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Das goldne Wienerherz

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Man geht vom Stephansdom fort, die Kärntnerstraße entlang -geht - geht - bis man einem richtigen Wiener begegnet von vierzig Jahren.

Vierzig - da ist das Wienerherz am weichsten.

Und ihn fragt man:

„Sefior! Görm Sie sahen: wo is Stefansblatz?“

„Was wollen S*, gnä Herr?“

„Uo is Sstefänsblätz, Sir?“

„Ich versteh allweil Stephansplatz?“

„Voui.“

„Oh, gnä Herr, da gehn S’ ja verkehrt. Da müssen S’ Eahna um-

drahn und schnurgrad furt — nacher saan S* am Stephansplatz, ‘s is gar net zan Fehlen.“

Doch du, Fremdling, statt dem vernünftigen, blitzeinfachen Rat zu folgen, blidcst den Wiener mißtrauisch an, schüttelst den Kopf und wandelst deines Weges - vom Stephansplatz weg.

Das Weh erwacht im Wienerherzen.

Er fleht dich an:

„Aber, gnä Herr! Wann i Eahna sag! I wir do wissen… I bin do a Hiesiger, a Weaner…“

Du schüttelst störrisch den Kopf und wanderst — immer weiter nach der Wieden zu.

Der Wiener fleht immer verzweifelter:

„Gnä Herr! Maanen S’ denn, i will Eahna anschmieren? I sag’s

do, wie’s is: umdrahn müssen S’ Eahna und zruck.“

Du winkst ihm heftig ab.

Er faßt dich am Rockknopf -und jammert — janunert — fast möcht er dir zu Füßen fallen:

„Gnä Herr! Glauben S’ mir denn not? Schau i aus wiar a Gauner? A Plattenbruder?“

Du schiebst ihn beiseite mit einer großen Gebärde und schreitest aus - unverzagt die falsche Richtung.

Da schwillt endlich das goldne Wienerherz. Er blickt dir nach und ruft: “

„Hatsch nur, du Fallot, du dünngselchter! Hatsch nur am Naschmarkt! Wirst es scho be-reun - wann’s zu spät is, du damischer Kosak, russischer über-anand!“

Ich besteige auf dem Franz-Josephs-Kai die Elektrische, will nach der Oper. Unterwegs werde ich,JRoda Rodas Roman“ vornehmen.

Doch ich kenne mich: sowie ich ein Buch in der Hand halte, lese ich—lese immerzu—alles um mich versinkt, und ich versäume, rechtzeitig auszusteigen.

Das muß verhütet werden.

In Wien geht das sehr leicht: indem man das goldne Herz der Urbevölkerimg mißbraucht. Wie folgt:

Ich frage laut, sowie ich auf dem Kai die Elektrische bestiegen habe: „Ui is ueit nach Opera?“

Sogleich schwirrt es im Publikum:

„Aha — an Ausländer!“ — „Er will zur Oper.“ - „Was sucht an

Ausländer bei der Oper?“ - „Gewiß a Musiker. A Franzos.“-„Ah wo! In an HotöU wird er halt wohnen, bei der Oper. An Engländer is’s.“ - „An Engländer? Und da sagen s’, mir ham kan Fremdenverkehr z* Wean.“ - „Ham S’ scho ghört, Frau Kranzelstock? An Engländer is da - möcht zruck in sei HotöU und findt not.“ - „Ja, mei! ‘s is halt schwer für ah Menschen in der Fremd, wann er d’ Sprach not varrsteht.“

(Ich lese ruhig „Roda Rodas Roman“.)

„Reisen! Dös bildet! I - wann i reisen kunnt, wiar i möcht! Nach Graz fahret i, nach Granmiat-Neusiedel, nach China. Muß scho was Schöns sein — warm ma ‘s Gold hat.“

(Ich höre kein Wort; bin sozusagen aufgelöst in Lektüre.)

„Uniferssitätt — i muß aussteigen. Gengan S’, Herr Nachbar, saan S’ so gut: der Herr - an Engländer - der möcht zur Oper. Alsdann machen S’ eahm aufmerksam …“- „‘s saan no zwaa Haltestellen - man sollet eahms sagen, daß er not per Zufall weiterfahrt.“ - „Lassen S’ eahm -’s is no Zeit -er leest.“

Ich lese, und all die guten, guten Menschen passen erregt auf und erinnern einander, um mich ja nicht über mein Ziel hinauszulassen.

Knapp vor der Oper rufen mich zwanzig an:

„Gnä Herr! Jetzt war’s hexte Zeit.“

Ich klappe mein Buch zu und gehe ohne Gruß.

Zehn Menschen drängen mir nach, sehen mich mit bewundernden Augen an, und zehn ausgestreckte Arme weisen mir die Oper.

Aus: DAS GROSSE RODA RODA BUCR Paul Zsolnay Verlag, Wien. Darmstadt 1988. 532 Seiten, geb.. öS 278.-.

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