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Das Katz-und-Maus-Spiel mit den Liberalen

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Die Briten atmeten auf; dank des Nordseeöls dürfte die Talfahrt ihrer Wirtschaft vorerst gestoppt sein. Bereits 1977 konnten sie rund 40 Prozent des Energiebedarfs selbst decken, was gegenüber den mageren neun Prozent im Jahre 1976 einen gewaltigen Fortschritt bedeutet. Dennoch sind noch nicht alle wirtschaftlichen Sorgen überwunden: Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, die Gehaltsbeschränkungen für Millionen Arbeitnehmer dauern an, die Inflationsrate konnte zwar auf unter 13 Prozent gedrückt werden, doch ging auch die reale Kaufkraft der Briten zurück.

Der wirtschaftliche Aufschwung, der sich auch in einer positiven Handelsbilanz niederschlägt, hat auch zu einer Erholung des Pfund Sterling geführt, was wiederum der Exportwirtschaft Probleme bereitet. Auch Streiks sind nach dem nun schon zwei Jahre andauernden Lohnstopp wieder an der Tagesordnung, doch ist die Regierung - wie sich jüngst beim abgebrochenen Feuerwehrstreik zeigte -eisern gewillt, ihr Stabilisierungskonzept durchzuziehen.

Daß sich die Labour-Regierung mit dieser Politik nicht nur Freunde macht, ist klar. Besonders auch der linke Flügel innerhalb der Partei zeigte - nicht zuletzt bei Abstimmungen im Unterhaus — häufig seine ablehnende Haltung. Diese parteiinternen Schwierigkeiten und das oppositionelle Verhalten der Nationalistenparteien führten letztlich dazu, daß Callaghan im Frühjahr 1977 mit dem neuen Liberalenchef Steel den sogenannten „Lib-Lab-Pakt“ schloß, der die Liberalen - zum ersten Mal seit dem Ersten Weltkrieg - wieder einen Hauch von Regierungsbedeutung spüren heß. Da es sich um keine formelle Koalition handelt, beschränkt sich die Mitwirkung der liberalen 13-Mann-Fraktion auf die parlamentarische Unterstützung.

Innerhalb der Liberalen Partei war und ist dieses Bündnis jedoch mehr als umstritten. Die stillschweigende „Duldung“ der Labour-Regierung könnte - so die einen - dazu führen, daß die Liberalen bei den nächsten Wahlen aufgerieben werden. Sie untermauern ihre These mit der Tatsache, daß die Liberalen bei bislang allen Nachwahlen schlecht abgeschnitten hätten (wie übrigens auch die Regierungspartei), und daß Callaghan die Liberalen nur so lange halten werde, als sie ihm zur Absicherung seiner Regierungsmehrheit nützlich seien. Parteiführer Steel hält dem entgegen, daß es den Liberalen bis jetzt doch gelungen sei, Regierungsvorlagen abzuschwächen und liberale Interessen durchzusetzen.

• Das große politische Ziel der Liberalen ist jedoch weiterhin die Änderung des englischen Wahlrechts vom Majo-ritäts- zum Verhältniswahlrecht. Schließlich sind sie die größten Leidtragenden dieses Wahlrechts, das zwar in der Regel durch seinen Verstärkungseffekt regierungsfähige Mehrheiten produziert, doch anderseits Minderheitsparteien stark benachteiligt. So haben die Liberalen beispielsweise rund zehn Prozent der Stimmen, besitzen jedoch rund etwa zwei Prozent der Mandate.

Die Hoffnungen der „Dritten Kraft“ wurden durch die für Mai/Juni 1978 angesetzten Direktwahlen in das EG-Parlament bestärkt. Für diese EG-Wahlen wurde - in Anlehnung an das kontinentaleuropäische Wahlrecht -von Innenminister Rees im Unterhaus gleichsam als „Pflichtübung“ gegenüber den Liberalen der Antrag gestellt, das Verhältniswahlrecht einzuführen. Es sei „rascher, fairer und repräsentativer“. Die Liberalen erhofften sich von dieser Einführung nicht nur eine angemessene Vertretung im EG-Parlament, langfristig gesehen erwarteten sie sich auch eine Änderung des britischen Wahlrechts.

Die trügerischen Hoffnungen zerschlugen sich, als in einer stürmischen Sitzung des Unterhauses in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 116 Labour-Abgeordnete erwartungsgemäß gegen die Einführung stimmten. Denn die beiden großen Parteien, insbesondere jedoch die derzeit regierende Labour Partei, haben kein Interesse am Wiedererstarken der Liberalen. Gemessen an der derzeitigen politischen Landschaft in Großbritannien könnte diesen durch das neue Wahlrecht nämlich die Funktion des „Züngleins an der Waage“ zukommen.

Mit der Ablehnung war auch Steels Position als Parteichef ins Wanken geraten, noch dazu ihn Callaghan wissen heß, daß er ihm bei seinen innerparteilichen Schwierigkeiten nicht helfen könne. Callaghan braucht heute die Liberalen nicht mehr so dringend wie vor etwa einem Jahr, inzwischen sind nämlich die schottischen und walisischen Nationalisten wieder eher auf regierungsfreundlichen Kurs eingeschwenkt. Ein Kurs, der jedoch nicht von Dauer sein muß, da auch diese nationalistischen Splitterparteien in den letzten Tagen einen Anlauf in Richtung Proportionalitätswahlrecht unternommen haben.

Labour spielt also mit den Liberalen Katz und Maus und Steel konnte auch nicht- selbst wenn eres gewollt hätte -den Pakt nach dieser Abstimmungsniederlage aufkündigen: Die Wahlen ins EG-Parlament sind in England kein Thema, das die Wähler bewegt.

Noch einmal konnte Steel seine Position halten: Auf dem jüngsten Sonderparteitag wurde ihm freie Hand gegeben, vorerst gemeinsam mit Labour weiterzumachen und den Pakt erst nach Rücksprache mit der Parteiführung zu einem günstigen Zeitpunkt kurzfristig zu kündigen. Steel hat damit einen Blankoscheck erhalten, manche Beobachter sprechen sogar von einer Stärkung seiner Position. Doch dieser Beschluß hat für Steel, der ohnehin nur mit knapper Mehrzeit zum Parteiführer gewählt worden war, auch einen Nachteil: Sein politisches Schicksal ist nun noch stärker vom Wohlwollen Callaghans abhängig.

Die Legislaturperiode könnte an sich bis 1979 andauern, Callaghan wird es jedoch kaum gelingen, die Gewerkschaften noch einen vierten Winter zur Zurückhaltung aufzurufen. Allgemein wird deshalb ein Wahltermin noch für diesen Herbst erwartet. Bis dahin sollte nicht nur die Inflationsrate weiter gesunken sein, auf Grund der verbesserten wirtschaftlichen Situation wird es der Labour-Regierung auch möglich sein, einige Wahlgeschenke zu machen. Zusätzliche Sympathien könnte auch die Schaffung .eines Regionalparlaments in Schottland der Regierungspartei einbringen.

In Anbetracht dieses Fahrplans ist es unwahrscheinlich, daß sich auf verfassungsrechtlichem Gebiet noch etwas tun wird. Auch um die „Abschaffung des Oberhauses“, die vom Unken Flügel der Labour Partei anläßlich des letzten Parteitages vehement gefordert wurde, ist es inzwischen wieder ruhig geworden. Stillschweigend rüsten bereits alle Parteien für den Wahlgang im kommenden Herbst und man kann damit rechnen, daß bereits das erste Halbjahr 1978 einen deutlichen Vorgeschmack auf den nächsten Wahlkampf geben wird.

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