen Gruppen führten.

Gewiß war und ist es nicht leicht, den richtigen Weg zu finden, vor allem, wenn Vertreter der Hierarchie ziemlich andere Forderungen an katholische Journalisten stellen als verschiedene Gruppen oder als Journalisten selber ihre Aufgabe sehen. Die Tatsache, daß die katholische Presse immer mehr Mühe hat, sich gerade unter den Gläubigen und unter der kirchentreuen Bevölkerung zu behaupten und daß es vielerorts zu ernsten Krisen gekommen ist, zeigt, daß es gar nicht so leicht ist, die Gläubigen in der Kirche anzusprechen und ihre Erwartungen zu erfüllen.

Ja zur Kritik

So bleibt nach wie vor für katholische Journalisten eine offene und immer aktuelle Frage, für wen sie schreiben oder schreiben sollen und können. Die Antwort auf diese Frage muß hier offen gelassen werden.

Unabhängig von der Antwort auf diese Frage darf aber auf die Eigenart der geschichtlichen Stunde und auf einige Dimensionen oder Perspektiven hingewiesen werden, die heute in der katholischen Presse so oder anders präsent sind oder sein sollen.

Eine erste solche Dimension ist zuerst einmal die Spannung zwischen der Kirche nach innen und nach außen. Katholische Journalisten müssen dem innerkirchlichen Leben und den Fragen im Inneren der Kirche ihre Aufmerksamkeit schenken, darüber schreiben, berichten und dazu kritisch Stellung nehmen. Wenn sie es nicht tun würden, wer sollte es dann tun?

Daß sie sich aber nicht auf den innerkirchlichen Bereich beschränken dürfen, sondern gerade auch der Begegnung der Kirche mit der Welt, der gegenseitigen Beeinflussung von Kirche und Welt, der gegenseitigen Herausforderung von beiden ihre volle Aufmerksamkeit schenken sollen, ist heute mehr denn je klar.

Die Synthese suchen

Eine zweite Dimension bzw. Perspektive ist die Spannung zwischen Geschichte und Zukunft. In einer Zeit, in der der Sinn für die Geschichte zu schwinden droht, ist das Bewußtsein der geistigen und kulturellen Verwurzelung in der Tradition um so mehr von Bedeutung. Es geht aber nicht um eine Art Restauration der Geschichte und der Tradition, sondern um die Ausrichtung auf die Zukunft.

Die neu auftauchenden Fragen und Aufgaben, die sowohl durch die wissenschaftliche und technische Entwicklung als auch durch die Bedrohung und Gefährdung des Menschen und seiner Umwelt bedingt sind, erfordern nüchterne Offenheit, mutige Auseinandersetzung und große Wachsamkeit. Die Aufgabe der katholischen Journalisten wird wohl vor allem darin liegen, die richtige Synthese zwischen den beiden Polen Geschichte und Zukunft zu suchen und zur geistigen Offenheit und Hellhörigkeit in beide Richtungen zu machen.

Als eine letzte Dimension bzw. Perspektive ist die Ökumene zu nennen. Wenn sich alle Christen und alle christlichen Kirchen ihrer Diasporasituation in der heutigen Welt noch klarer bewußt werden, wird die ökumenische Verständigung und Zusammenarbeit noch dringender empfunden. Sie bekommt dann auch neue Formen zu den nichtchristlichen Religionen, vor allem zum Judentum und zum Islam.

Auszug (gekürzt) aus einem Vortrag am 6. Juli beim ersten Europasymposion der Katholischen Weltunion der Presse (UCIP) zum Thema „Die Verantwor tung des katholischen Journalisten für die Kirche und Europa” in Laibach (FURCHE 28/1985)

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