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Das Gewissen und die Tat C

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Berlin-Tiergarten, fünfundvierzig Jahre nach dem Attentat auf Hitler. Im Gebäudekomplex an der Bendlerstraße (heute Stauffenbergstra-ße), dem sogenanntenBendlerblock, wird die Ausstellung „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ gezeigt. Hier befanden sich das Allgemeine Heeres-Amt und der Sitz des Befehlshabers des Ersatzheeres; in den Jahren 1943 und 1944 außerdem die „Zentrale“ der militärischen Verschwörung gegen Hitler und die Arbeitsstätte des Oberst von Stauffenberg.

Im Jahr 1952 legten Angehörige der Widerstandskampf er des 20. Juli 1944 im Innenhof des Bendlerblocks den Grundstein für ein Ehrenmal; auf ihre Anregung wurde 1968 in drei Räumen des historischen Gebäudes eine ständige Ausstellung über den Widerstand eingerichtet. 1983 beauftragte der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Richard von Weizsäcker, den Passauer Historiker Peter Steinbach und den Stuttgarter Gestalter, Hans Peter Hoch, die Gedenkstätte zu erweitern und den deutschen Widerstand in seiner ganzenBreite und Vielfalt zu dokumentieren und darzustellen.

Sommer 1989. Widerstand gegen einen Aspekt der Ausstellung über den Widerstand. Während der Eröffnungsfeier verlassen plötzlich einige Gäste protestierend den Saal, weil das Nationalkomitee Freies Deutschland in die Ausstellung einbezogen wurde:

Die Komitee-Mitglieder - deutsche Emigranten und Kriegsgefangene aus fünf Lagern in der Nähe Moskaus - hätten nicht Widerstand geleistet, sondern Verrat begangen. Wie die Rote Kapelle, eine kommunistische Gruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen, hätten sie Hitler bekämpft, um ihn durch Stalin zu ersetzen. Folglich gehörten sie nicht zu denen, deren Ziel die Wiederherstellung eines demokratischen Rechtsstaates war.

Die Ausstellung will die Motive, Handlungen und Ziele von Einzelpersonen, Kreisen, Gruppen und Organisationen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht in diesem Sinn werten. Sie fragt nach den Zusammenhängen und Ursachen, aus denen individuell verschieden Widerstand geleistet wurde. Wie notwendig er war, macht eine Diaprojektion deutlich. Nationalsozialistisches Selbstverständnis und propagandistische Selbstdarstellung auf rotunterlegten Fotos und in Zitaten aus Reden und Schriften werden schwarz-weiß gehaltenen Aufnahmen gegenübergestellt, die an Gewalt, Terror und Mord erinnern. Auf diese Weise zeigt sich auch, daß sich der Widerstand sowohl gegen die allgemeine politische Ideologie des Nationalsozialismus als auch gegen die konkreteHerrschaftspraxis richtete.

In sechsundzwanzig Bereichen informieren mehr als 5.000 Bilder und Dokumente über Politik, Gesellschaft und Kultur in der Weimarer Republik, weil sich schon in dieser Zeit verschiedene politische Gruppen gegen die Nationalsozialisten zur Wehr setzten. Nach 1933 formierte sich dann der Widerstand aus christlichem Glauben, aus liberalem und konservativem Denken, aus unterschiedlichen Richtungen der Arbeiterbewegung - die allerdings wegen erheblicher Gegensätze untereinander keine gemeinsame Front gegen Hitler bilden konnten.

Der Bereich „Widerstehen in Kunst und Wissenschaft“ dokumentiert beispielhaft die wissenschaftliche Verantwortung des Freiburger Kreises und der Physiker um Max von Laue und kontrastiert den Ausstellungskatalog „Entartete Kunst“ von 1937 mit einigen Werken der verfemten Künstler.

Emigranten schlössen sich im Exil zusammen, um die Weltöffentlichkeit über die Verhältnisse in Deutschland aufzuklären und die Verbindungen zum Widerstand im Reich aufrecht zu erhalten.

Jugendopposition und Studentenorganisationen - am bekanntesten die Weiße Rose um Hans und Sophie Scholl - stehen ebenso für den deutschen Widerstand wie Deserteure und Saboteure - „Widerstand im Kriegsalltag“ -, Menschen, die Verfolgten halfen, sich widersetzende Juden, sich selbstbehauptende Häftlinge.

Die militärische Verschwörung begann mit Kritik an den Kriegsplänen Hitlers, setzte sich fort in Umsturzplänen 1938 bis 1943. Zentrale Gestalt der Militäropposition war General Ludwig Beck. In Abstimmung mit Carl Friedrich Goer-deler, dem führenden Kopf der zivilen Widerstandskreise, plante er einen gemeinsamen Anschlag auf Hitler und bereitete Regierungspläne für die Zeit danach vor.

Mittelpunkt des Ausstellungsbereiches im ehemaligen Dienstzimmer Stauffenbergs sind die Biographie dieses Widerstandskämpfers und das Attentat vom 20. Juli 1944. Daran anschließend fehlen auch nicht der Kreisauer Kreis und eine ausführliche Dokumentation des Scheiterns des Umsturzes.

Die „Gedenkstätte deutscher Widerstand“ in der Stauff enberg-straße hat eine notwendige Ausstellung erhalten, die nicht nur die Vergangenheit ins Bewußtsein ruft, sondern auch die Gegenwart mahnt. Wenn die Ausstellung eine Botschaft hat, so diese: Der Mensch hat die Pflicht, aus Gewissen und Verantwortung im entscheidenden Augenblick Nein sagen zu können.

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