6812657-1972_43_07.jpg
Digital In Arbeit

Das Grabmal des roten Pharao

Werbung
Werbung
Werbung

Noch vor fünfzehn Jahren trugen alle Neugeborenen aus den südlich vom Wendekreis des Krebses gelegenen Landesteilen Ägyptens den Geburtsort Schellal und alle Neugeborenen aus dem Nordsudan den Geburtsort Wadi Haifa in ihren Familienpapieren. In Schellal endete die ägyptische und in Wadi Haifa begann die sudanesische Nilschiffahrt. Beide Orte sind inzwischen auf dem Grund des „Nasser-Sees“ versunken. Assuan, das verschlafene Oasenstädtchen, war mit dem mit einem eleganten Spielkasino ausgestatteten vornehmen „Katarakt-Hotel“ und seinem für wohlhabende Lungenkranke heilsamen Klima ein Geheimtip der High Society der zwanziger bis vierziger Jahre. Der alte Aga Khan unterhielt hier eine weiße Traumvilla. Sein Mausoleum krönt seit langem den höchsten Hügel der grandiosen tropischen Bergwelt.

Im „Katarakt“, wo sich einst seine schwerreichen Gäste aus aller Welt die Türklinken in die Hand gaben, verkehrten seit 15 Jahren nur noch Ingenieure aus dem „Vaterland aller Werktätigen“. Russisch sprach man hier mehr als Arabisch, und die fülligen grobgesichtigen Mütterchen aus der Ukraine oder Georgien, Kasachstan oder Zentralrußland wirkten in der mosaiküberladenen Palmenhalle ebenso deplaciert wie ihre humorlosen Ehemänner.

Am 9. Jänner 1960 feierten hier Nikita Chruschtschow und Gamal Abdel Nasser die Grundsteinlegung des Hochstaudammes „Sadd el-Aali“. Der Bau ging zurück auf deutsche Pläne. Nachdem sie am Finanzierungsplan gescheitert waren, wandte sich die 1952 zur Macht gelangte Offiziersjunta an die USA. Das Weiße Haus und die Weltbank gaben eine Finanzierungszusage. Doch 1956, als der ägyptische „Rais“ mit Wissen von CIA-Geheimdienstbeamten sowjetische Waffen gekauft hatte, brüskierte John Foster Dulles die Ägypter und brach das gegebene Wort. Kairo verstaatlichte den Suezkanal. Israel, Frankreich und England überfielen das Nilland. Das Ergebnis war ein bis heute nicht überwundenes ägyptisches Mißtrauen gegen die Amerikaner.

Als sich herausstellte, daß der Damm mit den Einnahmen aus der Kanalschiffahrt., die schon damals infolge der Kampfhandlungen monatelang unterbrochen werden mußte, nicht zu finanzieren war, stießen die Sowjets in das verlockende Vakuum. 1970 war planmäßig fertig, was die arabische und die russische Presse zehn Jahre lang als „Schlüssel für das moderne Zeitalter Ägyptens“ und „achtes Weltwunder“ gefeiert hatten.

121 Meter hoch und 4000 Meter lang ist der Damm. Sein Sechsturbinenkraftwerk ist vorgesehen für eine jährliche Stromerzeugung von 10 Milliarden Kilowattstunden. Der „Nasser-Stausee“ soll eine Länge von 510 und eine Durchschnittsbreite von 12,5 Kilometern erreichen. Der 157 Milliarden Kubikmeter große Speicherraum ist eingeteilt in 30 Milliarden für die hereinfließenden Sand-, Schlamm- und Geröllablagerungen und 37 Milliarden Hochwasserschutzraum. Der Wasserspiegel liegt auf dem (bisher noch nicht erreichten) Niveau von 182 Metern über dem Meeresspiegel.

Rund zehntausend einheimische Arbeiter und eine wechselnde Anzahl russischer Techniker arbeiteten zehn Jahre lang an dem Mammutprojekt. Es forderte mindestens zehntausend Todesopfer durch Arbeitsunfälle. Im Endergebnis soll der Hochdamm Kairo, fast ganz Ägypten und die industriellen Anschlußvorhaben mit Strom versorgen. Durch gigantische Bewässerungsprojekte soll die landwirtschaftliche Anbaufläche um ein Drittel ausgedehnt werden.

Das waren die Pläne. Doch die Wirklichkeit sieht, bis jetzt, anders aus.

Der Damm macht das Nilland In hohem Maß verletzlich für feindliche Angriffe. Im Fall seiner Zerstörung würde ganz Ägypten binnen sechs Stunden in den Fluten versinken. Gegen diese Katastrophe sind Geschütz- und Maschinengewehrstellungen ebenso wie Fesselballons nur ein unzureichender Schutz.

Es gibt Anzeichen dafür, daß der Damm wasserdurchlässiger ist, als man zunächst berechnet hatte, und daß der Mahlstrom des heranflutenden Sandes ihn eines Tages durchlöchern könnte. Abgesehen von den dadurch heraufbeschworenen Gefahren, wirken Versickerungen in der felsigen Talsohle und Verdunstung gegen die Erreichung des vorausberechneten Wasserspiegels. Gegen die Verdunstung empfahlen internationale Experten einen dünnen ölfilter auf der Wasseroberfläche. Der aber würde die Schiffahrt behindern und ein Fischsterben auslösen, wodurch die lokale Bevölkerung eine ihrer wichtigsten Ernährungsgrundlagen verlöre. Die maximale Stromerzeugung konnte bis jetzt nicht erzielt werden, weil der Wasserspiegel noch nicht seinen vorgesehenen Endstand erreicht hat und zwischen 20 Prozent und einem Drittel der Strommenge auf dem Transport nach Unterägypten durch Witterungseinflüsse, an die niemand dachte, verlorengehen. Der angestrebten Ausdehnung der landwirtschaftlichen Anbaufläche wiederum steht der Verlust des Nilschlammes als des natürlichen Düngemittels entgegen.

Nördlich von Assuan erinnert ein riesiger Autofriedhof an die Tropenuntauglichkeit sowjetischer Lastwagen. Der Assuandamm wurde denn auch, obwohl hier immer noch etwa 300 sowjetische Ingenieure Dienst tun, zu einem der Gräber der Freundschaft zwischen Kairo und Moskau. Und die Ägypter sind enttäuscht über dieses „Weltwunder“, das ihre Probleme nicht löste, sondern neue vor ihnen auftürmte. Sie nennen den Damm heute schon, in Anspielung auf die Cheopspyramide bei Gizeh, „das Grabmal des roten Pharao“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung