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Das Glück kann nicht erobert werden"

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„Shopping macht happy": Die meist mürrischen Gesichter der Menschen im vorweihnachtlichen Einkaufstrubel entlarven diesen Spruch als Lüge. Daß Glück eher Geschenk als Konsum ist, will der folgende Beitrag zeigen.

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„Shopping macht happy": Die meist mürrischen Gesichter der Menschen im vorweihnachtlichen Einkaufstrubel entlarven diesen Spruch als Lüge. Daß Glück eher Geschenk als Konsum ist, will der folgende Beitrag zeigen.

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Wer von uns möchte nicht im Grunde seines Herzens glücklich sein? Allein - sind wir auch fähig zum Glück? Sicher, das Glück können wir nicht herstellen, es muß uns zuteil werden, aber das heißt auf der anderen Seite doch nicht, daß es dabei von uns aus nichts zu tun gäbe. Daß jeder „seines Glückes Schmied" ist, spielt ja auf diese Fähigkeit an. Uber sie soll ein wenig nachgedacht werden.

Wenn heute vom Glück die Rede sein soll, dann schleicht sich ein gewisses Unbehagen ein. Für viele ist von vornherein — freilich völlig zu Unrecht — das Glück eine höchst individualistische Angelegenheit, die in einer Zeit moralisch unanständig ist, in der es so viel Elend in der Welt gibt.

Und wenn wir das gängige Durchschnittsverständnis von Glück hernehmen, so möchte man das Wort „Glück" lieber nicht in den Mund nehmen. In unserer am Konsum orientierten Gesellschaft gilt das Glück auf der einen Seite als das Gegenteil von Leistung und wird so zum Gegenstand der Geringschätzung, ja der Verachtung.

Wer es ohne entsprechende Leistung dennoch zu etwas gebracht hat, der ist das unverdientermaßen geworden und hat eben mehr Glück als Verstand gehabt. Auf der anderen Seite wird das Glück in der Befriedigung der Bedürfnisse und Interessen erblickt, auf die die Mitglieder der Gesellschaft ein Anrecht haben. Lei-stungs- und Anspruchsdenken verfehlen beide das Glück.

Das Leistungsdenken übersieht, daß bereits das von uns Hergestellte gelingen, also glük-ken muß, soll es vollendet sein, und daß wir uns zwar anstrengen müssen, sich aber die guten Ideen dadurch nicht herbeizwingen lassen. Sie müssen uns vielmehr „einfallen", uns in einer glücklichen Stunde gegeben werden!

Und wer das Glück mit der Bedürfnisbefriedigung identifiziert, die eingefordert werden kann, der verwechselt es mit einer Wirkung, die sich mit dem Besitz gewisser Dinge sozusagen von selbst einstellt.

Es ist allerdings eine Frage, ob die Stillung der richtigen Bedürfnisse glücklich macht, solange nämlich nicht gesagt wird, was es denn heißt, befriedigt zu sein, und solange nicht die aus der Aufklärung des 18. Jahrhundefts stammende Grundthese der „Glücksforschung", Glück sei gleich psychischem Wohlbefinden, auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft wird.

Dabei könnte uns schon unser deutsches Wort Glück einen wichtigen Hinweis liefern. Denn es vereinigt zwei Bedeutungen, die den Grundcharakter des Glücks zur Sprache bringen. Glück meint ja sowohl das, was einer hat, als auch die Weise, in der einer ist: Wir haben Glück und wir sind glücklich.

Jedoch — wer Glück gehabt hat, weil er etwa vor etwas Widrigem verschont geblieben ist, der muß deshalb noch nicht glücklich sein. Und wer Pech gehabt hat, weil ihm z. B. etwas danebengegangen ist, der muß deshalb noch nicht unglücklich sein. Und dennoch: Sein und Haben zielen auf ein Gemeinsames. Denn wer glücklich ist, erfährt dies als Geschenk und Gabe - und nicht als Resultat eigener Anstrengung. Wer glücklich ist, hat einen Grund dazu.

Weil glücklich zu sein die innere Folge eines uns gegebenen Grundes ist, läßt sich das Glück nicht direkt anstreben. Deshalb verfehlt sein Glück, wen die Dinge und Menschen nur des Lustgewinns wegen interessieren, die ihr Besitz zu versprechen scheint.

Solch ein Mensch verkennt zweierlei. Er verwechselt erstens den inneren Grund des Glücks mit einer äußeren Wirkursache lustbetonter Zustände. Der süchtige Realitätsflüchtling besitzt im Unterschied zum glücklichen Menschen nur letztere (in Form der Droge). Er verkennt zweitens, daß der innere Grund des Glücks der Realitätskontakt, nicht aber die Realitätsflucht ist. Das Glück besteht nicht in abstrakten, von der Wirklichkeit abgezogenen Gefühlen, sondern gründet darin, daß sich die Wirklichkeit positiv— beglückend! — erschließt.

Die künstlichen, prinzipiell jederzeit herstellbaren und nur von der Zahlungsfähigkeit abhängenden euphorischen Zustände sind nicht das, wofür sie von den Machern ausgegeben werden. Denn es ist ein untrügliches Zeichen von Glück, die Einheit unseres Lebens nicht zu zerstören, sondern aufzubauen, eine Einheit, die von sich her immer eine Ubereinkunft mit unserer Welt bedeutet. Nicht die Abwesenheit des Negativen, sondern die Gegenwart positiver Realität ist der Grund unseres Glücks.

Sicher gibt es in unserer Welt das Widrige, Bedrückende, Grauenerregende. Aber die Behauptung, daß dies der Grundzug der Wirklichkeit sei, entspricht einfach nicht dem, was wir erfahren können. Die Realität ist gar nicht primär das Widerständige und zu Negierende — dazu wird sie nur von den metaphysischen Egoisten gemacht, für welche die Selbstsucht des Subjekts der fraglos bleibende Maßstab der Realitätsdeutung ist.

Indem wir glücklich sind, erfahren wir uns mit der Welt und darin mit uns selbst neu beschenkt, und wir staunen darüber, daß es all dies Beglückende gibt, und wir gewürdigt sind, daran teilzuhaben. Und nur wer sich die Fähigkeit bewahrt, zu staunen über das immer wieder sich ereignende Wunder des Neuen, alle Erwartung positiv Ubertreffende, kann glücklich werden.

Im Glück geht uns die befreiende Macht der Wirklichkeit auf und wird uns die unüberholbare Einsicht zuteil, daß es herrlich ist dazusein, ja daß alles, was ist, sich letztlich in seinem Sein verdankt und in seiner Wurzel gut ist.

Glücklich zu sein — das ist die Antwort auf die wurzelhafte Posi-tivität des Seins, sowie umgekehrt nur derjenige glücklich sein kann, welcher aus der Zustimmung zu dieser Positivität heraus lebt — ob er das zugibt oder — welch glückliche Inkonsequenz! — meint, leugnen zu müssen.

Nicht der radikale, die Wurzel anzielende Realitätshaß des Fanatikers, sondern die radikale Bejahung der Wirklichkeit macht fähig zu ihrer humanen Umgestaltung. Weil sie von ihrer Wurzel her gut ist, ist die Wirklichkeit es ja auch wert, in gutem Sinn verändert zu werden!

Ist nun das Glück wesenhaft Gabe und Geschenk, dann wird die Fähigkeit zum Glück in anderen Tugenden bestehen müssen als in denen, die gegenwärtig den obersten Rang einnehmen. Nicht derjenige ist zum Glück fähig, der die Kunst besitzt, seinen jeweiligen Vordermann zu überrunden und auf der Erfolgspyramide, deren einziger Vergleichsmaßstab der quantifizierbare Besitz ist, möglichst weit oben zu sein.

Und nicht derjenige ist zum Glück fähig, der eine beträchtliche Anzahl von Stunden zur Verfügung hat. Denn nicht auf den Besitz von mehr Freizeit kommt es primär an, sondern darauf, Zeit zu haben, verweilen zu können und für die anderen da zu sein.

Glücklich zu sein, erfordert liebende Augen, denn: ubi amor, ibi oculus — wo die Liebe ist, dort ist das Auge. Dazu gehört etwa auch die Liebe zu den kleinen Dingen, deren verächtliche Herabsetzung wiederum das beinahe untrügliche Zeichen des gegenwartsblinden und an die Zukunft versklavten Fanatikers ist.

Die Gabe des Glücks will empfangen werden - eine Kunst, die gelernt sein will! Empfangen heißt nicht, etwas in Händen halten, sondern für das Gegebene danken. Danken bedeutet Seinlassen. Wir danken ja erst dann, wenn wir den Geber den sein lassen, der er uns gegenüber sein möchte—nämlich einer, der uns in unserer personalen Mitte anspricht.

Wo wir umgekehrt den Dank verweigern, kann der Geber nicht voll und ganz er selbst sein, und kann auch die Gabe nicht zu ihrer vollen Wirlichkeit gelangen. Indem wir nicht danken, nehmen wir den Schenkenden nicht an und verweigern ihm die Ubereinstimmung mit sich selbst. Wir gewähren ihm nicht Anteil an uns. (So ist die Höchstform des Danks die Freigabe anderer zu deren Selbständigkeit).

Im Danken ist das Sein-lassen untrennbar verbunden mit der Selbst-Annahme und dem Selbst-Verzicht. Glücklich sein kann nur, wer zu seiner leiblich-natürlichen wie geschichtlichen Vorgegebenheit ja sagt (wozu ihn die Liebe anderer befähigen muß!).

Solche Selbst-Annahme erfordert den Verzicht, im anderen bei sich sein zu wollen. Zum Glück ist unfähig, wem es immer nur um den Selbst-Genuß zu tun ist. Hier gilt: Wer sich sucht, wird sich verlieren, wer sich verliert, wird sich gewinnen! Die Fähigkeit zum Glück ist an die Bereitschaft gebunden, sich beschenken zu lassen und sich zu verschenken. Nur wer zu danken weiß, kann glücklich werden.

Unser Empfangen bleibt auf die Gabe des Geschenks angewiesen und ist so gesehen immer etwas Zweites — aber deshalb nie etwas Äußerliches. Denn ohne die Tat unserer Annahme bleibt das Schenken unvollkommen. Im dankenden Sein-lassen liegt ein nach-schöpferisches Element. Wir müssen allem den entsprechenden Raum eröffnen, damit es sich als Gabe darstellen und so uns zum Geschenk werden kann.

Es ist eine grundlegende Verkennung des Empfangens, die Anteilhabe am Glück als etwas völlig Passives hinzustellen. Leben wir nicht viel zu lange schon in dieser Verkennung? Wie lange noch wollen wir unser Glücklichsein erjagen, erobern, programmieren, herstellen? Beherrschen wir dergleichen nicht ohnehin in einem beängstigenden Ausmaß?

Mit der bloßen Anspruchslosigkeit ist es allerdings auch noch nicht getan. Denn diese kann stumpf und sowohl für das Bedrückende als auch für das Beglückende unempfindlich machen! Um glücklich zu sein, werden wdr in erster Linie lernen müssen, was es heißt, für eine Gabe zu danken, zu deren Empfang wir gewürdigt worden sind!

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien und sprach über dieses Thema auch bei den heurigen Salzburger Hochschulwochen. f

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