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Das Karntner Alphabet hurt nicht bei auf

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Die einen meinen, die „Volkszählung besonderer Art“ am 14. November dieses Jahres werde endlich Exaktes über Stärke und Verteilung der Volksgruppen in Österreich bringen. Die anderen wieder wehren sich gegen diese Zählung, als ob sie das sichere Ende der Minderheiten brächte. Beide Positionen werden sich spätestens mit der Auszählung der Erhebungsbögen als falsch erweisen. 'Die 'Minderheitenfeststellung i bringt 'Weder den Schlüssel zur Türe in eine friedliche Zukunft, tÄch''ist1 sie radikaler Schlußpunkt einer „Endlösung“. Sie ist — und sollte nicht anders gesehen werden — eine Episode, ein Buchstabe im Kärntner Alphabet, das mit „A“ für Abwehrkampf beginnt und hoffentlich mit „Z“ für Zusammenleben enden wird!

Warum wird die geheime Sprachzählung kein exaktes Ergebnis bringen? Schon die bisherigen — öffentlichen — Sprachermittlungen im Rahmen der üblichen Volkszählungen brachten derart unterschiedliche Zahlen, daß sie bestenfalls als Orientierungshilfe dienen können. Eine geheime Zählung könnte auf den ersten Blick Genaueres bringen, wenn — ja, wenn sich alle darauf einigen könnten. Leider geschah das nicht, und wegen der herrschenden Spannungen muß man es wohl schon als' Erfolg ansehen, daß sich die Obmänner der Parteien wenigstens darauf geeinigt haben, einander nicht in den Rücken zu fallen.

Die geheime Zählung gestattet es aber auch, keine oder falsche Angaben zu machen, wozu nun merkwürdigerweise nicht nur die Gegner der Zählung, sondern indirekt' auch deren Befürworter aufrufen. Wenn Aufrufe wie „Wer keine zweisprachigen Ortstafeln will, kreuzt ,Deutsch' an“ zu hören sind, dann heißt das im Klartext: „Egal, was deine Muttersprache ist, willst du keine Ortstafeln, kreuze ,Deutsch' an.“ Die Zählung wird also weder exakte Ergebnisse bringen, noch einen „Ethnozid“ verursachen; es wird sich lediglich eine weitere anzweifelbare Zahl zu den vielen schon umlaufenden Stärkezahlen der slowenischen Volksgruppe gesellen.

Hängen Minderheitenschutz und Minderheitenförderung notwendig vom Wissen um die genaue Stärke der Volksgruppen ab? Sicher wären genaue Däten.<sehri wertvoll für eine gerechte Verteilung aller Maßnahmen. Sie sind aber unter den gegebenen Umständen, wie sich gezeigt hat, auch nicht annähernd mit wünschenswerter Exaktheit zu haben. Weil man das weiß, spricht man nur von Orientierungshilfen, natürlich ohne jetzt schon zu sagen, was man darunter versteht. Die Grenze zwischen dem berechtigten Anspruch der Minderheit und der Zumutbarkeit für die Mehrheit wäre aber auch mit dem genauesten Zahlenmaterial noch nicht flxierbar und bleibt datier dem Geschick und dem Durchsetzungsvermögen der verantwortlichen Politiker anheimgestellt. Man kann aber schon verstehen, daß Politiker, vor allem, wenn sie sich die Finger schon einmal verbrannt haben, lieber eine Lösung gesehen hätten, bei der sich die Detailentscheidungen automatisch aus einem Orakel wie der Minderheitenfeststellung ergeben könnten.

Ist eine geheime Sprachzählung staatsvertrags- oder völkerrechtswidrig? Grundsätzlich wird das von Völkerrechtlern verneint. Man wird aber nicht umhin können, hier auf Gefahren hinzuweisen, die aus einer Irrreführung von Teilen der Bevölkerung erwachsen könnten. Die geheime Erhebung der Muttersprache als des einzigen statistisch erfaßbaren objektiven Merkmals der Volkszugehörigkeit kann, wie schon ausgeführt, verfälscht werden zu einer Abstimmung darüber, ob und wieweit Österreich seine im Staatsvertrag übernommenen Verpflichtungen erfüllen soll. Wenn diese Verfälschung gelänge, wäre das zweifellos sowohl staatsvertrags- wie völkerrechtswidrig. Und das wieder wäre für Österreich bedenklicher als die Aufstellung „überflüssiger“ Ortstafeln.

Nach Äußerungen verschiedener Bundespolitiker kann man den Schluß ziehen, daß sie nicht unbedingt mit einem brauchbaren Resultat der Sprachzählung rechnen; sie werden daher sicher schon Ersatzlösungen in petto haben müssen. Dabei können sie auf Vorschläge der Ortstafelkommission zurückgreifen, vor allem auf solche der Vertreter der katholischen Kirche. Denn die geheime Sprachenermittlung war kein Vorschlag der Kommission, sondern eine Auftragsarbeit seitens des Bundeskanzlers.

Das Volksgruppengesetz bindet in seiner derzeitigen Fassung nur die zweisprachigen topographischen Bezeichnungen an das Vorhandensein von mindestens 25 Prozent Volksgruppenangehörigen. Bei allen anderen Maßnahmen sind lediglich „Ergebnisse amtlicher statistischer Erhebungen mitzuberücksichtigen“. Die politisch Verantwortlichen sehen sich da drei Aufgabenkreisen gegenüber: • der Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag, was zu einem beträchtlichen Teil schon geschehen ist;

•dem Schutz und der Förderung der Volksgruppen über die vertraglichen Verpflichtungen hinaus, was ebenso aus österreichischer Tradition wie aus dem heutigen Standard internationalen Volksgruppenrechts heraus als geboten erscheint,

•der gezielten Förderung alles dessen, was zur Verständigung und zur Harmonisierung des Zusammenlebens zwischen Mehrheit und Minderheit führt.

Nur eine Abstimmung aller drei Aufgabenkreise miteinander kann zum Ziel führen: ohne gezielte Förderung der Verständigung stößt bekanntlich schon die Erfüllung des Staatsvertrages auf Schwierigkeiten; ist dieser erfüllt, garantiert das noch lange nicht den Fortbestand der Volksgruppen und jede einseitige Förderung der Minderheiten führt zu unguten Konkurrenzsituationen oder zur Verdrängung in Reservate, wenn nicht gleichzeitig das Verständnis der Mehrheit geweckt wird. Erst wenn die Lautwerte aller Buchstaben des Kärntner Alphabets in unser Bewußtsein gedrungen sind, werden wir die gemeinsame Sprache finden, die sowohl das Slowenische wie das Deutsche umschließt!

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