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Das Heer an der Grenze

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1956 wurde das österreichische Bundesheer gerade aufgestellt, als es bereits alarmiert wurde. ESv galt, die Grenze zu sichern. Truppenteile waren bis 1957 im Sperrgebiet.

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1956 wurde das österreichische Bundesheer gerade aufgestellt, als es bereits alarmiert wurde. ESv galt, die Grenze zu sichern. Truppenteile waren bis 1957 im Sperrgebiet.

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Das erste Kontingent an Jungmännern war erst am 15. Oktober 1956 eingerückt, mehr als ein Jahr nach der Verabschiedung des Wehrgesetzes und im Grunde genommen unter Bruch des den Westalliierten gegebenen Versprechens, noch vor Abzug der alliierten Truppen ein einsatzfähiges Heer aufgestellt zu haben. Vor allem die Zeitungen nahmen regen Anteil am Heeresausbau und am ersten Einrückungstermin. Als es soweit war, dachte man wohl: Gott sei Dank, das ist geschafft! - Und dann kam Ungarn.

Eine der ersten Reaktionen und Überlegungen war die: Lösen wir das Heer wieder soweit auf, daß es nur als eine Art B-Gendarmerie existiert. Dann besteht es nur aus Berufssoldaten, und die anderen, jene knapp 13.000 Jungmänner, werden wieder — zumindest vorübergehend - nach Hause geschickt.

Doch es kam anders. Die Jungmänner blieben bei ihren Einheiten, wohl deshalb, weil niemand abschätzen konnte, wie sehr der Grenzsicherungseinsatz schließlich mit Gefahren verbunden sein sollte. Ja, im Grunde genommen waren es die jungen Soldaten, die eine Art Druck von der Basis erzeugten und an ihrer Leistungsund Einsatzbereitschaft keinen Zweifel ließen.

Die Alarmierung des Heeres erfolgte in zwei Abschnitten. Zunächst einmal wurde am 24. Oktober nur eine Assistenzleistung in einem sehr eingeschränkten Rahmen angeordnet. Sie wurde vom Bundeskanzler am darauffolgenden Tag als unnotwendig aufgehoben. Angesichts der Eskalation in Ungarn und nachdem sich Julius Raab der möglichen Folgen der ungarischen Revolution für Österreich bewußt geworden war, ordnete er allerdings am 26. Oktober eine totale Alarmierung an.

Die Alarmierung löste aber nicht nur den sofortigen Abmarsch der in Ostösterreich gar-nisonierenden Truppen aus, vielmehr setzte eine viel weitergehende Bewegung ein. Denn Ostösterreich hatte damals noch sehr wenige Truppen. Durch die Verzögerung bei der Aufstellung des Heeres, durch die erst allmählich vorankommende Instandsetzung der Kasernen war die Masse des Heeres noch jenseits der Enns. Vor allem aber waren dort einige der schlagkräftigsten Verbände. Sie würden in rascher Reihenfolge in Marsch gesetzt und verlegt — meist in Nachtmärschen — nach Wien und dann weiter in das Burgenland.

Bei alldem, was in den nächsten Tagen und Wochen geschah, war ein unerhörter und permanenter Lernprozeß im Gange. Und sicherlich wirkte sich dabei die Kriegserfahrung von Offizieren und Unteroffizieren in besonderer Weise aus. Sie sahen sich mit einem klaren Schießbefehl ausgestattet, der für alle Fälle, auch für jenen am meisten befürchteten galt, daß sowjetische Truppen die Grenze überschritten.

In der Nacht vom 5. zum 6. November, knapp nachdem die sowjetische Intervention in Ungarn voll angelaufen und der Kampf um Budapest entbrannt war, gab es für das Heer die erste und im gesamten Bundesgebiet durchzuführende Nachtübung. Auf Grund einer Desinformation wurde für die Nacht ein sowjetischer Angriff mit dem Ziel der Wiederbesetzung der ehemaligen sowjetischen Zone in Österreich befürchtet.

Verteidigungsminister Ferdinand Graf bewilligte zunächst vollständig die Vorschläge der Heeresführung zur Zurücknahme der eingesetzten Verbände und zur höchsten Alarmbereitschaft. Nachträglich wollte der Minister zwar einiges rückgängig machen, wohl deshalb, weil er für seine Maßnahmen keine volle Deckung in der Regierung fand. Schließlich sah er sich aber einer Bundes-heerführung gegenüber, die unter Anspielung auf das Jahr 1938 an den einmal ergangenen Befehlen festhalten wollte. Graf gab nach.

Hier wurde eine Führung erkennbar, die das Heer wirklich als ultima ratio des Staates sah. Für die genannte Nacht wurden die Jungmänner nach hinten geschickt. Die in den Garnisonen belassenen Truppen veranstalteten Nachtübungen und Nachtmärsche. In den frühen Morgenstunden des 6. November war buchstäblich kein Soldat in einer Kaserne, und die in der vordersten Linie eingesetzten (Berufssoldaten schauten gespannt nach Osten. Zu Mittag wurde der Alarm aufgehoben.

Diese Krise war sicherlich die dramatischste Episode im Verlauf des Grenzsicherungseinsat-zes 1956. Die Bundesheerführung erntete aber für ihr entschlossenes Eintreten keinen Dank. Das Außenministerium ersuchte in einer doch eindeutigen Form, von derlei „Nachtübungen“ künftighin Abstand zu nehmen.

Rein äußerlich bot Österreich im Frühjahr 1957 auch schon ein anderes Bild als im Herbst 1956, da sich der Osten Österreichs fast schlagartig militärisch gefüllt hatte. Uber alle Erfahrungen hinausgehend, prägte sich aber den Militärs der Heeresspitze etwas ein, das zur dominierenden Erkenntnis wurde: Der Primat der Politik war etwas, das zwar strikte Beachtung finden müßte, doch wäre auch für die Zukunft nicht zu erwarten, daß sich die politische Führung im Angesicht einer Krise zu einer klaren und mutigen militärischen Maßnahme entschließen würde.

Dem Heer waren seine Grenzen gewiesen worden. Und diese lagen nicht bei der Brücke von Andau.

Der Autor ist Dozent für österreichische Geschichte an der Universität Wien und wissenschaftlicher Oberrat am Heeresgeschiflhtü-chen Museum/Militärwissenschaftliches Institut in Wien.

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