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Das gute, alte Subsidiaritätsprinzip

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Die beiden Großparteien versprechen in ihren Wahlprogrammen, in der Frage der betrieblichen Mitbestimmung aktiv zu werden, die ÖGB-Führung hat ein österreichisches Konzept für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb entwickelt, der letzte Parteitag der CDU brächte eine erbitterte Diskussion um diese Problematik. Und die Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung, um ihre Formung und Gestaltung werden in den nächsten Jahren die europäische gesellschaftliche Entwicklung beherrschen.

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Die beiden Großparteien versprechen in ihren Wahlprogrammen, in der Frage der betrieblichen Mitbestimmung aktiv zu werden, die ÖGB-Führung hat ein österreichisches Konzept für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb entwickelt, der letzte Parteitag der CDU brächte eine erbitterte Diskussion um diese Problematik. Und die Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung, um ihre Formung und Gestaltung werden in den nächsten Jahren die europäische gesellschaftliche Entwicklung beherrschen.

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Wenn auch Sozialisten wie Christ- Demokraten hinter der gleichen Fahne zu marschieren scheinen, so trennen doch Welten die Vorstellungen über Weg und Ziel, und zwar nicht nur zwischen diesen beiden, sondern auch innerhalb dieser Gruppen.

Da wird von den einen die Mitbestimmung als eine Form der Demokratisierung des Wirtschaftslebens angestrebt. Diese Idee ist nicht neu — schon 1928 hat ein marxistischer Journalist festgestellt, daß Wirtschaftsdemokratie „natürlich nur in einem sozialistischen System ohne Privateigentum möglich ist“, seit zehn oder zwölf Jahren wird die Forderung nach Demokratisierung der Wirtschaft insbesonders in der Bundesrepublik Deutschland immer lautstarker erhoben. Nun ist aber Demokratie ein politischer Begriff, der auf nichtpolitische Bereiche nicht angewandt werden kann. Mitbestimmung aber ist eine gesellschaftliche Forderung, und gesellschaftliches Denken und Handeln ist mit politischem Denken und Handeln nicht identisch, wie der politische Beirat beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken in seinen Thesen „gegen den Mißbrauch der Demokratie“ feststellt. Versteht man unter Demokratie Kontrolle der Machthaber, zeitliche Befristung der Macht und unmittelbare Einwirkung auf die Regierung durch die Opposition, so entpuppt sich die Forderung nach Wirtschaftsdemokratie als Versuch derer, die sie formulieren, zur Beteiligung an der Herrschaft zu gelangen. Die Argumente der Befürworter der Wirtschaftsdemokratie richten sich vor allem gegen die Machtzusammenballung in einigen wenigen Händen und gipfeln in der Forderung nach Kontrolle der Wirtschaft.

„Wirtschaftsdemokratie“

Fragt man nach dem „Wie“, so ergibt sich ziemlich eindeutig, daß an die Stelle der Machtzusammenballung in den Händen der Unternehmer und des Top-Management die Machtzusammenballung in den Händen der Gewerkschaftsfunktionäre treten sollen. Unter dem Deckmantel der Mitbestimmung wird versucht, die Stellung der Gewerkschaft auszudehnen. Für den Arbeiter oder Angestellten ändert sich nicht das Geringste, das Wort Wirtschaftsdemokratie erweist sich als geistige Falschmünzerei.

In Österreich ist weniger von der Wirtschaftsdemokratie, sondern von der betrieblichen Mitbestimmung, bei Großbetrieben von der paritätischen Mitbestimmung die Rede. Die Vorstellungen allerdings sind mit den Vorstellungen der „erweiterten Mitbestimmung“ in der Deutschen Bundesrepublik weitgehend ident, wenn man davon absieht, daß der ÖGB (vorläufig?) in die eigentliche Geschäftsführung nicht „hineinfun- ken“, also auf die sogenannten „Arbeitsdirektoren“ verzichten will. Im Wahlkampf gibt sich die SPÖ verbindlich-unverbindlich und spricht von der „Vermenschlichung der Arbeitswelt“. In der Regierungserklärung der sozialistischen Minderheitsregierung stand allerdings zu lesen, daß „durch eine Erweiterung des Betriebsrätegesetzes der Betriebsvertretung verstärkte Mitbestimmung eingeräumt werden soll“. Der in der abgelaufenen Legislaturperiode von dieser Regierung vorgelegte Entwurf einer Novelle zum Betriebsrätegesetz enthielt klare Bestimmungen in dieser Richtung (erweiterte Informationspflicht und Bildungsfreistellung sowie Erweiterung des Kündigungsschutzes) und wollte überdies die Rechte der ministeriellen Wirtschaftskommission erweitern und betriebsfremden Arbeitnehmervertretern ein Mitsprache- recht in innerbetrieblichen Angelegenheiten einräumen. Wenn der Ausdruck auch kaum verwendet wurde — hinter diesem Versuch stand der Gedanke der Wirtschaftsdemokratie. Die Gewerkschaften erheben den Anspruch, stellvertretend für die Betriebsangehörigen die Macht auszuüben, und entfernen sich damit von der bisherigen Auffassung vom Wesen der Gewerkschaft. Lag es denn nicht darin, Arbeitnehmer- rechte durchzusetzen, anstatt sie selbst ausüben zu wollen?

Eine „Demokratisierung", eine „Vermenschlichung“ des Betriebes kann doch wohl nur darin bestehen, daß dem einzelnen Mitarbeiter die Möglichkeit zur weitgehenden Mitbestimmung in Form der Selbstgestaltung der Arbeit im Rahmen des seiner Gruppe und dem Unternehmen gesetzten Zieles gegeben wird. Der mündig gewordene Sozialbürger in der modernen Industriegesellschaft ist nicht mehr bereit, reiner Befehlsempfänger, Objekt fremder Bestimmung zu sein. Er will in seinem Tun Sinn finden, er will Möglichkeiten zur Bewährung und zum Aufstieg haben und will die eigene Arbeit in das größere Ganze des betrieblichen Geschehens einordnen können. Nicht mehr die wirtschaftlichen Bedürfnisse — die ja unter normalen Verhältnissen weitgehend befriedigt und durch ein komplexes Gebäude sozialer Sicherung gestützt sind —, sondern der Wunsch, in der Arbeit wieder Befriedigung und menschliche Erfüllung zu finden, steht im Vordergrund.

Sozialromantiker?

Die Entwicklung, die nun eben einem Höhepunkt zuzustreben scheint, haben schon die Sozialenzykliken vorausgesehen. In „Qua- dragesimo Anno“ hat Pius XI. angeregt, „den Arbeitsvertrag durch Übernahme einiger Elemente an einen Gesellschaftsvertrag anzunähern“, Johannes XXIII. anerkennt in seiner Enzyklika „Mater et Magistrą“ die Bestrebungen, die zwischenmenschlichen Beziehungen im Betriebe im Sinne partnerschaftlicher Zusammenarbeit neu zu ge-

stalten, als förderungswürdigen gesellschaftlichen Fortschritt. Hiebei weist er der partnerschaftlichen inneren Teilnahme am gemeinsamen Werk den Vorrang vor der partnerschaftlichen Teilnahme am Eigentum des Betriebes zu, weil es nicht genüge, den erwirtschafteten Gewinn gerecht zu verteilen. Der Betrieb müsse darüber hinaus eine der Menschenwürde entsprechende Struktur erhalten und den dort beschäftigten Menschen die Möglichkeit geben, Selbstverantwortung zu tragen und ihr eigenes Sein zu vervollkommnen.

Wer aber den Gedanken an die betriebliche Partnerschaft als Schwärmerei von Sozialromantikem abtun möchte, wird, wenn er nur offenen Auges durch einen modernen Betrieb geht, bald eines Besseren belehrt. Die wirtschaftliche und technische Entwicklung hat dazu geführt, daß die katholische Soziallehre Bestätigung von einer Seite gefunden hat, die über den Vorwurf des Romantizismus ohne Zweifel erhaben ist: von den Betriebsorganisatoren und Managern. Die fortschreitende Spezialisierung und Subspezialisierung in allen betrieblichen Belangen macht es den Vorgesetzten geradezu unmöglich, größere Bereiche in allen Details zu beherrschen. „Einsame" Entschlüsse von Unternehmern oder Management sind schon sachlich kaum noch denkbar. Auch wenn Entscheidungen nicht formell im Team erarbeitet wurden, basieren sie auf der Information der Fachleute einzelner Bereiche und bedürfen zu ihrer Ausführung der initiativen Mitarbeit dieser Fachleute. Etwas überspitzt, aber treffend formulierte Knapp in den Finanznachrichten, daß die Entscheidungen in den Betrieben de facto „jeweils auf einer niedrigeren Ebene getroffen werden als auf jener, die sich noch immer einbildet, sie zu treffen. Jedenfalls wird schon aus sachlichen Erwägungen aus einer starren Über- und Unterordnung einer hierarchischen Gliederung, aus dem „Nebeneinander“ auf gleicher Ebene ein „Miteinander“.

Die Rangordnung tritt nur bei der Setzung der Ziele, bei der Koordination der einzelnen Bereiche, bei der personellen Besetzung und als entscheidende Instanz in Zweifelsoder Uneinigkeitsfällen in Erscheinung. Im übrigen überläßt man die Lösung der Aufgaben den unmittelbar Befaßten und erreicht damit, daß alle Mitarbeiter nicht nur ihre physische Kraft einsetzen oder die nun einmal vorgeschriebenen Stunden absitzen, sondern Initiative und Verantwortungsbewußtsein zu echtem persönlichem Einsatz entwickeln.

Mit Verlaub und auf die Gefahr, damit einer so modernen Erscheinung etwas vom Image der Fortschrittlichkeit zu nehmen — das ist nichts anderes als das gute alte Subsidiaritätsprinzip, vielleicht etwas verweltlicht, aber doch ganz gut erhalten.

So gesehen, erweist sich die partnerschaftliche Mitbestimmung als moderner Führungsstil, basierend auf gesellschaftspolitischer Notwendigkeit und wirtschaftlicher Vernunft.

Ziel: Partnerschaft

Setzt man nämlich an die Stelle des alten patriarchalischen ein kooperatives System, ersetzt das Wissen um das gemeinsame Ziel und die innere Überzeugung den Gehorsam, jene innere Überzeugung, die den Mitarbeiter veranlaßt, seine Aufgabe nicht irgendwie, sondern bestmöglich zu erledigen. Daraus ergibt sich aber nicht nur ein höherer Grad menschlicher Befriedigung, sondern zwangsläufig auch höhere Effektivität, sei es durch gesteigerte Produktivität, durch geringere Produktivität oder einfach durch Kostensenkungen.

Freilich kann auch die Partnerschaft bestehende Spannungen nicht aufheben, sie erleichtert aber den Ausgleich, weil sie den gegensätzlichen Interessen das gemeinsame Interesse am Gelingen des Werkes und einen gemeinsamen Höchstwert, die Personalität des Menschen, überordnet.

Freilich entzieht sich die Einrichtung der partnerschaftlichen Mitbestimmung einer gesetzlichen Regelung, sie kann auch nicht einfach konstruiert werden, sie entwickelt sich in einem innerbetrieblichen Prozeß. Grundlagen und Motiv einer solchen Entwicklung sind vor allem Information, Dezentralisierung, Gruppenarbeit und Ergebnisbeteiligung, wobei diese Reihenfolge ganz bewußt gewählt wurde.

Nur der informierte Mitarbeiter ist nämlich imstande, seine Aufgabe im gemeinsamen Werk zu erkennen und zu verstehen. Information aktiviert das Interesse und ist Vorbedingung für situationsbezogene Aktivität kleiner und kleinster Gruppen, für die Aktivität zur Selbstgestaltung der Arbeit. Nur wer die Ziele kennt, und alle Voraussetzungen, die zu ihrer Erreichung notwendig sind, kann frei und verantwortlich an der Verwirklichung der Ziele mitwirken.

Ist erst der Informationsfluß gesichert, kann in kleinen Schritten die Dezentralisation realisiert werden — und damit jedem Mitarbeiter die Chance zur Selbstentfaltung geboten werden. Dezentralisation bedeutet die Übertragung geschlossener Aufgaben an geschlossene Gruppen, die Delegation von Aufgaben und der Verantwortung für ihre Ausführung in überschaubare Bereiche bis zum einzelnen Arbeitsplatz. Das ist tatsächlich mehr als eine Humanrelations-Aktion, mehr als ein Versuch zur Verbesserung des Betriebsklimas.

Ergebnisbeteiligung

Daraus ergibt sich aber auch, daß partnerschaftliche Mitbestimmung — zum Unterschied von Forderungen nach Wirtschaftsdemokratie oder betrieblicher Mitbestimmung ä la ÖGB und SPÖ — das Entscheidungs- und Verfügungsrecht des Unternehmers oder der Unternehmensleitung in allen Angelegenheiten, die ihnen gemäß ihrer Eignung zustehen, weder einschränkt noch aufhebt. Eine partnerschaftliche Betriebsorganisation befreit vielmehr den Unternehmer von der Last, sich um alle Details kümmern zu müssen, sie macht frei für die Aufgaben der Spitze, für die Formulierung des Unternehmenszieles und die Erlassung genereller Vorschriften oder individueller Anordnungen dort, wo die Einsicht nachgeordneter Mitarbeiter oder Gruppen nicht ausreicht oder wo zum Beispiel vom technischen Prozeß Sachzwänge ausgehen, die für die unmittelbar Befaßten nicht erkennbar sind. Überdies stärkt die Partnerschaft eine personalbegründete Autorität und die gesellschaftspolitische Funktion des Eigentums an Produktionsmitteln, sie sichert eine freie Gesellschaft und damit die Freiheit der Unternehmer und des Privateigentums als Basis einer partnerschaftlichen Betriebsverfassung.

Ein aus seiner Persönlichkeit und unter Einsatz auch seiner Erfahrung, seiner Intelligenz und seiner Initiative im Bewußtsein seiner Verantwortung überlegender und handelnder Mitarbeiter ist natürlich leistungsfähiger als ein am Gängelband geführter, auf Schritt und Tritt kontrollierter und damit aller Verantwortung enthobener Dienstnehmer. Solcher Einsatz ist eine echte „Mehrleistung“, die sich in einem größeren wirtschaftlichen Erfolg für das Unternehmen niederschlagen wird. Es erscheint deshalb möglich und zweckmäßig, partnerschaftlich engagierte Gruppen an dem durch dieses Engagement erreichten Ergebnis zu beteiligen, wobei sicherzustellen ist, daß die dem Unternehmen erwachsenden Verpflichtungen stets nur einen angemessenen Teil dieses Ergebnisses aufzehren können und ohne entsprechendes Ergebnis für das Unternehmen keine Verpflichtung entsteht. Derartige Systeme einer „Ergebnisbeteiligung“ werden auch in Österreich mit Erfolg praktiziert, zumindest in einem Fall wurde sie zu einer echten Vermögensbeteiligung entwickelt. Die Ergebnisbeteiligung steht keineswegs im Zentrum der Partnerschaft, sie muß aber in ein solches System integriert sein, weil sie den Mitarbeiter stark motiviert und den Verdacht erst gar nicht aufkommen läßt, die Partnerschaft wäre als Lohnsurregat anzusehen. Überdies bietet die Ergebnisbeteiligung und eine allenfalls daraus erwachsende Vermögensbeteiligung Ansatzpunkte für gesetzliche Regelungen, die eine partnerschaftliche Betriebsverfassung fördern, wie dies zum Beispiel das deutsche Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung des Arbeitnehmers aus dem Jahre 1961 versucht hat.

Durch die Ergebnisbeteiligung erweist sich die partnerschaftliche Mitbestimmung als die einzige realistische Basis für eine Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, weil eben doch alles, was verteilt werden soll, erst einmal erarbeitet werden muß.

Solche Mitverantwortung und Mitbestimmung könnte nicht nur die Arbeit aus der Stellung des Produktionsfaktors, der durch andere geplant, dirigiert und kontrolliert ist, befreien und dem Arbeiter wahrhafte Lebenserfüllung durch seine Berufsarbeit sichern (Messner), sondern auch den Wunsch nach größerer wirtschaftlicher Sicherheit durch die Schaffung von eigenem Vermögen erfüllbar machen.

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