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Das Kaninchen und die Blindschleiche

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Wer etwa behauptet, Opposition bedeute, partout und durchaus dagegen zu sein: der ist kein Demokrat, sondern ein Dummkopf. Die Opposition ist auch nicht bloß Kontrollinstanz, eine Art Wachstumsbremse der in den Himmel der Utopie strebenden Bäume der Regierung. Sie ist, so paradox das auch klingt, das eigentlich konstruktive Element im politischen Betrieb der parlamentarischen Demokratie. Es eignet nämlich jeder Regierung, eben weil sie regiert, die Tendenz zur Schlamperei — ein Phänomen, das überall in der Natur beobachtet werden kann: wer nicht mehr kämpfen zu müssen glaubt, wird lax, er verlottert und verkümmert. Die Regierung weiß zwar, daß dieses und jenes zu tun sei, doch in dem hochmütigen Bewußtsein, ja sowieso zu regieren, tut sie das zu Tuende, wenn überhaupt, nur mit der linken Hand: ohne Sachkenntnis oft, und ohne Rechtsabwägungen auch nicht grad selten. Und weil das so ist, obliegt es der Opposition, die Träume der Regierung zu konkretisieren, die Schwärmereien der Regierung auf die Tatsachenwelt zu projizieren, das formale Gehudel der Regierung in die Rechtsstaatlichkeit zurückzurufen, kurzum: sowohl die genialen als auch die banalen Ideen der Regierung politisch anwendbar zu machen. Darin offenbart sich positive Staatsgesinnung, und das ist überdies der einzige Weg zu dem lohnenden Ziel, aus fremdem Kapital für sich selber Zinsen zu schlagen.

Die These von der naturbedingten Unfähigkeit jeder Regierung wird neuerdings ganz eklatant bestätigt durch ein Team, dessen Chef expres-sis verbis versichert hatte, noch nie sei eine Partei derart gut vorbereitet an die Regierungsgeschäfte herangegangen wie 1970 die SPÖ. Und just dieses Team muß als die mit Abstand schlechteste Regierung bezeichnet werden, die die Zweite Republik je hatte. Das einzige vor der Geschichte zählende Verdienst der Regierung Kreisky besteht bis jetzt darin, offenbart zu haben, wie großartig die allzu bescheidene Regierung Klaus doch gewesen ist. Ansonsten aber...

Also, ansonsten: Von der Energiewirtschaft über die Landesverteidigung bis zum Gesundheitswesen gibt es bei dieser einmalig gut vorbereiteten Regierung kein Konzept, sondern nur wortreiche, aber inhaltsleere Vertröstungen. Die für die Wirtschaft verantwortlichen Ministerien haben eine unnötige Inflation mitverursacht und wollen dagegen ankämpfen mit Methoden, die aus der Mottenkiste der Nationalökonomie stammen. Der Justizminister spricht von Reformen, wo es sich bestenfalls um Retuschen handelt. Der Außenminister geht mit der für Österreich lebensgefährlichen Sicherheitskonferenz hausieren, wie wenn er dafür bezahlt bekäme; und der Verteidigungsminister kämpft auf einem schon deshalb verlorenen Posten, weil sein eigener Kanzler Ihm eine Mine mit Zeitzünder unter den Regierungssessel gelegt hat. Die Sanierung des Verkehrswesens begann und endete mit Tariferhöhungen, wie denn überhaupt der Griff ins Portemonnaie der Bürger als oberste Maxime der Regierungskunst gilt. Allerdings gibt es die Schulbücher gratis, und das ist genial, denn es kostet viel mehr, als man merkt.

Das alles — die Preisgabe der Neutralitätspolitik ausgenommen — ist nicht katastrophal und nicht einmal schlimm, sondern in der parlamentarischen Demokratie völlig normal: es ist diesmal eben ein Team von politischen Kurpfuschern in das Regierungsgeschäft hineingewählt worden; das ist auch schon Völkern mit einer wesentlich älteren Demokratie passiert. Aber ebenso normal ist es, daß angesichts einer bloß verbal agierenden Regierung die Opposition sich zu Taten aufrafft. Wenn zum Beispiel der Finanzminister unter dem Titel einer Steuerreform nur neuen Wirrwarr und neue Ungerechtigkeit stiftet, muß die Opposition ein reelles Reformkonzept präsentieren und so lange und intensiv zur Sprache bringen, bis die Regierung es akzeptiert — oder bis das Wählervolk diese Regierung nicht mehr akzeptiert. So begründet das Maß, in dem eine Regierung versagt, die Chance der Opposition, nach dem nächsten Urnengang selber die Regierungsverantwortung übernehmen zu können.

An den Leistungen der Regierung Kreisky gemessen, müßte die ÖVP aus der nächsten Wahl als Sieger mit 80 Prozent hervorgehen, aber sie wird froh sein müssen, mehr als ein Drittel der Stimmen zu bekommen. Denn seit mehr als zwei Jahren hat sie, die ÖVP, auf ihre Fahnen geschrieben: „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten!“ Noch nie in der Zweiten Republik hat es eine Regierung gegeben, deren ganze Politik eine einzige Einladung an die Opposition war, sie, diese Regierung, zu stürzen; aber: Kreisky liquidiert die Neutralitätspolitik und die Volkspartei quittiert das nur mit einem Augurenlächeln. Kreisky demontiert das Bundesheer, und der bürgerliche Wehrexperte murmelt gewohnheitsmäßig „Kanonenfutter“. Kreisky bläht die Regierung und den Beamtenapparat auf, und die ÖVP moniert daran nur, daß dabei nicht auch ihre Leute zum Zuge kommen. Kreisky plaudert von Demokratisierung und Transparenz, und niemand in der ÖVP hat den doch naheliegenden Einfall, den Bundeskanzler um Definition oder gar um Beispiele aus seiner eigenen Amtsführung zu bitten. Stattdessen wird wacker mitlizi-tiert, was aber auch nur eine Bestätigung des Regierungskurses darstellt. Kreisky wäre — mit Verlaub gesagt — schön dumm, wenn er die permanente Zustimmung der ÖVP nicht in sein Kalkül zöge.

In einer allzu langen Regierungszeit hat die Volkspartei verlernt, Politik zu machen, denn die von ihr initiierte Politik machte ihr ja die (auch in der Regierung opponierende) SPÖ. Die Volkspartei hat sich angewöhnt, unter Politik nichts anderes zu verstehen als Personalpolitik (und von der alles entscheidenden Pressepolitik hat sie ja nie eine Ahnung gehabt). Und jetzt, in der Opposition, starrt sie gebannt auf Kreisky, wie das Kaninchen auf die Schlange, anstatt zuerst einmal zu prüfen, ob diese Schlange in Wahrheit nicht bloß eine Blindschleiche ist.

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