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Das Häftlings-Leben in Jaruzelskis Verliesen

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Unentschlossenheit und Unberechenbarkeit bestimmen die Politik der Militärs gegenüber den rund 3000 noch immer Internierten. Auch die Behandlung ist unterschiedlich und anscheinend keiner Regel unterworfen

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Unentschlossenheit und Unberechenbarkeit bestimmen die Politik der Militärs gegenüber den rund 3000 noch immer Internierten. Auch die Behandlung ist unterschiedlich und anscheinend keiner Regel unterworfen

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Die Bielinski-Villa, ein imposanter Bau aus dem 18. Jahrhundert, liegt wie eine weiße Insel in dem weiten Grün der Wiesen und Hecken. Am Eingangsportal, von dem aus nach zwei Seiten die Mauern des Gartens mit ihren lanzenförmigen Eisenstangen laufen, stehen zwei Wächterhäuschen.

„Wen bewachen Sie da? Ist es Walesa?"

Der Soldat mit der Maschinenpistole lächelt über die Schulter: „Das ist schwer zu sagen. Besser, mein Herr, Sie gehen jetzt. Keine Bilder, keine Fragen."

Der Pfarrer im nahegelegenen Flecken Karczew ist auskunftsfreudiger: „Ja, wir wissen, daß Walesa in der Bielinski-Villa in Otwock-Wielki ist." Und ein Gläubiger, der gerade im Pfarrhof ist: „Man kann über die Behörden denken, wie man will, aber daß sie ihn in diesem Palais festhalten, zeigt doch, daß sie Respekt vor ihm haben."

Ein relativ mildes Regime scheint auch im Internierungsla-ger Jaworze, nahe Stettin, zu herrschen. Dort sind vor allem die intellektuellen Berater der Solidarität, Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler untergebracht.

Der ehemalige Chefredakteur der Wochenschrift „Solidarnosc", Tadeusz Mazowiecki, erhielt etwa 24 Stunden „Urlaub", um an der Hochzeit eines seiner Söhne teilnehmen zu können.

Ein anderer Intellektueller (dessen Name aus Sicherheitsgründen verschwiegen werden soll), bekam ebenfalls mehrere Tage „Lagerurlaub". Bei der Rückkehr wartete am Bahnhof der Chauffeur des stellvertretenden Lagerkommandanten mit dem Auto, um ihn abzuholen.

Noch rätselhafter der Fall des ebenfalls in Jaworze interniert gewesenen Schriftstellers Szczy-piorksi, dessen Frau bei Innenminister, General Kizczak, persönlich für die Freilassung ihres Mannes interveniert hatte. Vor Ostern erhielt sie einen Anruf aus dem Büro des Generals, sie könne nun ihren Mann abholen, ein Hubschrauber stehe bereit.

Szczypiorski, der die Auflage erhalten hatte, sich jeden zweiten Tag bei der zuständigen Miliz-Station in Warschau zu melden, erhielt beim ersten Besuch vom diensthabenden Polizei-Offizier die Antwort: „Sie brauchen nicht mehr zu kommen." Seither ist der Schriftsteller auf freiem Fuß, wenn auch sicherlich scharf beobachtet von der Geheimpolizei...

Drangsaliert wird im Lager Jaworze, das für das Militärregime offenbar als eine Art „Aushängeschild" ist, der PEN-Club-Präsident Wladyslaw Bartoszewski. Doch mit dem ihm eigenen Witz wehrt er sich auch.

Einem Lager-Offizier sagte er: „Ich würde mich nicht so benehmen! Bedenken Sie doch, wir alle werden später Memoiren schreiben. Wollen Sie, daß sich Ihre Kinder und Kindeskinder für Sie schämen müssen?"

In anderen Internierungslagern geht es offenbar härter zu. In den Untergrundpublikationen der „Solidarität" wird immer wieder auch von handgreiflichen Brutalitäten gegenüber den Insassen berichtet.

Ein Arbeiterführer, Vorsitzender des „Solidaritäf'-Komitees in einem großen Warschauer Betrieb, war im Internierungslager Bialoleka bei Warschau, ehe er freigelassen wurde. Nach seiner Schilderung sind in den 14 bis 16 Quadratmeter großen Zimmern sechs bis zehn Personen in Stockbetten untergebracht, die Matratzen sehr dünn (5 cm), auch die Decken.

Es gibt pro Zimmer zwei Eimer Wasser für hygienische Zwecke und einen Abtritt — ohne Wasser. Uber die Verpflegung sagt Leszek S.: „Noch nie habe ich so regulär gegessen." Es gibt Brot, Margarine, ein qualitativ schlechtes Mittagessen ohne Fleisch, 2 x täglich eine Tasse Bohnenkaffee ohne Zucker.

Spaziergänge im Hof sind alle zwei bis drei Tage erlaubt, für zehn bis 15 Minuten, oft in Begleitung eines Offiziers mit scharfem Hund. Der Hof ist umgeben von etwa einer zweieinhalb Meter hohen Mauer, die mit Stacheldraht zusätzlich abgesichert ist.

Unter den Wachmannschaften ist ständig ein Kommen und Gehen, aber auch unter den Internierten. In letzter Zeit sind vor allem Leute gekommen, die behaupteten, sie wären prophylaktisch interniert worden. Das ist, mehr als drei Monate nach Verhängung des Kriegsrechtes, sehr unwahrscheinlich. „Wahrscheinlich sind es Spitzel des Geheimdienstes UB", so Leszek S.

„Am schlimmsten", so behaupten Laien, die die Hilfsdienste der Kirche für die Internierten organisieren, „sind die einfachen Leute dran. Ihr Name schützt sie nicht. Sie sind besonders bedrückt, werden drangsaliert und eingeschüchtert."

Selbst bei der Beichte soll bei ihnen in der Nähe ein Wachsoldat stehen. Ihre Briefe werden alle zensuriert und oft gar nicht abgeschickt. Bei Verwandtenbesuchen gibt es Schikanen.

Neben der unterschiedlichen Behandlung fällt auch auf, daß die Militärs manche Internierte um jeden Preis abschieben möchten - etwa den Alt-Dissidenten Prof. Lipski. Er wird momentan wegen seiner Herzkrankheit in einem Warschauer Spital behandelt. Ein Militärarzt, der ihn untersuchte, stellte fest, Lipski mü-ße dort, wo er schon einmal operiert worden sei, nämlich in London, noch einmal unters Messer. Lipski wittert dahinter eine schlaue und verschleierte Form des Abschiebens.

Viele Internierte, vor allem Intellektuelle, weigern sich vom Angebot zur „Ausreise ohne Wiederkehr" Gebrauch zu machen. Arbeiter und mittlere Funktionäre der „Solidarität" sagen jedoch zu — in aller Diskretion behandeln dann die westlichen Botschaften in Warschau (auch die österreichische) solche Visa-Ansuchen.

Dieses Schweigen und das unauffällige bürokratische Abwik-keln ist von den Militärbehörden als Bedingung dafür gestellt worden, daß die ausreisewilligen Internierten auch tatsächlich einen Paß erhalten.

So ist auch die ganze Handhabung des Problems der Internierten ein Beispiel für die Ratlosigkeit der Herrschenden in Polen, ein Spiegel widersprüchlicher Interessen und eine Bestätigung für die „Regellosigkeit" der Militärjuntapolitik, aus der sie einen Großteil ihrer psychologischen Abschreckungswirkung erzielt.

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