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Das Fundament der Zweiten Republik

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40 Jahre Zweite Republik und 30 Jahre Staatsvertrag: Einer der Väter des neuen Österreich erinnert sich an die Stunde Null und fragt, was wir heute daraus lernen könnten.

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40 Jahre Zweite Republik und 30 Jahre Staatsvertrag: Einer der Väter des neuen Österreich erinnert sich an die Stunde Null und fragt, was wir heute daraus lernen könnten.

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Als die Erste Republik mit dem militärischen Einmarsch der Truppen des damaligen Deutschen Reiches ihr Ende gefunden hatte, bedeutete das für die patriotisch gesinnten Österreicher kein „Finis Austriae”.

Wir haben die Ereignisse des 11. März 1938 niemals als den Endpunkt der österreichischen Republik und den Anfang eines provinziellen Daseins unseres Landes aufgefaßt, sondern diese historischen Ereignisse als einen Vorgang mit zeitlich begrenztem Charakter angesehen.

Es ist oft berichtet worden, daß sich die politischen Gefangenen bereits im Sommer 1938 auf der Dachauer Lagerstraße in ihren Diskussionen mit nichts anderem beschäftigt haben als mit dem, was sie machen würden, wenn Österreich wieder frei sein werde. Das war gewiß ein skurriler Gedanke, denn es gab zu diesem Zeitpunkt keinen einzigen realistischen Tatbestand, der solche Gedanken gerechtfertigt hätte.

Trotzdem haben wir darüber diskutiert, ohne auch nur im entferntesten zu wissen, wann Österreich wiedererstehen könnte und ob wir diesen Zeitpunkt überhaupt erleben würden.

Wenn wir heute nach dem Geburtstag der Zweiten Republik fragen, und man darauf zur Antwort bekommt, das wäre der 27. April 1945 gewesen, als die provisorische Staatsregierung unter Karl Renner konstituiert wurde, so ist das nur einer der Geburtstage dieser Zweiten Republik gewesen. Es gab nämlich deren mehrere.

Der erste Geburtstag ist unter Bezugnahme auf das eben Gesagte mit dem Zeitpunkt festzustellen, da wir die Diskussionen über das Wiedererstehen Österreichs im Jahre 1938 aufgenommen haben.

Als nächstes Datum müssen wir die „Erklärung der Alliierten über die Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Österreich”, verfaßt von der Außenministerkonferenz in Moskau und veröffentlicht am 1. November 1943, ansehen.

Als nächster Geburtstag ist die Konferenz von Jalta vom 4. bis 12. Februar 1945 anzusehen, in der die Demarkationslinien zwischen den westlichen Allüerten und der Sowjetunion in Österreich festgelegt wurden.

Dann kommen wir zu dem bereits erwähnten 27. April 1945, an dem Karl Renner seine provisorische Staatsregierung der Öffentlichkeit vorstellte. Diese Regierung kam gewissermaßen unter sowjetischem Protektorat zustande.

Renner, der bereits aus früheren Zeiten in Moskau bestens bekannt war und sich gegen Kriegsende auf seinem Gut in Gloggnitz in Niederösterreich aufhielt, wurde von den Russen aufgefordert, eine Regierung aus Vertretern der ehemaligen österreichischen Parteien, nämlich der Christlichsozialen, der Sozialdemokraten und der Kommunisten, zu bilden.

Hier ist nun über ein eher makabres Zwischenspiel zu berichten. Renner schrieb, um dem Auftrag gerecht zu werden, an den ihm bekannten ehemaligen christlichsozialen Finanzminister und Bürgermeister von Baden, Josef Kollmann, und lud ihn ein, einige Vertreter der ehemaligen Christlichsozialen Partei für die beabsichtigte Regierungsbildung namhaft zu machen. Dabei schrieb er auch folgendes:

. „Jene aber, die sich in herausfordernder und prominenter Weise faschistisch betätigt haben, das ist die engere Dollfuß-Clique sowie die enragierten Heimwehrführer, bitte ich, in der Versenkung verschwinden zu lassen.” Der alte Haß feierte also auch nach siebenjähriger NS-Zeit makabre Urständ!

Wäre der Wunsch Renners in Erfüllung gegangen, so wären Männer wie Leopold Figl, Julius Raab, Felix Hurdes, Ferdinand Graf, Heinrich Gleißner, Ulrich Ilg und manche andere vom österreichischen Wiederaufbau ausgeschlossen gewesen. Renners Wunsch wurde aber von Kollmann nicht akzeptiert.

Nicht vergessen werden darf weiters, als ein Geburtstag besonderer Art, der 25. November 1945, an dem die erste Nationalratswahl und damit die Rekonstruktion des österreichischen Verfassungsgebäudes stattgefunden hat.

Regierung auf Befehl

Schließlich aber war der 15. Mai 1955 mit dem Staatsvertrag der letzte Geburtstag unserer Republik.

Kehren wir nun zum 27. April 1945 zurück. Die Konstituierung der provisorischen Staatsregierung erfolgte also an diesem Tage, und zwar, wie bereits ausgeführt, über Befehl - der harte Ausdruck ist historisch gerechtfertigt — der sowjetischen Besatzungsmacht. Wir erinnern uns daran, daß die westlichen Alliierten erst am 20. Oktober 1945 zur Anerkennung dieser Regierung bereit waren.

Der Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht ging also dahin, eine Regierung aus den Vertretern der drei damals erlaubten Parteien — der ÖVP als Nachfolgerin der Christlichsozialen Partei, der SPÖ als Nachfolgerin der Sozialdemokratischen Partei der Zwischenkriegszeit, und der KPÖ — zu bilden.

Dieser Befehl entsprach aber auch unseren eigenen Vorstellungen — wenn ich das bezüglich der KPÖ auch mit aller gebotenen Einschränkung sagen muß -, denn wir hatten längst in Dachau beschlossen gehabt, daß wir im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit alle zusammenarbeiten wollten. Aus den parteipolitischen Feinden vergangener Zeiten sollten Mitarbeiter und Partner werden!

Die provisorische Staatsregierung, die 39 (!) Mitglieder umfaßt hatte, wurde nach den Wahlen vom 25. November 1945 durch eine parlamentarische Regierung ersetzt, die den innenpolitischen Verhältnissen, wie sie die Wahlen gezeigt hatten, entsprach.

Dazu eine kleine historische Zwischenbemerkung: Vor den Wahlen hatten ÖVP und SPÖ vereinbart, daß die stärkere Partei den Bundeskanzler, die schwächere den Bundespräsidenten stellen sollte. So wurde Figl Bundeskanzler und Renner Bundespräsident. Es war, wenn man so will, der erste Koalitionspakt.

Die Zusammenarbeit der beiden großen politischen Parteien unter vorübergehender Zuziehung eines kommunistischen Ministers entsprang also nicht nur dem schon in Dachau vereinbarten gemeinsamen Willen, sondern auch dem Befehl der allüerten Besatzungsbehörden.

Wobei als eine uns heute skurrü erscheinende Einzelheit vermerkt werden muß: die Zuziehung eines Vertreters der KPÖ hat nicht nur dem Wunsch der sowjetischen Besatzungsmacht, sondern auch dem der westlichen Besatzungsbehörden, insbesondere der Amerikaner, entsprochen. Es gibt zahllose Beispiele, wo provisorisehe österreichische Verwaltungen in den Gemeinden der amerikanischen Besatzungsmacht über deren Auftrag auch einen kommunistischen Vertreter haben mußten.

Aus der Bundesregierung schied der kommunistische Minister allerdings am 19. November 1947 aus. Von diesem Zeitpunkt an regierte bekanntlich die Große Koalition bis zu den Wahlen von 1966.

Diese politische Konstellation der Großen Koalition kam also aus zwei Quellen: nämlich aus unserer eigenen Absicht und aus dem ursprünglichen Auftrag der Besatzungsmächte. Letzteres wird in der historischen Darstellung oftmals vergessen.

Besser wieder gemeinsam

Man hat im Laufe der Zeit viel über diese Große Koalition diskutiert und sie in den letzten Jahren ihres Bestandes, nicht immer zu Unrecht, auch kritisiert. Daß man ihre unabdingbare Notwendigkeit und ihre Erfolge später gerne vergessen hat, muß als ein historischer Irrtum bezeichnet werden.

Wenn heute angesichts der Schwierigkeiten, in denen sich die gegenwärtige Regierungskoalition befindet, ein Umdenken beginnt, so darf man nicht annehmen, daß die Wiederholung eines historischen Beispieles möglich oder gar notwendig sei.

Eine künftige Zusammenarbeit der beiden großen politischen Kräfte des Landes muß natürlich andere Formen und einen anderen Inhalt haben; dies schon deshalb, weü sich eine gewisse Entwicklung zur unmittelbaren Demokratie abzeichnet, die dann, wenn sie nicht ausufert, den Bedürfnissen der Zeit entsprechen wird.

Strenge Koalitionspakte sind sicherlich überholt. Aber eine Zusammenarbeit auf Regierungsebene, die sich auf ein Programm beschränkt, das jede Regierung haben muß, vor allem auf einen Konsens über das Staatsbudget, schließt eine parlamentarische Freiheit mit unterschiedlichen Abstimmungen bei allen anderen Problemen keineswegs aus.

Es ist zu früh, heute Konkretes darüber auszusagen, zumal das Thema vor den nächsten Nationalratswahlen nicht aktuell ist. Aber dann wird man sich sehr genau überlegen müssen, ob ein liberaler Konsens über eine gemeinsame Regierungspoütik für Österreich nicht doch die bessere Regierungsform ist.

Der Autor ist Vizekanzler a. D. und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Creditanstalt-Bankverein.

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