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Das Gerede von der Sicherheit

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Zwei Konferenzen tagten vorige Woche in Wien: Reaktor sicherheit war das Thema bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA); und über Reaktorunsicherheit wurde an der Universität Wien (Biozentrum) berichtet.

Ein Vergleich der Themenstellung macht auf den Mißbrauch des Wortes Sicherheit aufmerksam. Wer im fünfbändigen Brockhaus unter „Sicherheit“ nachschlägt, liest dort: „1) Gewißheit, Zuverlässigkeit. 2) Gefahrlosigkeit, Schutz vor Bedrohung...“ Punkt eins beschreibt persönliche Haltungen, Punkt zwei hingegen Merkmale eines Zustandes. Punkt zwei ist auf die Deutung des Wortes Reaktorsicherheit anzuwenden.

Von Reaktor-Gefahrlosigkeit nach Tschernobyl zu sprechen, fällt selbst eingefleischten Kernkraftbefürwortern schwer. Daher unterläßt man besser das übliche Gerede von der Sicherheit. Ein Werk ist sicher oder unsicher — nicht aber relativ sicher. Und Kernreaktoren sind unsicher!

Ins rechte Licht sollte man auch die beiden vorige Woche abgeschlossenen Konventionen rük-ken: Sie sollen rechtzeitige Warnung und internationale Hilfe bei Reaktorunfällen sicherstellen. Sie als Erfolge zu feiern, wie dies in manchen Medien geschah, ist unbegreiflich. Handelt es sich hiebei nicht um Selbstverständlichkeiten? ■ ■ ■

Daß man sich bisher um die Warnung möglicherweise Betroffener drückte, ist schlicht und einfach ein Skandal. Er wird nun möglicherweise beseitigt. Wie kommt man aber auf die Idee, das als „Erfolgsergebnis“ zu verkaufen? (Siehe Seite 7.)

Gleiches gilt für die vereinbarte gegenseitige Hilfe: Selbstverständliches. Wer an einem Verkehrsopfer vorbeifährt, ohne zu helfen, macht sich strafbar. Und wo es um Leben und Gesundheit von Millionen geht, muß man erst Wochen verhandeln?

Wirft das nicht ein bezeichnendes Licht auf die Atombranche? Im menschlichen Leben Selbstverständliches kommt dort erst nach langen, mühsamen Wehen zustande.

Dementsprechend konnte man sich bei der IAEA auch nicht auf das Prinzip „Entschädigung“ für im Ausland angerichtete Schäden einigen. Eigentlich verblüffend, wenn man den Beteuerungen Glauben schenkt, gleichermaßen Verheerendes wie in Tschernobyl könne sich nicht wiederholen.

Es wird eben stimmen, was Richard Webb (Sicherheitsexperte, der bei den Unfällen in Harrisburg und in Tschernobyl beigezogen worden ist) auf der Reaktorunsicherheitskonferenz feststellte: Die westlichen Reaktoren sind um nichts weniger unfallträchtig als der in Tschernobyl. Im Gegenteil: In mancher Hinsicht sind sie gefährlicher und, weü sie in dichtbesiedeltem Gebiet stehen, auch bedrohlicher.

Mit weiteren Unfällen muß man also rechnen. Indirekt sind die IAEA-Abkommen auch ein Eingeständnis dieser Tatsache. Das geht aber auch uns Österreicher etwas an. Wir haben ja erlebt, daß Atomkatastrophen internationale Auswirkungen haben. Daher hat Außenminister Peter Janko-witsch das Richtige getan, als er vor der IAEA sagte: „Es ist höchste Zeit, den in der Vergangenheit beschrittenen Weg der Kernenergie zu verlassen...“

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