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Das Gefängnis in Auxerre

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Es ist fast sechshundert Jahre her, daß das Mädchen aus Domremy hier vorbeizog, aber die Stadt sieht in ihrem inneren Kern noch genau so aus wie damals. Verwinkelte Gassen, steile Treppen, große Plätze: so bietet sich Auxerre dem Auge des Besuchers. Natürlich ist sie modern und groß geworden, die Kapitale des Departements Yonne, aber in begreifbaren Grenzen. Wenn das Leben auch pulsiert, die Straßen mit Lärm erfüllt sind, die Bäckereien Wolken von Croissant-Düf-ten ausströmen — es liegt immer ein Hauch beschaulicher Ruhe über den Dächern.

Die Markthalle, einst der Stolz der Stadt, ein Zeichen der Moderne, ist einem Parkplatz gewichen, aber das „Hotel de la Tour” steht noch, man speist im Posthotel, und von der Mairie weht die Trikolore wie eh und je. Ja, sie hat sogar während des Krieges, als Auxerre von den Deutschen besetzt war, geweht, und meine Blicke haben sich oft und oft festgesaugt an dem dreifarbigen Tuch, das mir Hoffnung und Mut vermittelte.

Hier, in der „Nouvelle Galerie”, hat es begonnen, hierher habe ich den ersten Passierschein, der der Schlüssel ins unbesetzte Frankreich war, getragen. Ich hatte ihn „besorgt” für eine Person, deren Leben schon damals, 1941, nur mehr an einem Faden hing.

Madame hatte mich ins Bureau gebeten und mich ersucht, etwas zu tun für die Arme, die im hinteren, schlecht beleuchteten Teil des Geschäfts als Packerin arbeitete. Die stattliche Besitzerin der „Galerie” führte mich an der Hand und zeigte auf eine kleine, grauhaarige Frau, die mit gebeugtem Rücken werkte. „Keine Angst, er ist kein Deutscher”, flüsterte sie und verschwand. Ich stand da in meiner Uniform und bekam nasse Augen, als sich das Weiblein aufrichtete. Auf ihrem schwarzen Clothmantel leuchtete ein gelber Stern. Jüdin. Es muß eigenartig ausgesehen haben, als ich meine Hand ausstreckte und das graue Haar berührte.,,Pas de peur. Ca ira bien.”

Ein paar Tage später war sie drüben und ich — no ja, irgendwie fängt man immer an, denn es gehört ja nicht soviel dazu. Ein wenig Mitleid, ein Quentchen Mut, ein Alzerl Abenteuerlust und eine ordentliche Portion Abneigung -die mit ein wenig Haß gewürzt ist. Nein, ich wollte keiner von denen sein und das auch unter Beweis stellen - nur wie? Das war mir nicht ganz klar. Das Schicksal hat mich in Gestalt der Galerie-Madame an der Hand genommen und mich auf den, wie ich auch heute noch glaube, richtigen Weg geführt.

Nun bin ich wieder in Auxerre, der Stadt, die sich so verändert hat ohne ihr Gesicht zu verlieren. Metternich hatte hier Station gemacht, Baron de Vitrol-les begegnete hier dem Kommandanten des österreichischen Kontingents der Alliierten gegen Napoleon I., Moritz Prinz Liechtenstein, und ich habe hier sieben Monate im Gefängnis verbracht, in einer dumpfen Einzelzelle, denn unsere österreichische Gruppe war aufgeflogen.

Ich erspare mir hier, auf Einzelheiten einzugehen, ich stelle nur fest, daß, trotz Feldstrafgefangenenabteilung, Strafbataillon, Zur besonderen Verwendung-Einheit diese sieben Monate in der Einzelzelle die gräßlichsten, aber auch prägendsten Monate meines Lebens waren. Sieben Monate allein, ohne Papier und Bleistift, kein Buch außer der Bibel und Adolf Hitlers „Mein Kampf”, kein

Mensch zu sehen, außer dem Kerl, der den Freßnapf brachte, dem Pfarrer und einem französischen Häftling, der Kalfaktorarbeiten verrichtete und unser Verbindungsmann war.

Napoleon ließ Marschall Bernadette einmal, eher aus Jux, für drei Monate ins Chateau d'If bei Marseüle bringen, um ihn dort von aller Menschenwürde fernzuhalten. So kam ich mir in meiner Zelle vor. Wen wundert es, daß es mich dort immer wieder hinzieht?

Heute, als freier Mann, hause ich im 8 Kilometer von Auxerre liegenden Novotel, und wenn ich in die Stadt will, fahre ich an „meinem” Gefängnis vorbei. Früher stand es weit draußen vor den Toren, heute ist es eingekeilt zwischen Tankstellen, Lagerhäusern und Villen mit zärtlich gepflegten Vorgärten. Fernsehantennen ragen aus dem Dach und lassen das Kreuz der Gefängniskapelle klein erscheinen. Ein Symbol unserer Zeit?

Ich hatte im stillen gehofft, daß der alte Kasten (er ist mindestens 120 Jahre alt) geschleift sein würde und war betroffen zu sehen, daß dort, wie im gegenüberliegenden psychiatrischen Krankenhaus, noch immer Menschen eingesperrt sind. Eingekerkert zwischen Mauern, die mehr Stöhnen, Weinen und Fluchen gehört haben als Beten und Singen. Eine Fernsehkamera beobachtet den schmalen Einschlupf in das steinerne Inferno meiner Jugend. Mir wird der Eintritt zur Besichtigung verwehrt. Höflich, aber bestimmt. Also bleibt mir nichts übrig, als mich vor der Gedenktafel zu verneigen, die neben dem Haupteingang angebracht ist und von „Ehre denen, die hinter diesen Mauern getötet, gefoltert und gequält wurden - zur Ehre Frankreichs” spricht. Ich schließe eine Sekunde die Lider; Erinnerungen rasen durch meinen Kopf. Ich versuche, die Rührung niederzukämpfen. Zur Ehre Frankreichs — ja, aber auch „um der Freiheit Österreichs willen” möchte ich dazuschrei-ben.

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