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Das „Hühnerauge“ bleibt

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Auch nach Inkrafttreten des Grundvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bleibt West-Berlin und der ungehinderte Zugang zur Halbstadt der neuralgische Punkt in den innerdeutschen Beziehungen. Dies machen in jüngster Zeit die Auseinandersetzungen um die Einrichtung eines Umweltbuwdesamtes irr West^fierlinf“*v4e'Vf!*Jlefn die Nachrichten von DDR-Kontrollen auf den Transitstrecken deutlich. Die Annahme, daß West-Berlin nicht länger das „Hühnerauge“ sein werde, auf das die östliche Seite unbarmherzig treten kann, wenn sie dem Westen Unannehmlichkeiten bescheren will, hat sich, entgegen allen Erwartungen und noch immer von Bonner Regierungsseite aufrechterhaltenen Beteuerungen, als irrig erwiesen.

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Auch nach Inkrafttreten des Grundvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bleibt West-Berlin und der ungehinderte Zugang zur Halbstadt der neuralgische Punkt in den innerdeutschen Beziehungen. Dies machen in jüngster Zeit die Auseinandersetzungen um die Einrichtung eines Umweltbuwdesamtes irr West^fierlinf“*v4e'Vf!*Jlefn die Nachrichten von DDR-Kontrollen auf den Transitstrecken deutlich. Die Annahme, daß West-Berlin nicht länger das „Hühnerauge“ sein werde, auf das die östliche Seite unbarmherzig treten kann, wenn sie dem Westen Unannehmlichkeiten bescheren will, hat sich, entgegen allen Erwartungen und noch immer von Bonner Regierungsseite aufrechterhaltenen Beteuerungen, als irrig erwiesen.

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Ausgelöst wurde der jüngste Konflikt durch die Entscheidung der Bonner Regierung, in West-Berlin ein Umweltbundesamt zu etablieren. Bei ihm soll es sich um eine dem Bundesinnenministerium untersteilte Behörde handeln. Die Wahl des Standortes entsprang freilich nicht einer besonderen Umweltschutzproblematik in Berlin, sondern der Absicht der Bundesregierung, die Bindung West-Berlins an die Bundesrepublik zu demonstrieren und zu zeigen, daß man von der Möglichkeit der Vier-Mächte-Vereinbarung, diese Bindungen auszubauen, Gebrauch machen will. Damit sollte auf der einen Seite West-Berlin beruhigt werden, das sich seit Abschluß der Verträge ohnedies etwas vernachlässigt fühlt. Auf der anderen Seite sollte der DDR gezeigt werden, daß man in Bonn die Möglichkeiten des Vier-Mächte-Abkommens voll ausschöpfen will.

Wenn auch auf Bonner Seite Einigkeit darüber bestand, daß die Gründung einer Bundesbehörde in West-Berlin sinnvoll und berechtigt sei, so herrschte doch Unstimmigkeit darüber, ob der Zeitpunkt richtig gewählt war. Vielfach wurde empfohlen, mit diesem durchaus demonstrative Züge tragenden Schritt noch einige Zeit, etwa noch ein Jahr, zuzuwarten. Scharfe Reaktionen aus Ost-Berlin wurden befürchtet.

Prompt reagierte Pankow mit massiven Kontrollen auf den Transitstrecken, kaum daß die endgültige Entscheidung zugunsten des Standortes West-Berlin gefallen war. Freilich dementierte Ost-Berlin, daß irgendein Zusammenhang mit der Einrichtung der Bundesbehörde in West-Berlin bestehe. Die Kontrollen galten angeblich Verbrechern und nicht den Berlin-Reisenden. Pikanterweise ließ man sogar durchsickern,die „Verbrecher“ seien sowjetische Deserteure gewesen. Zwar haben seither die massiven Kontrollen ein Ende gefunden, doch liegen noch immer laufend Berichte von Benutzern der Transitstrecken vor, die von teilweise schikanösen Kontrollen erzählen.

Zwar besteht in der Bundesrepublik auch auf Regierungsseite kein Zweifel darüber, daß solche Kontrollen eine Verletzung des Transitabkommens sind. Das Abkommen bestimmt ausdrücklich, daß nur beim berechtigten Verdacht auf Mißbrauch der Transitstrecken DDR-Organe Kontrollen vornehmen dürfen. Dies war bisher auch von der DDR akzeptiert worden und selbst zu Zeiten der heftigsten Auseinandersetzungen um die sogenannten Fluchthilfeorganisationen gab es keine Kontrollen.

Bonn konnte alle Kritiker an den Vereinbarungen mit der DDR darauf verweisen, daß der ehemals problematische Berlin-Verkehr nunmehr reibungslos und schnell laufe. Die jetzt vorgenommenen DDR-Kontrol-.len, die noch dazu bei. Annahme einer Verbrechersuche gar nicht den Benutzern der Transitstrecke galten, hätten daher, und dies verlangte nicht nur die CDU/CSU-Opposition, eines klaren, wenn schon nicht scharfen Protestes bedurft.

Die Bonner Regierung freilich taktierte, als gelte es durch noble Behandlung des delikaten Themas, den östlichen Partner bei Laune zu halten. Während der SPD-Pressedienst von vertragswidrigen Kontrollen sprach und der Minister für innerdeutsche Beziehungen, der SPD-Mann Egon Franke, das DDR-Vorgehen kritisierte, zeigten die Regierungsspitze und ihre Ost-Experten vorsichtige Zurückhaltung. Der designierte BRD-Beauftragte in Ost-Berlin und Chef-Unterhändler mit der DDR, Günther Gaus, erklärte gar öffentlich nach Gesprächen mit seinem DDR-Verhandlungspartner, daß er den DDR-Beteuerungen, es habe sich tatsächlich um eine Verbrecherfahndung gehandelt, Glauben schenke.

Solche beschwichtigende Äußerungen standen der klaren Sprache des Westberliner Oberbürgermeisters Klaus Schütz gegenüber, der offen von einer Verletzung des Trahsitabkommens sprach und den sofortigen Zusammentritt der DDR-BRD-Transitkommission verlangte.

Die Bonner Regierung aber verfolgt offensichtlich nach wie vor das Ziel, mit der DDR ohne harte öffentliche Töne ins reine zu kommen, offensichtlich in der Annahme, daß es der DDR dann leichterfallen könnte, ohne Gesichtsverlust von ihrer harten Tour wieder abzugehen. Dieser Linie entspricht auch ein vorsichtiges Vorfühlen von Sonderminister Bahr in Washington in der Berlin-Frage und der Verzicht, die westlichen Verbündeten als Unterzeichner des Vier-Mächte-Abkommens zu intensiv in die Konfrontation mit der DDR und der vierten Signatannacht, der UdSSR, zu involvieren.

Eine solche Politik provoziert freilich nicht nur weiteren ständigen Dissens mit dem Senat von West-Berlin, der gerade durch die Einrichtung des Umweltbundesamtes etwas beruhigt werden sollte. Auch die Opposition wird damit förmlich zu massiver Kritik an der Regierung aufgerufen. Schließlich werden durch eine solche Politik, die schnell unter dem Schlagwort des „Wohlverhaltens gegenüber der DDR“ zusammengefaßt wird, auch die Zweifel in der Wählerschaft genährt, ob die Regierung Brandt/Scheel die Ostpolitik mit dem gleichen Erfolg ausführen könne, mit dem sie diese eingeleitet und die entscheidenden Weichen gestellt hat.

Vorerst zeigen sich, vor allem nachdem auch das bisherige Glanzstück, der reibungslose Berlin-Verkehr, gefährdet ist, hauptsächlich Rückschläge: Ost-Berlin hat durch die Verdoppelung der Mindestum-tauschsätze bei Reisen in die DDR den kaum in Gang gekommenen innerdeutschen Reiseverkehr brutal reduziert. Bei den sogenannten Nachfolgeverhandlungen zum

Grundvertrag über Rechts- und Gesundheitsfragen wie vor allem über den Status der Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin zeichnen sich kaum Fortschritte ab.

Keinen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten bedeutet es, wenn die Regierung ihr Heil in Angriffen auf die Opposition sucht und dieser vorwirft, alle Probleme in den Beziehungen zur DDR hochzuspielen und für sich auszunützen. Damit fördert sie nur die bundesdeutsche Uneinigkeit in der Ostpolitik. Einigkeit wäre aber gerade bei einem so harten Gegner wie der DDR um so nötiger.

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