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Das gelbe Kuvert

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Man erinnert sich: Im Sommer 1975 hatte die Volkspartei nach der Wahl ihres neuen Obmanns Josef Taus einen erfolgverheißenden Wahlkampfanlauf. Dann steckte ein prominenter ÖVP-Einzelgänger einem Journalisten im gelben Kuvert 100.000 Schilling zu, was dieser auffliegen ließ. Von jenem Moment an irritierten Unsicherheit, Verwirrung und ein Mangel an Selbstbewußtsein die ÖVP. Am Tag der Stimmabgabe mochte kein Wähler mehr an das gelbe Kuvert denken - aber es hatte genügt, daß der ÖVP-Wahlkampfzug beizeiten entgleist war.

Manche besonnene Beobachter der Wahlkampfszene fürchten nun allen Ernstes, daß das unkoordinierte Aufflammen der Debatte um die Fristenlösung ungewollt die Funktion des gelben Kuverts im Wahlkampf 1979 erfüllen könnte. Wer das nicht will, müßte mithelfen, die unglückliche Debatte rasch einzufrieren.

Unglücklich ist die Debatte natürlich nicht vom Thema her. Unglücklich ist und bleibt vielmehr, daß mit der sogenannten Fristenlösung die Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten auch in Österreich gesetzlich freigegeben worden ist. Daß die SPÖ mit hauchdünner Mehrheit diesen Parlamentsbeschluß brutal durchgeboxt und damit die Uberzeugung vieler Christen in diesem Land höhnisch mißachtet hat, bleibt in den Augen der vielen Abtreibungsgegner ein Affront, den sie nicht vergessen können.

Diese Kämpfer für eine gewaltfreie Lösung sozialer Probleme (und das sind sie!) sind es satt, von Fanatikern der Regierungspartei und journalistischen Gesinnungsgenossen als „gewisse Propagandisten“ und „wirklichkeitsfremde Streiter“ (so die „Kronen-Zeitung“ vom letzten Sonntag) verhöhnt zu werden. Sie waren daher verständlicherweise verbittert, als dieöVP-Frauenleiterin Herta Haider deutlich machte, die ÖVP würde im Fall eines Wahlsieges nicht von sich aus initiativ in Richtung Beseitigung der Fristenlösung werden.

Daraufhaben einige Aktivisten der „Aktion Leben“ wie KA-Präsident Eduard Ploier, aber auch Weihbischof Helmut Krätzl, verantwortungsbewußt und vernünftig reagiert. Anderen gingen die Nerven durch und sie erklärten vor surrenden Fernsehkameras, Hunderttausende würden es sich nun überlegen, ÖVP zu wählen.

Nun muß die Frage, ob ein Christ ÖVP, SPÖ oder FPÖ wählen soll, jeder mit seinem eigenen Gewissen ausmachen. Aber eins ist jenseits aller Zweifel sicher: Wenn wegen katholischer Proteststimmen die ÖVP die Wahl mit Bomben und Granaten verliert, wird die Fristenlösung sicher nicht abgeschafft! Es muß also einer, ehe er seine amateurpolitischen Sprüche ins Fernsehen schleudert, wissen, was er wirklich will: rhetorische Selbstbefriedigung oder daß weniger abgetrieben wird.

Gewiß, gewiß, der jetzt fällige Einwand lautet: Soll man denn überhaupt nicht mehr protestieren dürfen, immer nur kuschen müssen? 1975 war das Thema Fristenlösung aus dem Wahlkampf ausgeklammert, heuer wieder, Unzeit ist immer, warum also nicht endlich das deutliche Wort, zu dem wir laut Apostel Paulus gerufen sind, „sei es gelegen oder ungelegen“?

Die Antwort lautet schlicht: Weil Abtreibung nicht nur eine moralische, sondern auch eine politische Frage ist. Weil es im österreichischen Wahlvolk sicher keine Mehrheit für die Rückkehr zum alten Paragraphen 144 gibt. Und weil die Frage, was man rechtlich tun könnte, um die jetzige Fristenlösung wenigstens zu entschärfen, zu kompliziert für eine aufgeheizte Wahlkampfdiskussion ist.

Was dabei herauskäme, hat man ja rasch gesehen: sinnlose Protestdrohungen gegen die ÖVP, die sich 1974 mit großem Einsatz gegen die Fristenlösung stark gemacht hat, und eine ebenso sinnlose (weil wahrheitswidrige) Neuauflage der alten ÖVP-Selbsttäuschung, „die Kirche“ habe die Volkspartei damals in ihrem Kampf im Stich gelassen.

Das einzig Vernünftige in dieser Situation ist die Beendigung eines heißblütig und kopflos geführten Streites und eine Aufnahme ernster Gespräche für den Fall, daß Koalitionsverhandlungen notwendig werden.

Eine Rückkehr zum alten Strafparagraphen wird es auch dann nicht geben - dieser Tatsache muß man angesichts der Einführung von Fristenlösungsmodellen auch in nicht sozialistisch regierten westlichen Ländern ins Auge sehen. Aber über eine Verbesserung der gegenwärtigen Rechtslage und damit über die Rettung von ungeborenem Leben wird man in einer Koalition reden müssen und reden können.

Es gibt in diesem Land eine Anzahl schwerwiegender Fragen, für die Lösungen vermutlich von einer Koalitionsregierung mit breiter parlamentarischer Basis leichter als von einer Alleinregierung zu haben wären. Dabei ist die Frage Allein- oder Koalitionsregierung nicht ein für allemal apodiktisch zu beantworten.

Es ist daher völlig sinnlos, wenn „Sozialistische Korrespondenz“ und „AZ“ vergangene Woche einstige Aussagen österreichischer Journalisten (auch die meine) über die große Koalition zugunsten ihrer „Alles-oder-nichts“-Forderung publizierten. Genauso gut kann man Ja- und Nein-Meinungen Kreiskys und anderer prominenter Sozialisten zur großen Koalition zitieren. Willy Brandt und Herbert Wehner waren in Bonn für die „Große“, als diese in Österreich zerbrach.

Das sind keine Widersprüche, sondern nur Beweise für die Tatsache, daß ein Land in gewissen Situationen die Zusammenarbeit und in anderen die rasche Entscheidung dringender braucht. Nach 20 Jahren war die große Koalition in Österreich verbraucht, in Deutschland aber nach Jahren kleiner Koalitionen vonnö-ten. Eine Koalition igt keine Grundsatz-, sondern eine Zweckmäßigkeitsfrage.

1966 war eine rasch und klar entscheidende ÖVP-Alleinregierung sinnvoller als die Fortsetzung von Proporz, politischem Kuhhandel und endloser Problemverschleppung. 1970 war, wie man im Rückblick sagen muß, eine sozialistische Alternative sinnvoller als die Rückkehr einer noch nicht erholten ÖVP ins Regierungsbett.

Heute meinen viele Menschen, daß nach 13 Jahren wechselnder Allein-regierungen die Wiedereinrichtung einer Zusammenarbeit (vielleicht von vornherein auf Zeit vereinbart) zur Lösung großer Probleme (und die gibt es ohne Frage!) zweckmäßig sein könnte.

Die Antwort werden am 6. Mai die Wähler geben. Damit sie sinnvoll ausfällt, muß aber das gelbe Kuvert vom Tisch.

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