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Das Galilei-Trauma: weiter unbewältigt

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Der Fall Galilei - ein Trauma der modernen Geistesgeschichte: Berührungsängste von Naturwissenschaft und Kirche als Folge. Ein Wissenschaftler schlägt Brücken.

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Der Fall Galilei - ein Trauma der modernen Geistesgeschichte: Berührungsängste von Naturwissenschaft und Kirche als Folge. Ein Wissenschaftler schlägt Brücken.

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Aus der Verurteilung des Galilei durch das Heilige Offizium in Rom im Sommer 1633 ist etwas in die Geistesgeschichte der Neuzeit eingedrungen, das man das „Galilei-Trauma“ nennen kann. Es handelt sich dabei um eine Auseinandersetzung zwischen Kirche und Naturwissenschaft, die nun schon seit dreieinhalb Jahrhunderten andauert.

Unter der kopernikanischen Wende — aus der das „Galilei-Trauma“ hervorging — verstehen wir den im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts sich abspielenden Umbruch in der Anschauung des Sternenhimmels. Bei der vom

Ägypter Claudius Ptolemäus (85 bis 160) vertretenen Anschauung befand sich die Erde im Zentrum der Welt oder,' wie wir heute sagen, des Weltraums: Alle Gestirne drehten sich um die ruhende Erde.

Diese Vorstellung war nahezu eineinhalb Jahrtausende selbstverständlich, für jeden sichtbar Wirklichkeit, bis Nikolaus Ko-pernikus (1473 bis 1542), Domherr zu Frauenburg, die Sonne in ein Zentrum stellte, welches von den Planeten auf ganz bestimmten Bahnen umkreist wird.

Die Erde wurde relativiert, sie war ein Planet unter anderen Planeten. Ihre Zentralstellung war nur scheinbar: Nicht die Gestirne drehten sich um die Erde, sondern die Erde drehte sich um ihre eigene, zwischen Nord- und Südpol verlaufende Achse. Die koperni-kanische Wende ist eine innere Wende: Die Erde wurde aus ihrem jahrtausendealten Ort gerückt.

Wenn man bedenkt, was aus der „Nuova Scienza“, der neuen Wissenschaft, des Galilei geworden ist, so wird ein Beobachter, der sich keiner Möglichkeit verschließt, auch die folgende Möglichkeit nicht von der Hand weisen: Manche der Verantwortlichen der damaligen Kirche könnten aus einem geistlich-geistigen Gespür heraus Galileis An-die-Hand-Nehmen der Natur ablehnend gegenübergestanden sein.

Leider aber wurde nicht die Mechanisierung der Wissenschaft, sondern die „Öffnung“ des Himmels verurteilt. Denn, wie allgemein bekannt ist, drehte sich der Prozeß, der Galilei von der Inquisition gemacht worden ist, um die Frage einer geo- oder heliozentrischen Welt. Also um eine Frage, die in letzter Konsequenz sowohl theologisch als auch naturwissenschaftlich bedeutungslos ist.

Denn die philosophische Arbeit an der modernen Physik des Weltraums, an der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein ergibt, daß die Erde sogar ein materielles Zentrum der Welt sein kann. Max Born schreibt in seinem Buch über „Die Relativitätstheorie Einsteins“, daß die Rückkehr zu des Ptolemäus* Standpunkt der ruhenden Erde ins Belieben gestellt ist. Von Einsteins Standpunkt aus gesehen, haben Ptolemäus und Ko-pernikus gleiches Recht.

Galilei wurde für etwas verurteilt, was keine Sünde ist: das heliozentrische Weltbild, das er mit seinem Fernrohr mit eigenen Augen zu schauen vermochte.

Doch wurde Galilei nicht verurteilt, weil die Inquisition das heliozentrische System für falsch gehalten hätte, sondern weil sie annahm, es stehe im Widerspruch zur Heiligen Schrift, und Galilei

trotz wiederholter Aufforderung nicht in der Lage war, schlüssige Beweise für seine Hypothesen zu erbringen.

Walter Brandmüller, Professor für Kirchengeschichte in Augsburg, berichtet in seinem Buch „Galilei und die Kirche oder Das Recht auf Irrtum“, daß es damals in Rom durchaus Leute gab, die etwas von Astronomie, Mathematik und Physik verstanden. Sie forderten Galilei auf, stringente Beweise für Kopernikus zu bringen, ehe sie sich dazu entschließen könnten, die als einschlägig betrachteten Bibelstellen anders als wörtlich zu interpretieren, um damit den Widerspruch zwischen Kopernikus und der Bibel aufzulösen.

Diese Tatsache ist zu beachten, wenn man das Vorgehen der Vertreter der damaligen Kirche kritisch beurteilen will. Denn es ist wohl ein Unterschied, ob sich die Kirche einer zweifelsfrei erwiesenen Erkenntnis oder einer nicht bewiesenen Hypothese widersetzt.

Galilei allerdings behauptete, die Hypothese sei bewiesene Tatsache, eine Selbstüberschätzung, an der die heutige Wissenschaft immer noch.krankt. ......

Nun, wie dem auch sei, an dem Tag, an dem Galilei im großen Saal des Dominikanerklosters von Santa Maria so-pra Minerva sein heliozentrisches Weltbild widerrief, wurde dem Geistesleben Europas eine Wunde geschlagen, welche sich durch die von Galilei begründete „Neue Wissenschaft“ über alle Erdteile ausgebreitet hat. Sie ist bis zum heutigen Tag nicht geheilt und schwärt aus zwei Gründen weiter.

Zum ersten: Eine wissenschaftliche Erwägung kann nicht durch ein theologisches Verdikt für ungültig erklärt oder gar verboten werden. Wenn Theologie und Wissenschaft sich widersprechen, so hat sich die eine oder die andere von Gott entfernt - oft beide. Ohne Religion gibt es keine Wissenschaft.

Die Frage einer geo- oder heliozentrischen Welt tastet keine Substanz des christlichen Glaubens an.

Es wäre jedoch ein Unrecht, wenn man die Beweggründe für Galileis Verurteilung allein in den politischen Machtansprüchen der Römischen Kurie suchte. Die Mitglieder des Heiligen Offiziums haben sich erwiesenermaßen sehr gewissenhaft und mit Sachkenntnis mit den wissenschaftlichen Arbei-

ten Galileis auseinandergesetzt.

Dabei müssen sie etwas von dem geahnt oder sogar gesehen haben, was hinter dem heliozentrischen Weltbild in der „Neuen Wissenschaft“ verborgen lag: die wirkliche Sünde des Galilei. Es ist dies die Sünde des Hochmuts in der Form der intellektuellen Eitelkeit. Denn Galilei vertrat die Ansicht, daß das „Buch der Natur“ in der Sprache der Mathematik geschrieben sei, sodaß man, wenn man darin lesen wolle, die Mathematik beherrschen müsse.

Gewiß sind einige Seiten des „Buches der Natur“ in der Sprache der Mathematik geschrieben, aber niemals das ganze Buch! Sie umfassen nur jene Kapitel, die das Berechenbare betreffen: nämlich einen Teil der Materie, also einen Teil des Nichtlebendigen der Schöpfung.

Der heute die ganze Ende bedrohende Materialismus mit der

Atomtechnologie und der Genmanipulation als .seine unheilschwangersten Töchter ist eine Folge der Sünde des Galilei.

So ist heute das zweifach verwurzelte „Galilei-Trauma“ in doppelter Weise wirksam geworden. Einerseits haben die Theologen, insbesondere manche maßgebende Vertreter der katholischen Kirche, aus begreiflichen Gründen Angst vor einem zweiten Fall Galilei.

Andererseits wird der weitaus größte Teil der Naturwissenschaftler nicht müde, immer wieder auf den Fall Galilei hinzuweisen, um mit diesem Skandal ihre wertfreie - das heißt, von religiösen Werten freie, also gottlose — Forschung zu rechtfertigen und sich moralisch-ethische Ermahnungen von seiten der Kirche zu verbitten.

Doch hat die zweifache Verwurzelung des „Galilei-Traumas“

nun dazu geführt, daß es heutzutage immer mehr gottesfürchtige Naturwissenschaftler gibt, welche die Theologen beschwören, doch um Gottes willen nicht wissenschaftshörig oder gar wissenschaftsgläubig zu sein.

Aus diesem Grunde befinden wir uns, was das Verhältnis Naturwissenschaft und Kirche anbelangt, in einem tiefgreifenden Wandel. Voll Dankbarkeit anerkennen wir die Bereitschaft von Papst Johannes Paul IL, mit den Naturwissenschaftlern gemeinsame Wege zu suchen, um den heutigen Problemen der Menschheit wirksam entgegentreten zu können.

Aber auch die Erklärung von zwölf Nobelpreisträgern, die 1980 in Rom an die Adresse des Papstes gerichtet wurde, läßt erkennen, daß die Notwendigkeit einer gegenseitigen Annäherung um der Zukunft der Menschheit willen eine Frage des Seins oder Nichtseins geworden ist.

Wir gehen einer guten Zeit entgegen — einer Gotteszeit. Einer Zeit, die sich nicht mehr mit physikalisch-chemischen Erklärungen begnügt.

Der Autor ist Professor für Physikalische Chemie an der Universität Basel. Er hält am 12. und 13. Februar Vorträge im Bildungshaus St. Bernhard in Wr. Neustadt.

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