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Das Fest ohne dich

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Es ist dein Kindheitsmorgen. Tag des frühen Lichts im Sommer, Zeit der Ferien, Tag des Zaubers, da dir heller glänzt die Gasse, unter bloßen Füßen weiß und warm der Sand auf stiebt und von der Hainleite herab aus Din-gelstädt mit Flüchen, Peitschenhieben, Wagengerassel und Gewieher kleiner magrer Pferde die ' Gaukler Einzug halten.

Sie lagern im Oberdorfe, auf dem Anger vor der Schenke, wo sogleich mit Rufen, schrillen Pfiffen, Lärmen das ganz Unerhörte, nie zuvor Gesehene beginnt, da fremde, braunhäutige Kinder aus den Wagen klettern, die du stumm und scheu betrachtest, Männer mit goldnen Ohrringen den Platz ausmessen, mit schweren Hämmern Pflöcke in die Erde schla-

gen, Frauen mit langen Zöpfen durcheinanderschreien in fremder Sprache.

Wie da alles rennt und bunt geschäftig ist, sie ein Gestell errichten, ähnlich einem Riesenreck, mit Masten, die sie an Seilen aus gewundenem Draht fest an Pf lök-ken zurren, wie sie Stahlseile spannen, schwindelnd hoch, mit Kurbeln, Flaschenzügen straffen, wie Musik aus Lautsprechern erprobt wird.

Und der Männer einer, der älteste mit weißem Haar, setzt sich eine Schellenkappe auf, nimmt eine Trommel auf den Rücken, läßt den Schlegel mittels eines Fadenzugs stampfenden Fußes schlagen, trommeln, wie er nach der Ziehharmonika greift, die eine Mundharmonika in Bügelarmen hält, ein ganzes Bündel von Mundharmonikas, die sich um eine Achse drehen.

Er zieht los durch das Dorf, daß du ihm folgen mußt inmitten andrer Kinder, zu denen auch du gehörst, wie sein Ein-Mann-Orche-ster trommelnd, stampfend, klingelnd, pfeifend durch die Straßen sich bewegt, wie's blitzt und funkelt, Staub aufwirbelt, wie es diöhnt und quietschend, klirrend sich bemüht, den denkbar lautesten Lärm zu machen.

Die Frauen in den Höfen rufen: „Die Tataren kommen!", und eilen an die Fenster, an die Türen, zu schauen das Unglaubliche, und wie der Alte hin und wieder, die Stirn sich mit dem Ärmel wischend, stehenbleibt an Straßenecken und mit zerfaserter und seltsam schriller Stimme laut vermeldet, daß die Seiltänzer da sind, daß sie die Anteilnahme aller for-

dem, daß alle, groß und klein und jung und alt, eingeladen sind für fünf Groschen, Kinder zwanzig Pfennig nur. Die Vorstellung beginne am Abend um neun Uhr, sobald es dunkel ist, auch ein Menschenaffe sei zu besichtigen, zwei Meerkatzen, ein Clown sei dabei, die Schau sei einmalig, nur eine Vorstellung finde statt, und wie er singend, weiterstampfend dann erklärt, im Grunewald, im Grunewald sei Holzauktion.

Und alles dieses hören, sehen, aufgesperrten Auges und Ohres und Mundes, entzückter Sinne, lang den ganzen Nachmittag mit

aufgeregtem Herzen, Jubel in den Gliedern, in Vorfreude aufs Wunderbare, das Ereignis werden will - auf Seilen wird getanzt, hoch in der Luft!—, bis dann beim Abendbrot Entsetzliches, nicht Auszudenkendes wird ausgedacht.

Die Eltern beschließen mit nie von dir begriffener, niemals je zu begreifender Begründung, daß sie allein gehen werden, du zu Hause bleibst, weil du noch zu klein bist, die Schau für Kinder deines Alters ungeeignet und zu spät ist — so daß der Bissen, alle Bissen dir plötzlich im Halse steckenbleiben, unkaubar, plötzlich nicht zu

schlucken, sodaß du würgst und dennoch, nicht schlucken kannst, der Bissen in deinem Munde wächst und Hiesig wird, du zu ersticken drohst, sie dich schließlich vom Tisch verjagen, Ferkel, das du bist, und schon so groß, daß man sich deinetwegen ja schämen muß.

Am Abend liegst du wach in deiner Kammer, da es still im Haus ist, alle ausgegangen sind, die Vorstellung der Seiltänzer zu sehen, hast du das Fenster weit geöffnet, kniest dich nun, da es dunkelt, auf einen Stuhl, die Arme auf die Fensterbank gelegt.

und blickst weit über Dächer, über Gärten hin zum Oberdorf, wo fernes Lärmen ist, wo jetzt ein gelbes Licht aufblitzt, ein grünes und ein rotes, wo bunter Schein aufflackert und zum Himmel steigt, wo nun Musik erklingt, ihr Schall dir herkommt über Dächer weit.

Alle sind versammelt, alle außer dir, das Fest zu feiern, das sich niemals wiederholt, das einmalige, das nicht wiederkehrt, nie mehr, an diesem Tage nicht, noch später, denn nur einmal warst du in Erwartung solchen, deines Glücks, das dir unerfüllt blieb.

Nie wieder wirst du je so in Erwartung sein wie an diesem Tag, nie wieder Freude, Hoffnung hegen, die dich erhebend über dein Selbst hinaus, dich derart übersteigt, nie wieder wirst du so dem Augenblicke leben, des vollkommenen Daseins in der Welt dir sicher sein.

Was dich verband mit allem, allen, ist zerrissen, du bist aus der Welt gestoßen, die dich barg, und siehst und hörst von ferne nur, wie es den Atem staut, sich Staunen, Wundern, wie Begeisterung sich dann entlädt in vielstimmigen Ahs und Ohs, wie's jubelt, wirbelt mit Musik, die endlich — da das Fest gefeiert ist — leiser wird, verstummt.

Der Lichter ferner, ungewisser Schein verblaßt, die Gassen hallen noch wider von Stimmen, Schritten derer, die dabeigewesen und die nun heimwärts gehen im Wohlbehagen des genossenen Glücks. Du hast den Menschenaffen nicht gesehen, sahst nicht die Katzen aus dem Meer, auch nicht den Clown, nicht diesen einen, der allein dir wichtig war, nie wurde die Geschichte Klumpe Dumpes dir erzählt, und du wirst sie nie erfahren, nie wieder wirst du diese Seiltänzer je sehen - nur noch den leeren Anger am nächsten Tag —, nie wieder wirst du diesen Tag erleben, hie wieder deines Herzens Jubel mehr verspüren wie an diesem Tag, der dir verging wie deine Zeit danach.

Nur hören wirst du immer, wo du gehst, den fernen, wirren Jubel all der anderen, Musik des Sommerabends, fernes Rauschen über Dächern, Gärten, sehen den Widerschein zuckenden Lichts von ferne und wirst abseits stehen, ohnmächtig, neuem Dasein zu vertrauen, dich hinzugeben aller Welt, dich zu verschwenden im Gefühl der Liebe, das reicher dich dir wiedergibt.

Immer war dir seither, als würde wo ein Fest gefeiert, das nicht dir galt, das nicht das Deine war, zu dem du nicht geladen und an dem du nicht teilhattest.

Und immer hallte es dir fern herüber von Glück und Einklang, quoll der Bissen dir im Hals, verlorst du die kaum gefundene Lust, war Nahrung Abfall, wurde Glück zum Hohn, wurde dir Liebe flüchtig, nahmst du Zärtlichkeiten flüchtig wahr, verdarbst du selbst in dir deines Herzens Wünsche, Sehnsucht nach dem Du der anderen. In Liebe dich erwartend, hätten sie dich bergen können in eine Welt, die du verloren hast, in der doch Liebe ist für Liebe, Trost für Kummer, Linderung für Schmerz und aller Not Erbarmen, wie du weißt.

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