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Das Herz der Orthodoxie

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Athos, der heilige Berg der Mönche und Einsiedler, Ort der Geheimoffenbarungen und Wundergeschichten hat auch nach tausendjährigem Bestehen nichts von seiner Faszination verloren. Zehntausende besuchen ihn Jahr für Jahr, Männer, vor allem aus Westeuropa. Frauen ist er verboten. Seit hier Panagia, die Gottesmutter, an Land ging, blieb die Halbinsel jeder anderen Frau versperrt. Die Legende erzählt, daß die Apostel nach dem ersten Pfingstfest die Missionsgebiete untereinander auslosten. Maria erhielt dabei Athos und Georgien. Auf einer Fahrt nach Zypern, wo sie den vom Tod erweckten Lazarus besuchen wollte, geriet sie in einen Seesturm und wurde zum Athos abgetrieben.

In der Karwoche 1989 wanderte Freddy Derwahl von Kloster zu Kloster des heiligen Berges. Es war die zweite Athosreise des deutschsprachigen Belgiers, der durch seinen bei Styria 1987 erschienenen Roman„Der Mittagsdämon" auch bei uns bekannt ist. Er beschreibt die Landschaft und ihre Vegetation, die üppige Wildnis zwischen dem Meer und dem über 200 Meter hohen Athosgipfel, die steinigen Einsamkeiten, die Jahrhunderte alte Kulturlandschaft der Terrassengärten. Die Vorstellung von einer starren Klosterwelt, die so mancher haben mag, weicht dem Bild vielschichtigen Lebens. Aus der Vielfalt der Sprachen und Kulturen, der Schicksale und dem Geist leidenschaftlicher Frömmigkeit entstand eine Mönchswelt der majestätischen Kuppelkirchen und freskenbedeckten Heiligtümer, der Ansiedlungen, über denen der Zauber von Byzanz liegt, der ärmlichen Hütten und Eremitagen in halsbrecherischer Felsenhöhe. Der Athos ist für alle Völker der Ostkirche das Herz der Orthodoxie.

Seit der Perestrojka schlägt dieses Herz nun wieder in jugendlicher Heftigkeit und zieht viele junge Geistliche aus den ehemaligen Ostblocklän-dem an sich. Junge Mönche, alte Väter, ihr Leben ist nicht idyllische Beschaulichkeit, sondern, wie es in den Sprüchen der Mönchsväter aus der ägyptischen Wüste heißt: „Mühsal, nichts als Mühsal ist der Mönch." Harte Wald- und Gartenarbeit, lange Wanderungen auf schwierigen Bergpfaden, das ist der Alltag. Nachts die geheimnisvollen Liturgien, zu denen der Schlag des Simandrons, der Stundentrommel, ruft.

Ökumene beruht auf dem Wunsch, dem anderen denkend und fühlend näher zu kommen. Auch diesem Gedanken dient das Buch. Der Leser erfährt vieles über die Orthodoxie und würde sich ein Register wünschen, um Namen und Begriffe nachschlagen zu können. Doch war es offensichtlich nicht die Absicht des Autors zu belehren, sondern ein liebevolles Buch zu schreiben, das die Erlebnisse seiner „inneren Reise" mitteilt und den Geist fühlen läßt, der aus dem Satz Gregor von Nyssas, des Vaters der Ostkirche, strahlt: Am Ende seines Lebens wird der Mensch nur nach seiner Liebe beurteilt. DIE NACHT DER JUNGFRAU. Erzählung einer inneren Reise zum Berg Athos. Von Freddy Derwahl. Aquarelle von Willy Emonts. Grenz-Echo Verlag, Eupen/Belgien. Vertrieb in Deutschland: Meyer & Meyer Verlag, Aachen.

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