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Das große Sterben am Golf

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Im Golfkrieg scheinen die Wochen des „Frühlingserwachens" an der Südfront vorüber zu sein. Der Irak ist mit der jüngsten Großoffensive Chomeinis erstaunlich rasch fertig geworden. Wohl auch darum, weil er bei der Wahl seiner Abwehr-Mittel nicht zimperlich war.

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Im Golfkrieg scheinen die Wochen des „Frühlingserwachens" an der Südfront vorüber zu sein. Der Irak ist mit der jüngsten Großoffensive Chomeinis erstaunlich rasch fertig geworden. Wohl auch darum, weil er bei der Wahl seiner Abwehr-Mittel nicht zimperlich war.

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Die militärischen Fronten sind jetzt wieder genauso festgefahren, wie sie vom Juli 1982 bis Mitte Februar verlaufen waren: Am Schatt al-Arab haben die Perser Abadan und Muhamarra ebenso fest in ihrer Hand wie der Irak Basra und Kurna.

Was sich hier abspielt, sind nächtliche Artillerieduelle. Iran zeigt da klare Überlegenheit. Seine Beschießung gilt eindeutig dem gewaltigen irakischen Heerlager, das sich von Basra bis an die Grenze Kuwaits erstreckt.

Die österreichischen Techniker von der VOEST in Umm Karma haben schon so manche Feuertau-

fe zu bestehen gehabt, wenn sie zum einzigen noch funktionierenden internationalen Telefon ins Sheraton-Hotel fahren. Das den Hängenden Gärten der Semira-mis nachempfundene Bauwerk hat in den Zimmern zum Schatt und seinem früher im ganzen Umkreis beliebten Nachtklub Einschuß- und Splitterschäden abbekommen. Der letzte Volltreffer hat eine Diskothek im Stadtzentrum ganz zertrümmert.

Doch kann man hier ebensowenig wie bei den zerstörten Spitälern, Schulen, Kirchen und Sozialwohnungen eine bestimmte Absicht erkennen. Die meisten Einschläge liegen reihenweise hintereinander. Sie dürften vom Ein-schießen der iranischen Geschütze auf dahintergelegene strategische Objekte stammen.

In der irakischen Wüstenecke östlich vom Schatt, dem Kuschk, steht die III. irakische Armee wieder an der internationalen Grenze. Ihre Wahrung stellt die einzige Bedingung von Bagdad für einen Frieden am Golf dar.

Iran hingegen besteht auf dem Sturz der politischen Führung von Bagdad und Reparationen in Form von Erdöl und Petrodollars. Als Sicherstellung dafür sollen die Ölquellen im südirakischen Marschland besetzt bleiben. Die Perser hatten sie bei ihrem schwersten Angriff am 22. und 23. Februar besetzen können. Inzwischen verfügen sie nur mehr über Brückenköpfe in diesen Sümpfen. Sie sind zu einer regelrechten To-

desfalle für ganze iranische Divisionen geworden.

Im mittleren Frontabschnitt glaubt man sich überhaupt in den Ersten Weltkrieg und seinen Stellungskrieg zurückversetzt. Zwischen Mandali und Chanaqin ziehen sich auf beiden Seiten gewaltige Befestigungen. Die irakischen Stellungen sind mit stacheligen Verhauen gegen die bevorzugte iranische Taktik von Massenangriffen ihrer Infanterie abgesichert. In den Drähten hängen tote Perser. Die Leichen liegen Tag und Nacht im Verhau und werden immer unansehnlicher.

Droben in Kurdistan hingegen glaubt man, 1915 an der Dolomitenfront zu sein. Sowohl was die herrliche Berglandschaft wie die bärtigen Gestalten der kurdischen „Standschützen" betrifft. Sie verteidigen weniger Bagdad und den arabischen Irak als ihre von diesem gewährte Autonomie.

Trotz aller Vorbehalte gegen die auch im irakischen Kurdistan von der „Arabischen Sozialistischen Baath-Partei" aus Bagdad gelenkte politische Meinungs- und Willensbildung verfügt diese au-

tonome Region über eine gut funktionierende Selbstverwaltung und weitgehende sprachliche und kulturelle Gruppenrechte. Damit wird den irakischen Kurden viel mehr entgegengekommen als ihren Volksgenossen in der Islamischen Republik Iran.

Wie der Schah seine zweieinhalb Millionen Kurden zu irani-sieren versuchte, sollen sie jetzt unter Chomeini islamisiert werden. Beides läuft ihrer nationalen Eigenständigkeit und ihrer pluralistischen Religionsstruktur mit nur wenigen Schiiten, dafür umso mehr Sunniten, Jesidi zarathu-strischen Erbes, Christen und mystischen Sekten zuwider.

Das hindert die Ayatollahs aber nicht, die bei ihnen verfolgten Kurden im Irak desto kräftiger zu umwerben. Der persische „Heilig-Krieg-Koordinator" Rafsand-schani hat ihnen ihre eigene .JCurdische Islamische Republik" verheißen. Das aber nicht etwa in Irans kurdischen Westgebieten, sondern im irakischen und sogar türkischen Kurdistan.

Diesem Aufruf haben aber nur die 1974/75 aus dem Irak nach Iran

geflüchteten Anhänger des legendären Freiheitshelden Barzani Folge geleistet. Und auch das nur anfänglich.

Heute versuchen sie, im Niemandsland von Hadsch Omran einen völlig freien Streifen zwischen den Fronten des Golf kriegs aufzubauen. Sie werden vom Sohn Barzanis geführt. Dessen Name hat im irakischen Kurdistan noch immer die größte Zugkraft. Der Chef der irakischen Kurden-Region ist zwar ein braver Landeshauptmann in der Selbstverwaltungszentrale Arbil. Er hat aber keine Ausstrahlung auf die iranischen Kurden. Gerade ihre Gewinnung aber könnte im Patt des Krieges den Ausschlag zugunsten des Irak bringen.

Bagdad bemüht sich schon länger, den Krieg nicht auf den Schlachtfeldern, sondern durch Unterstützung des inneriranischen Widerstandes und die Förderung eines friedensbereiten Umschwungs in Teheran zu beenden. Staatschef Saddam Hussein kämpft längst nicht mehr als Araber gegen die Perser, sondern ge-

gen die sogenannte Islamische Revolution des Iran und ihren blutigen Export im gesamten Mittelostraum. Er hat bereits die iranische Linksopposition der Volksmudschaheddin für seine Vision einer künftig guten Nachbarschaft und Verbrüderung zwischen Irakern und Iranern gewinnen können.

Wie gut das funktionieren kann, sieht man in den heiligen Schiitenstädten des Irak mit ihrer weitgehend persischen Bevölkerung. Und im ganzen Land werden bestimmte Gewerbe von Persern beherrscht, wie zum Beispiel das Bäckereiwesen.

Selbst in Bagdad hat man in diesem Frühjahr den Eindruck, in einer halbiranischen Stadt zu sein: Das zweite Programm des irakischen Fernsehens hat auf Farsi umgestellt, und an jedem Kiosk gibt es die iranische Widerstandszeitung „Hagigati" (Die Wahrheit) zu kaufen.

Ein weiterer politisch-wirtschaftlicher Anlauf zur Beendigung des Golfdramas ist jetzt durch die arabische Außenministerkonferenz von Bagdad erfolgt. Die Tragweite ihrer Beschlüsse ist im Westen bisher noch nicht durchschaut worden.

Wer versteht auch aus dem verklausulierten Amtsarabisch herauszulesen, daß Teheran mit nicht weniger als diplomatischer Ächtung, dem Einsatz regulärer arabischer Truppen auf der Seite des Irak — vor allem aus Marokko und Jordanien — sowie einem umfassenden Wirtschaftsboykott gedroht wird. Dieser soll auch alle Handelspartner der geistlichen Machthaber in Teheran treffen.

Damit ist die Islamische Republik aus arabischer Sicht auf eine Stufe mit Israel gestellt worden. Für viele Staaten und Firmen, unter ihnen gerade Österreich und die Schweiz, wird das früher oder später beachtliche geschäftliche Schwierigkeiten mit sich bringen.

Doch besser, ein paar fette Millionenprofite bleiben auf der Strecke, als daß zu den bereits Hunderttausenden Opfern des Golfkrieges noch weitere hinzugeschlachtet werden. Unter ihnen gerade auf iranischer Seite Alte und Kinder...

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