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Das Fragezeichen

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Handelsminister Jean-Luc Pepin wurde oft als der fähigste Minister der Regierung Trudeau bezeichnet. Zuweilen hörte man nach einer Pe-pin-Rede Bemerkungen wie: „Die Quebeker haben den falschen Mann als Premierminister lanciert!“ Die sarkastische Bemerkung richtete sich gegen Pierre Trudeau.

Die Niederlage Pepins in seinem Wahlkreis Drummond war ungewöhnlich dramatisch. Ursprünglich hatte ihn der Kandidat der Social-Credit-Partei (die nur in Quebec reüssierte) mit einer hauchdünnen Mehrheit besiegt. Dann wurde ein Rechenfehler bei der Stimmenzählung entdeckt und Handelsminister Pepin hatte eine Majorität von fünf Stimmen. Eine schließlich unter der Aufsicht eines Richters vorgenommene Überprüfung ergab, daß der populäre Handelsminister 70 Stimmen weniger erhalten hatte als sein siegreicher Widersacher Jean-Marie Boisvert.

Obwohl die von Premierminister Pierre Trudeau geführten Liberalen am 30. Oktober 47 Sitze verloren haben, besitzen sie noch 108 der 264 Mandate. Die von Robert Stanfleld geführten Konservativen erzielten eindrucksvolle Gewinne und kletterten von 73 auf — gleichfalls — 108 Mandate. Den Rest stellten die sozialistischen Neudemokraten mit 31 Sitzen (vordem 25), So-cial-Credit mit 15 (14) und 2 Unabhängige. Nun wollen die durch eindrucksvolle Mandatsgewinne angespornten Konservativen alle Anstrengungen machen, um die Regierung Trudeau baldmöglichst zu stürzen. Neuwahlen im Jahre 1973 sind unvermeidlich — wahrscheinlich werden sie schon im Frühjahr stattfinden. Doch die Konservativen können die Regierung Trudeau nur mit Hilfe der Sozialisten zu Fall bringen. Diese aber benötigen eine „Atempause“ — aus finanziellen Gründen, da ihre Wahlkasse — zum Unterschied von den Liberalen und Konservativen — keine Zuwendungen von Industrie und Wirtschaft erhält.

Obwohl es gelang, die Flammen der Rebellion gegen den Premier innerhalb der Partei zu ersticken, wurde doch bekannt, daß der Abgeordnete Russ Whicher den Rücktritt Trudeaus gefordert hatte. Der Abgeordnete John Reid wieder brandmarkte die Wahlstrategie der Partei als „katastrophal“. Hugh Harries, vordem Abgeordneter von Edmon-ton-Strathcona, in dessen Heimatprovinz Alberta die Liberalen kein einziges Mandat erobern konnten, forderte die Entfernung der Berater Trudeaus. Auch I. H. Asper, Führer der Liberalen von Manitoba, machte aus seiner Unzufriedenheit mit den Parteigrößen in Ottawa kein Geheimnis. Asper berichtete, er werde ihnen „kräftige Ratschläge“ geben, wollte diese aber nicht als „Ultimatum“ bezeichnen.

Die Wahlstrategie der Regierungspartei mit dem Motto „The Land is strong“ war zu einem Zeitpunkt, da die Arbeitslosigkeit auf 7,1 Prozent geklettert war, kaum überzeugend. Auch verärgerte Trudeaus Bemerkung, die Steigerung der Lebensmittelpreise um 9,7 Prozent „war gut für die Farmer“, viele Wähler. Der Umstand, daß die Liberalen 55 ihrer 108 Mandate in Trudeaus Heimatprovinz Quebec eroberten, unterstrich ihre Stärke bei den Frankokanadiern und ihre Einbußen in anderen Gebieten, konnten sie doch in den vier Provinzen westlich von Ontario — in Manitoba, Saskatchewan, Alberta und British Columbia — insgesamt nur sieben Mandate gewinnen. Anderseits zeigten die Wahlen auch die Schwäche der Konservativen in Quebec, da sie hier nur in zwei der 74 Wahlkreise siegten.

Die kommenden Monate werden zeigen, in welchem Ausmaß diese Kluft zwischen Quebec und den englischsprachigen Provinzen den separatistischen „Parti Quebecois“ begünstigt. Gemäß einer kürzlich veröffentlichten Übersicht unterstützen nur 23 Prozent der Einwohner Quebecs, aber 30 Prozent der französischsprachigen Quebeker die Separatisten. Kaum weniger interessant war die Enthüllung der großen Montrealer Tageszeitung „La Presse“, die Einzelheiten über einen „Conflden-tial Report“ erwähnte. Demnach bewerteten 95 hohe Staatsbeamte die Wahrscheinlichkeit einer Sezession Quebecs von Kanada in den nächsten 15 Jahren mit 50 Prozent.

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