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Das Gewissen muß sich objektiv orientieren

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Alle kirchlichen Lehräußerungen, die nicht ex cathedra vom Papst verkündet werden, sind potentiell fehlbar: Zu dieser These, die Wolfgang Schmitz an Hand von Buchrezensionen in der FURCHE vertrat, erhielten wir durch Vermittlung des Kurienkardinals Opilio Rossi, langjähriger Vertreter des Heiligen Stuhfs in Wien, den folgenden Beitrag, den wir hiemit in die Diskussion einbringen.

1. Der Beitrag „Das .Dogma' von der Fehlbarkeit der Kirche”, von Wolfgang Schmitz (FURCHE Nr. 15) versucht, einen formalen Widerspruch zwischen dem Ersten und dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu finden. Das überrascht jeden Kenner der Beschlüsse dieser beiden Konzilien; ja, es muß ihm als haltlose Konstruktion erscheinen. Erst recht muß” der protestieren, der selbst am Vaticanum II teilgenommen hat.

Beider Formulierungder Konstitutionen und Dekrete waren beim letzten Konzil die Aussagen des Vaticanum I immer im Blick. Das ließe sich beim gründlichen Studium der Konzilstexte leicht beweisen. Darum bedaure ich stark die Ve.runsicherung, die von Ihrem Artikel zu diesem Gesichtspunkt ausgeht.

Auch andere Passagen der Darlegung enthalten unzutreffende Behauptungen zu kirchlichen Verlautbarungen. Ich kann die Unrichtigkeiten hier nur andeuten. So täuscht es beispielsweise Ihre Leser, wenn behauptet wird, „Casti connubii” und „Humanae vi-tae” enthielten die Festlegung, der einzig moralisch erlaubte Zweck der Sexualität sei die Fortpflanzung.

Die Ausführung über die „Königsteiner Erklärung” der Deutschen Bischofskonferenz ist gleichfalls in der vorliegenden Form eine Entstellungxies Textes dieser Erklärung. Trotz der Einräumung einer möglichen Gewissensentscheidung der Ehepartner gegen die

Forderung der Enzyklika hinsichtlich der Methoden der Geburtenregelung weisen die Deutschen Bischöfe ausdrücklich auf folgendes hirff

„Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (vgl. GS 51) ist daran festzuhalten, daß die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Geburtenregelung zulässig ist, nicht der Willkür der Ehepartner überlassen werden kann. Die Antwort darauf muß von ihnen in gewissenhafter Prüfung nach objektiven Normen und Kriterien gesucht und gefunden werden.”

Ich bin sicher, daß es den deutschen Bischöfen unverständlich bleiben wird, wieso ihnen willkürliche Gewissensfreigabe für das Problem der Geburtenregelung nachgesagt und sie so mit den Festlegungen des Papstes in Gegensatz gebracht werden.

2. Die Grundidee des Artikels, daß solche Aussagen christlicher Tradition, die nicht auf verbindliche Lehraussagen zurückgehen, grundsätzlich für eine vertiefende Interpretation, für eine

Neuformulierung und damit in bestimmten Fällen auch für eine Revision offen sind, ist keineswegs eine Erkenntnis erst der „nachkonziliaren Literatur”.

Die Theologie hat immer schon unterschieden zwischen den verschiedenen Graden der Zuverlässigkeit kirchlicher Ausgaben; die Kategorien sind jedem Studenten der Theologie geläufig („opinio pia”, „theologice certa” ect.). In der Erklärung der Glaubenskongregation „Mysterium Ecclesiae” vom 24. Juni 1973 läßt sich nachlesen, wie das Ineinander von unfehlbarem Glaubensgut und veränderbaren kirchlichen Auffassungen näherhin zu denken ist.

3. Am problematischsten erscheint mir die Tendenz Ihrer Ausführungen, die Leser hinsichtlich aller kirchlicher Weisungen zu verunsichern und sie auf das „eigene Gewissen” zu verweisen. Hier führen Sie in doppelter Weise in die Irre:

• Sie spielen Weisung, Norm und Verpflichtung einerseits und Gewissen andererseits gegeneinander aus. Dagegen entspricht es moraltheologischer Erkenntnis, daß das Gewissen sich gerade an Normen zu orientieren hat, um recht urteilen zu können - unbestritten der Tatsache, daß auch der Spruch des irrenden Gewissens für den einzelnen bindend ist.

• Ihre Darstellung der Weisungsvollmacht der Amtsträger in der Kirche ist theologisch nicht zutreffend. Die Amtsträger haben den Auftrag, auch situationsbedingt verpflichtende Anordnungen zu erlassen. Das macht einen wesentlichen Inhalt ihres Lehr- und Hirtenamtes aus.

Dabei unterliegen die Aussagen - soweit sie das ordentliche Lehramt betreffen - freilich dem Risiko der Fehlbarkeit. Dennoch bleibt den Amtsträgern die Verpflichtung zur Weisung nicht erspart.

Und der informierte Theologe wird beim Ergehen von bedeutsamen und ernsthaft eingeforderten Weisungen nicht gleich an die „Irrtumsmöglichkeit in Kompetenzüberschreitung usw. apellieren”.

Er wird sich vielmehr bei den vom kirchlichen Lehramt mit Nachdruck vorgetragene Forderungen fragen, ob eine solche Weisung nicht doch „den Christen von heute mit Recht zu einer bestimmten geschichtlichen Entscheidung aufruft” (K. Rahner, „Zur theologischen Problematik einer ”, in „Schriften”... VIII, 613 ff).

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