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Das Expertenwissen ersetzt kein Gewissen

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Wissenschaft, Politik und Ethik - in dieser Themenstellung sind drei verschiedene Begriffe und Sachbereiche zusammengefugt, die in der Realität ihrer Organisation, in ihrer Denkweise und in ihrer täglichen Pragmatik auseinandergefallen sind. Daß Wissenschaft durch die Erkenntnis des Wahren zum Guten hinführte-dieser Anspruch ist ebenso irreal geworden wie der Satz des Aristoteles, daß der Staat nicht bloß um des nackten Lebens willen, sondern um des guten Lebens willen bestehe.

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Wissenschaft, Politik und Ethik - in dieser Themenstellung sind drei verschiedene Begriffe und Sachbereiche zusammengefugt, die in der Realität ihrer Organisation, in ihrer Denkweise und in ihrer täglichen Pragmatik auseinandergefallen sind. Daß Wissenschaft durch die Erkenntnis des Wahren zum Guten hinführte-dieser Anspruch ist ebenso irreal geworden wie der Satz des Aristoteles, daß der Staat nicht bloß um des nackten Lebens willen, sondern um des guten Lebens willen bestehe.

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Die äußeren Anlässe und Denkanstöße zu dieser Themenstellung liegen auf der Hand: Die Krise und drohende Perversion des wissenschaftlichen Fortschritts ist ebenso evident geworden wie die Krise einer Politik, die nicht mehr fragt: „Was sollen wir tun? Was ist gut für uns?“, sondern die nur mehr die Frage stellt: „Was läßt sich machen?“ und alles Machbare macht, ohne zu fragen, ob es auch wirklich erstrebenswert ist.

Angesichts dieser Krise der Wissenschaft und der Politik wird nun nach einer Ethik gerufen, die aber ihrerseits, so hat es leider den Anschein, nicht ganz auf der Höhe der Zeit und ihrem Problembewußtsein steht und die oftmals noch damit beschäftig ist, apologetisch ihre Existenzberechtigung, und sei es nur als jahrzehntelang zur Seite gedrängtes Mauerblümchen, nachzuweisen.

Das Bedürfnis nach einer allgemein verbindlichen Ethik kommt aus der Praxis des Wissenschaftsbetriebes und des politischen Handelns. Und eben aus dieser Praxis muß sich eine Ethik entwickeln, wenn sie wahrhaftig, gültig und verbindlich sein will.

Doch wie dieses Ethos finden? Die Wissenschaft ist zunächst dem Ethos der Wahrheitsfindung verpflichtet. Es gibt keine moralische Grenze der Erkenntnis. Es läßt sich nicht* festlegen, was der Mensch nicht mehr wissen soll - das allein wäre schon logisch eine Unmöglichkeit.

Die Wissenschaft darf aber nicht die Augen davor verschließen, daß ihre Erkenntnisse sofort umgesetzt und angewendet werden, in guter und böser Absicht, zum Nutzen und Schaden der Menschen. Wer vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, ist nicht mehr im Stande der Unschuld. Sich daher auf ein sogenanntes „reines“ Wissen, auf reines Forschungsinteresse zu beziehen, ohne die Verantwortung für die Weitergabe und Nutzanwendung dieses Wissens mittragen zu wollen, geht nicht mehr.

Der Wissenschaftler ist nicht nur dem Erkenntniszuwachs verpflichtet, sondern auch dem Schicksal der Menschen und dem Ganzen der Schöpfung.

Die Krise der Politik ist anders gelagert. Die Politik ist zwar ebenso wie die Wissenschaft das Opfer der von ihr selbst verschuldeten Anspruchserwartungen, das Machbare zu machen, das Unmögliche als das morgen schon Machbare zu versprechen.

Doch anders als die Wissenschaft stand und steht, sollte man meinen, die Politik, die doch genug in Praxis ist, von vornherein unter dem Aspekt der Ethik, also unter dem Aspekt des handelnden Gewissens, und unter der Verantwortung für das Ergebnis dieses Handelns, das ja nicht nur „gut gemeint“ sein darf, sondern auch Gutes bringen muß.

Doch Politik hat dieses Selbstverständnis als ethisch verantwortliches Handeln weitgehend verloren. Sie versteht sich, nicht zuletzt auch als Folge des wissenschaftlich-technischen Weltbildes der Neuzeit, als technisch-pragmatisches Machen und als Herstellen dessen, was angenehm und wünschbar erscheint.

Das fast ausschließliche, jedenfalls aber wichtigste Mittel zu diesem Zweck der Herstellung des Wünschbaren ist heute für die Politik das technisch einsetzbare Wissen. Und zwar nicht nur sozialtechnisches Führungswissen, sondern Experten wissen auf allen Gebieten des Lebens.

Das wäre weiters gar nicht so schlimm, wenn die Politik selbst noch der Bereich wäre, in dem in einer offenen, freien und verantwortungsvollen Kommunikation tatsächlich die Ziele und Zwecke diskutiert und bestimmt würden, wenn hier also der Anspruch der Vernunft des Ganzen und das Ethos des Zusammenlebens zur Sprache kämen.

Das ist, von Ausnahmen abgesehen, nicht der Fall. Verräterisch ist auch hier die Sprache: Einem Politiker verdanken wir die Unterscheidung zwischen Denkern und Machern - was den Verdacht nahelegt, daß die Denker nichts machen dürfen, während die Macher nicht denken können.

Die technisch-pragmatische Politik macht sich paradoxerweise selbst zur Sklavin des Expertenwissens und sogenannter technischer Sachzwänge. Sie legitimiert sich nicht durch eine Diskussion über ethische Normen des Gemeinschaftslebens, sondern sie legitimiert sich durch Expertengutachten - und wenn dabei auch die irrationalste Politik herauskäme.

Das heißt für unser Thema, daß wir mit der hergebrachten Leitvorstellung brechen müssen, daß sie nämlich der Wissenschaftler auf die Forschung beschränken könne und soll, hingegen der Politiker zu entscheiden und dafür die Verantwortung zu tragen habe.

Da die Wissenschaft auf die Entscheidungskompetenz der Politik verweist und die Politik ihrerseits auf die Sachkompetenz der Wissenschaft, bleibt eines obdachlos: die ethische Frage, was gut oder böse, besser oder schlechter ist.

Gewissen im politischen Denken bedeutet aber nicht nur ein emotionales, soziales Engagement oder einen moralischen Appell an die Gesinnung, sondern gleichzeitig einen ständigen Appell an die konkrete Besinnung auf die Verantwortung für die spezifisch menschliche Existenzweise. Es bedeutet, daß der ethischen Vernunft der Primat gebührt, daß das Gewissen die Verhältnisse bestimmt, nicht die Verhältnisse das Gewissen.

Menschliche Vernunftbegabung sieht sich heute nicht mehr nur dadurch verwirklicht, daß sie die Natur und wissenschaftlich objektivierte gesellschaftliche Prozesse beherrscht, sondern setzt sich dem sogar entgegen:

Vernunft entfaltet sich auch und vor allem als Selbstbeschränkung der Verfügungsmacht, als Selbstbeherrschung; als Verzicht darauf, wirklich alle Möglichkeiten des Machens auszunützen - und zwar um der Verwirklichung bestimmter menschlicher Ziele willen. Was von der Politik heute verlangt wird, ist nicht, die Grenzen des Menschen hinauszuschieben, sondern Begrenzungen zu setzen.

Ich habe aus einem Aufsatz von Ten- bruck den pointierten Satz in Erinnerung: „Nicht die Normen begründen ein Ethos, sondern das Ethos die Normen.“ Dennoch wissen wir um die Un zulänglichkeit eines Ethos ohne Normen, denn jedes der beiden Elemente bleibt abstrakt, solange es für sich allein bleibt.

Ich glaube, wir müssen zu konkreten Schritten kommen, die die Verantwortlichkeit des Politikers und Wissenschaftlers auch konkret einforderbar macht - so problematisch und ungenügend Einzelschritte auch sein mögen. Es muß eine Entflechtung von Wissenschaft und Politik geben. Man hat zu deklarieren, wann es sich um wissenschaftliche Erkenntnis und wann um politische Konsequenz handelt.

Und wir brauchen eine Wiedergewinnung der Sprache, nicht nur in den täglichen politischen Zusammenhängen, sondern auch in der Information in der Wissenschaft. Nur so können wir das unbestreitbare Phänomen der Angst, die heute wissenschaftliche Erkenntnisse verbreiten, bekämpfen. Es handelt sich hier nicht um irgendeine Frage, sondern um die Frage der Qualität der Demokratie und deren moralische Kapazität,

Dieser Beitrag ist der gekürzte Auszug eines Referates, das der Wiener Vizebürgermeister, LH-Stv. Erhard Busek, am 22. März anläßlich der 35-Jahr- Feier der Katholischen Hochschuljugend Österreichs in Innsbruck gehalten hat,

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