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Das Geheimnis der Insel der Seligen

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Die österreichische Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Finanzen versuchen immer wieder, die Inflation, die Staatsverschuldung und die Steuerbelastung als Preis für die in Österreich trotz weltweiter Rezession erhaltene Vollbeschäftigung zu rechtfertigen. Es wird damit die Erwartung genährt, das enorme Budgetdefizit könnte nach Wiederanläufen der Konjunktur wieder auf ein tragbares Niveau reduziert werden. Der Zustand der Vollbeschäftigung wird an der offiziellen Arbeitslosenrate gemessen, die mit 2 Prozent des Arbeitskräfteangebotes im Durchschnitt des Rezessionsjahres 1975 sowie 1976 im Vergleich zu anderen Industriestaaten verhältnismäßig gut liegt.

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Die österreichische Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Finanzen versuchen immer wieder, die Inflation, die Staatsverschuldung und die Steuerbelastung als Preis für die in Österreich trotz weltweiter Rezession erhaltene Vollbeschäftigung zu rechtfertigen. Es wird damit die Erwartung genährt, das enorme Budgetdefizit könnte nach Wiederanläufen der Konjunktur wieder auf ein tragbares Niveau reduziert werden. Der Zustand der Vollbeschäftigung wird an der offiziellen Arbeitslosenrate gemessen, die mit 2 Prozent des Arbeitskräfteangebotes im Durchschnitt des Rezessionsjahres 1975 sowie 1976 im Vergleich zu anderen Industriestaaten verhältnismäßig gut liegt.

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Was in der Diskussion regelmäßig übersehen wird, ist die Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit in Österreich kaum durch erfolgreiche antizyklische und damit vorübergehende Budgetausgaben - die sind nach der Studie des Instituts für Höhere Studien1 relativ gering -, sondern vielmehr durch direkte Eingriffe in den Arbeitsmarkt niedrig gehalten wird. Es handelt sich dabei um folgende Maßnahmen:

• eine kräftige Reduktion der in Österreich beschäftigten Gastarbeiter,

• direkte Kündigungsverbote im Bereich der verstaatlichten Industrie sowie im Konzernbereich der verstaatlichten Banken,

• Frühpensionierungen und Arbeits- zeitverkü rzungen,

• Kurzarbeit, die aus den Mitteln der Arbeitsförderung finanziert wurde.

1 Schließlich wurde ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit durch eine starke Zunahme der Beschäftigten im öffentlichen Dienst verhindert.

Das sind größtenteils (Frühpensionierungen, Vergrößerung des Verwaltungsapparates der Gebietskörperschaften, Arbeitszeitverkürzung) Staatsausgaben, die Dauerbelastungen des Budgets zur Folge haben. Sie können nicht wieder zurückgenommen werden, wenn ein neuer Aufschwung die Arbeitslage wieder verbessert. Sie entlasten nicht die konjunkturbedingten Beschäftigungsschwankungen, sondern bewirken eine strukturelle Änderung des Arbeitsmarktes, die einer wieder verstärkten Nachfrage nach Arbeitskräf ten nicht leicht wieder angepaßt werden kann.

In welcher Größenordnung wurde der österreichische Arbeitsmarkt 1975 - dem Tiefpunkt der Rezession - durch diese Maßnahmen entlastet?

• Die Reduktion der Gastarbeiter betrug in Österreich 1975 gegenüber dem Stand von 1973 (vor Eintritt der Rezession) 41.205 Personen, d. s. 1,55 Prozent des Arbeitskräfteangebotes.

• Die Hortung von Arbeitskräften ist ziffernmäßig nicht leicht zu erfassen. Als „Hortung“ bezeichnet das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung2 im weitesten Sinne des Wortes nicht nur das Halten von Arbeitskräften, die aus unternehmenspolitischen oder sozialen Gründen zur’Produktion nicht benötigt werden, sondern auch als Folge von Aktivitäten der Arbeitsmarktverwaltung (Kurzarbeiterunterstützung für 6500 Arbeitskräfte im ersten Halbjahr 1975 oder Zuschüsse für die Schulung unterbeschäftigter Arbeitnehmer). Alles in allem schätzt das Institut den Rückgang der Arbeitskräftenachfrage auf Grund der „Hortung“ von Arbeitskräften 1975 auf 40.000 bis 45.000 Beschäftigte, also rund 1,5 bis 1,7 Prozent des Arbeitskräfteangebotes. Angesichts der nur mit 10.000 angenommenen versteckten Arbeitslosen in der Industrie und den bekanntgewordenen unterbliebenen Kündigungen im Bereiche der verstaatlichten Industrie und der Konzembetriebe der verstaatlichten Banken bedeutet die Schätzung des Instituts wohl eine Untergrenze (für die Schweiz wurden bei einer Arbeitslosenrate von 1,5 Prozent für 1976 die auf Grund arbeitsmarkt-

politischer Maßnahmen Beschäftigten, die auf dem Arbeitsmarkt keinen Arbeitsplatz finden konnten, Ende 1976 auf 4,7 Prozent des Arbeitskräftepotentials geschätzt!3).

• Das Ausmaß der Frühpensionierungen gibt wenig Aufschluß darüber, wieviele auf Grund der mangelnden Auftragslage erfolgt sind, da die Frühpensionierung eine relativ junge Einrichtung ist und infolgedessen kein längerfristiger Trend festgestellt werden kann. Die stärkere Zunahme von 1973 auf 1974 ist mit 2730 zusätzlichen Neuzugängen nicht sehr bemerkenswert. Würde man die Neuzugänge (16.365 und 16.736) für 1974 und 1975 zur Gänze als versteckte Arbeitslosigkeit betrachten, so würde das einer Arbeitslosenrate von rund 0,6 Prozent entsprechen. Wertet man den gesamten Stand der Frühpensionisten als versteckte Arbeitslosigkeit, so würde das bei zirka 50.500 Empfängern der vorzeitigen Alterspension (Stand vom Dezember 1975) zirka 1,8 Prozent des Arbeitsangebotes ausmachen.

• Es ist auch sehr schwierig, aus den verfügbaren statistischen Unterlagen direkt den Zuwachs der Bediensteten der Gebietskörperschaften zu entnehmen. Die Wirtschaftsklassen-Statistik des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger enthält als Klasse XXIV die Beschäftigten der Sozialversicherungsträger, der Interessenvertretungen und der Einrichtungen der Gebietskörperschaften. Da die Sozialversicherungsträger und Interessenvertretungen bestrebt waren, ihren Apparat möglichst klein zu halten, dürfte der Zuwachs dieser Wirtschaftsklasse hauptsächlich die Expansion der Beschäftigten der Gebietskörperschaften ausweisen.

Die Beschäftigten dieser Klasse sind von Jänner 1974 (als Indiz für 1973) (435.284 Beschäftigte) bis Jänner 1976 (464.620) um 29.336 und bis Juli 1976 (471.926) um weitere 7300 angestiegen. 1 Prozent des österreichischen Arbeitskräfteangebotes sind - noch langsam ansteigend - rund 27.000 bis 28.0004, so daß die Auffüllung der Dienstposten der Gebietskörperschaften 1975 die Erhöhung der Arbeitslosenrate um einen vollen Prozentpunkt, bis Juli 1976 um 1,4 Prozentpunkte verhindert hat.

Der Bund hatte 1976 und 1977 um 8111 und 5247 mehr Beschäftigte als 1973. Es handelt sich dabei größtenteils um Auffüllung von Dienstposten, die während der Hochkonjunktur nicht besetzt werden konnten. Auch wenn sie, wie im Falle der Lehrer, Polizisten oder Finanzbeamten sicherlich gebraucht werden, so erhöht ihr Zuwachs doch das - auch im internationalen Vergleich - globale Mißverhältnis der österreichischen Hoheitsverwaltung im Vergleich zur Bevölkerung. Mit der Erhöhung der Beschäftigten des Bundes und der anderen Gebietskörperschaften erhöhen sich aber auch die Budgetdefizite, die auch bei besserer Konjunktur nicht wieder ohne weiteres korrigiert werden können.

• Für die Reduktion der Arbeitskräftenachfrage auf Grund der Arbeitszeitverkürzung von 42 auf 40 Wochenstunden, die unter „normalen“ Arbeitsmarktbedingungen nicht sofort, sondern in einigen Etappen vollzogen worden wäre, nimmt das Wirtschaftsforschungsinstitut5 rund 5 Prozent des Arbeitsvolumens an.

Einige der hier genannten Wege hat dieses Institut kürzlich6 ebenfalls als Ursache für die geringere Belastung des österreichischen Arbeitsmarktes durch die Rezession 1974/75 genannt, wie Gastarbeiterreduktion, Umschulung und Weiterbildung, Arbeitszeitverkürzung. Die Zunahme der Staatsbediensteten wird mit „Verschiebung der Beschäftigungsstruktur vom sekundären in den arbeitsintensiveren tertiären Sektor“, also von der Industrie zum Dienstleistungssektor, umschrieben.

Die auf Grund dieser Maßnahmen verhinderte Zunahme der Arbeitslosigkeit hat sicherlich soziale Vorteile, die kurzfristig für die Betroffenen zweifellos sehr günstig sind, sie bela-

sten jedoch die Entwicklung der Produktivität, sowohl gesamtwirtschaftlich7 als auch die Produktivität der einzelnen Betriebe (etwa im Falle der Hortung) und damit ihlie Konkurrenzfähigkeit Sie erschweren, sie verhindern sogar teilweise den Anpassungsprozeß, auf dessen Notwendigkeit jede Konjunkturschwankung aufmerksam macht Würden die so Beschäftigten nicht aus dem Arbeitsmarkt genommen worden sein oder beim Staat Beschäftigung gefunden haben, würde sich die offizielle Arbeitsrate für 1975 um folgende Prozentpunkte des Arbeitsvolumens erhöht haben:

Offizielle Arbeitslosenrate 1975 . 2,0% Hortung von Arbeitskräften 1975 1,7%

Neuzugänge an Frühpensionierungen 1975 0,6%

Reduktion der Gastarbeiter 1975 1,6%

Zuwachs der öffentlich

Bediensteten 1975 1,0%

Reduktion der Arbeitszeit 5,0%

Die einfache Addition aller dieser Daten zu einer fiktiven Arbeitslosenrate ist sicherlich nicht möglich. Auch wenn die Reduktion der Arbeitszeit die Arbeitsmarktlage in Österreich sehr wesentlich entspannt hat, kann sie wohl kaum als versteckte Arbeitslosigkeit bezeichnet werden. Diese Prozentpunkte zeigen aber doch immerhin, wie stark der österreichische Arbeitsmarkt durch Maßnahmen entlastet wurde, die nichts mit einér antizyklischen Konjunkturpolitik zu tun haben und daher auch nicht als Ursache eines antizyklisch bedingten, vorübergehenden Budgetdefizits betrachtet werden können.

Diese für 1975 quantifizierten Maßnahmen finden 1976 ihre Fortsetzung in einer wohl im großen und ganzen ähnlichen Größenordnung: die Neuzugänge oder der Gesamtstand der Frühpensionierungen, die reduzierte Gastarbeiterbeschäftigung, die natürlich anhaltende Arbeitszeitverkürzung, der erhöhte Stand der öffentlich Bediensteten (per Juli 1976 gegenüber 1973 sogar 1,4 Prozentpunkte). Daß auch die arbeitsmarktpolitische Hortung von Arbeitskräften im Bereich der verstaatlichten Industrie nach wie vor ins Gewicht fallt, kam anläßlich der dramatischen Lohnrunde des Metallsektors zur Sprache.

Abgesehen davon, daß die Arbeitslosenraten verschiedener Länder nicht ohne weiteres vergleichbar sind (eine Rate von 4,5 Prozent in den USA entspricht etwa 2 Prozent in Großbritannien und 1 Prozent in Japan), muß sicherlich auch berücksichtigt werden, daß einzelne der genannten Maßnahmen auch in anderen Industrieländern ergriffen wurden. In Österreich aber ist es gelungen, durch eine Kumulierung aller in diesem Beitrag genannten, das Anwachsen der offenen Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Die Wirkungen dieser Maßnahmen auf den Arbeitsmarkt dürfen aber wegen ihrer Größenordnung und im Hinblick auf ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen bei der Beurteilung der Auswirkungen der Rezession auf den österreichischen Arbeitsmarkt keineswegs übersehen werden, da diese Maßnahmen bei einem neuerlichen Konjunkturrückschlag nicht ohne weiteres wiederholbar sind und die Wirtschaftsprognostiker (das Institut für Höhere Studien, aber auch das Wirtschaftsforschungsinstitut) für den Fall der nächsten Wachstumsab- schwächung wegen des kräftig zunehmenden Arbeitskräfteangebotes ernste Arbeitsmarktprobleme fürchten.

1 H. Glück - H. Suppanz, Die Auswirkungen der Investitionsbelebungsmaßnahmen der Bundesregierung auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den Jahren 1975/76, Wien, Dezember 1975.

2 Felix Butschek, Der österreichische Arbeitsmarkt in der Rezession 1974/75, in: Monatsberichte 10/1975.

3 EFTA-Bulletin, März 1977, S. 17.

4 Das Arbeitskräfteangebot ist von 2,65 Millionen (1973) auf 2,79 Millionen (Nov. 1976) angestiegen.

s Felix Butschek, Der österreichische Arbeitsmarkt in der Rezession 1974/75, in: Monatsberichte 10/1975.

6 Gudrun Biffl, Der Einfluß der Konjunktur auf die Struktur der Arbeitslosigkeit in Österreich, in: Monatsberichte 2/1977, S. 55.

7 Auch das Sekretariat der OECD warnte davor, daß dieser Weg zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit die Entwicklung der Produktivität belastet

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