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Das Geheimnis der 180-Grad-Wendung der ,Gallokommunisten'

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Francois Bondy, Schweizer Publizist von europäischem Format, gilt in journalistischen und politischen Kreisen als Intimkenner der politischen Szenerie Frankreichs. Anläßlich eines internationalen Seminars des Europahauses Salzburg über „Orthodoxie und Revisionismus im europäischen Kommunismus“ referierte Bondy über „Marxisten und .nouveaux philoso-phes' in Frankreich“. Die FURCHE benutzte die Gelegenheit, um sich mit dem eidgenössischen Spitzenjournalisten über die Rolle der KPF im heutigen Frankreich eingehender zu unterhalten.

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Francois Bondy, Schweizer Publizist von europäischem Format, gilt in journalistischen und politischen Kreisen als Intimkenner der politischen Szenerie Frankreichs. Anläßlich eines internationalen Seminars des Europahauses Salzburg über „Orthodoxie und Revisionismus im europäischen Kommunismus“ referierte Bondy über „Marxisten und .nouveaux philoso-phes' in Frankreich“. Die FURCHE benutzte die Gelegenheit, um sich mit dem eidgenössischen Spitzenjournalisten über die Rolle der KPF im heutigen Frankreich eingehender zu unterhalten.

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FURCHE: Nach den Wahlen in Frankreich tauchten in einigen westeuropäischen Zeitungen Schlagzeilen auf, die da meinten, der Eurokommunismus hätte bei den französischen Wahlen eine entscheidende Niederlage erlitten. Wurde der Vormarsch der Eurokommunisten am 19. März in Frankreich tatsächlich gestoppt?

BONDY: Gleich vorweg: Die italienischen und spanischen Kommunisten haben eine andere Sprache als die KPF. Speziell in den letzten sechs Monaten, wo die französischen Kommunisten außerordentlich hart und eingekapselt, eher streng dogmatisch gewesen sind. Das betrifft nicht so sehr die Ideologie, vielmehr die Sorge um politische Abgrenzungen, so daß man eigentlich schon eine ganze Weile einen italienischen und spanischen Eurokommunismus sieht. In Frankreich hat man jedoch von „Gallo-Kommunismus“ gesprochen, das nationale Element also viel stärker betont als das europäische. Auch das Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft ist bei den französischen Kommunisten im großen und ganzen ja auch negativ, während es bei der KPI und KPSp positiv anzusehen ist. Ich würde bei den Eurokommunisten also differenzieren: Die Franzosen betonen den Nationalismus, hatten bei den Wahlen sogar den Slogan: „Wir wollen uns weder aus Washington noch aus Bonn oder Brüssel irgend etwas befehlen lassen.“ So etwas hat man in Rom nicht gesagt.

FURCHE: Demnach wurde nicht der Eurokommunismus, sondern der stark nationalistisch geprägte französische Kommunismus gestoppt?

BONDY: Der französische Kommunismus hat sich wie immer behauptet. Für ihn war die große Gefahr nicht ein Sieg des bürgerlichen Lagers, sondern eine zu große Stärkung der sozialistischen Partei, die in den letzten zwei Jahren sehr schnell gewachsen ist und die Kommunisten doch zum ersten Mal seit dem Krieg überrundet hat. Die KPF mußte be-

fürchten, daß die Sozialisten durch den gemeinsamen Sieg noch stärker würden, weil sie mehr als die Kommunisten als vertrauenswürdige linke Regierungspartei erschienen und eben eine ganz andere Art Offenheit an den Tag legten. Daher war für Marchais das Stoppen der Sozialisten vordringlich. Den Verlust der Wahlen, die sonst vielleicht zu gewinnen gewesen wären, hat die KPF ziemlich leichten Herzens in Kauf genommen. Die eigene Partei sollte jedoch nicht unter 21 Prozent fallen, um nicht auf einmal als Zwergpartei' dazustehen. Insofern fühlen sich die französischen Kommunisten nach diesen Wahlen gar nicht als Verlierer.

FURCHE: Zuletzt - vor allem nach den Wahlen - wurde von politischen Beobachtern in Paris kommentiert, die KPF wollte bei dieser Gelegenheit noch gar nicht an die Hebel der Staatsmacht gelangen. Dasselbe wird schon seit längerem von den italienü sehen Kommunisten behauptet. Ein taktisches Manöver dieser beiden wichtigsten kommunistischen Parteien Westeuropas? Was steckt hinter dem Gedanken?

BONDY: Das bedarf einer genauen Analyse. Die französischen Kommunisten haben einige Jahre lang alles

getan, um die Chancen an die Macht zu kommen, auszunützen. Sie haben sich den Sozialisten in diesem Geist auf das Erstaunlichste untergeordnet, waren im „Gemeinsamen Programm“ sehr maßvoll, genauso in ihrem Anspruch auf Ministerien. Ja sie akzeptierten den Sozialisten Mitterand sogar als einzigen Kandidaten der Linken in der Präsidentschaftswahl. Die KPF hatte also so gehandelt, als wollte sie gemeinsam mit den Sozialisten in die Wahl ziehen und sie gewinnen. Irgend einmal - vielleicht durch das schnelle Wachsen der Sozialisten, vielleicht aus anderen Gründen - haben sie ihren Kurs ganz brüsk und schnell gewechselt - zur großen Überraschung der Sozialisten! Die Kommunisten taten von diesem Zeitpunkt an alles, um diese Wahlen zu verlieren. Selbst das „Gemeinsame Programm“ wurde vor aller Öffentlichkeit unplausibel gemacht. Gegen die Sozialisten wurde etwas geführt, was man mit Moskauer Prozessen vergleichen konnte: ständige, immer schärfer werdende Anklagen. Hatte sich die KPF selber zuvor noch reformistisch gegeben, sagte sie nun plötzlich: Die Sozialisten wollen nur das System reformieren, wir wollen eine völlige Neuordnung. Das war ganz ihre revolutio-

näre Sprache von früher. Während sie also einige Jahre früher immer auf die Regierungsteilhabe hingesteuert hatten, schienen sie auf einmal keine Lust mehr zu haben. Alle Leute wissen anscheinend Bescheid, warum das passiert ist. Ich glaube, es bleibt ein bißchen geheimnisvoll, jedenfalls bin ich selber nicht sicher warum. Es war einfach nicht in der Logik von dem, was die KPF gemacht hat, sondern irgendwann hat sie sich um 180 Grad gewendet. Das müssen wir feststellen.

FURCHE: Und was die KPI betrifft?

BONDY: Das ist natürlich ein ganz anderes Problem: Je mehr die von Kommunisten zum Teil selber geformten Jungen heute bei den Terroristen das finden, was sie früher bei den Kommunisten gefunden hatten, nämüch die absolute Opposition zum Staat, zur Polizei, Armee und bürgerlichen Gesellschaft - in dem Maß erscheinen die Kommunisten heute als eine vernünftige und fähige Ordnungspartei. Die Unordnung der extremen Kommunisten fördert demnach die Chancen der KPI als regenerierte Ordnungspartei. Das muß kein taktisches Zusammenspiel sein.

Aber faktisch gerät alles, was die ultralinken Terroristen tun, Berlinguer zu seinen Gunsten. Auch das können wir einfach nur feststellen.

FURCHE: Um auf Frankreich zurückzukommen. Marchais hat noch am Abend, als der Sieg der bisherigen Regierungsmehrheit feststand, erklärt, der Kampf gehe weiter. Könnte dieser Kampf in Zukunft härter werden, ja ein Ausmaß annehmen, wie er im Mai 1968 den gesamten französischen Staat erschüttert hatte? '

BONDY: Man hatte tatsächlich mit einer Streikwelle gerechnet, von der heute aber überhaupt nichts zu sehen ist. Die studentische Jugend ist beinahe erschütternd brav, gar nicht mehr zu vergleichen mit der großen Bewegung von 1968 und noch nachher. Das alles kann sich sehr schnell ändern. Auch 1967 war die Jugend unerhört still und auf einmal brach's los. Wenn es von der Wirtschaft her weiterhin schlecht geht, weü ganze Zweige der französischen Industrie, wie Stahl, Schiffbau oder Textü in der internationalen Konkurrenz zur Zeit sehr schlecht bestehen und eigentlich noch kein rechter Ersatz dafür da ist, kann das natürlich noch recht viele unberechenbare Spannungen erzeugen. Aus der politischen Lage als solcher kann man aber jetzt nichts Negatives herauslesen. Auf kurze Frist sieht es also nicht so aus, als ob es noch einen dritten Wahlgang geben würde - nämlich die sozialen Bewegungen -, den die Linke prophezeite. Frankreich hat im Moment weniger wichtige Streiks als die Bundesrepublik Deutschland, als Italien, als England, obwohl es als Land der großen tumultösen Streiks gilt. Das stimmt schon für die letzten drei Jahre kaum mehr. Die Wahlen scheinen den Leuten auch nicht ein großes Siegesgefühl und Vormarschlust gegeben zu haben. Zunächst ist eher das Gegenteil der Fall.

Mit Francois Bondy sprach unser Re-, daktionsmitglied Burkhard Bischof.

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