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Das Kind kommt zu kurz
In der monatelangen Auseinandersetzung um das neue Scheidungsrecht stand im Vordergrund die Frage, unter welchen Umständen und wie rasch die Ehepartner wieder auseinanderkommen. Ein gravierender Punkt kam zu kurz: Das Wohl des Kindes. Hat der Richter überhaupt die nötige Vorbildung, pädagogisch und psychologisch, um entscheiden zu können, welchem Elternteil das Kind zugesprochen werden soll?
In der monatelangen Auseinandersetzung um das neue Scheidungsrecht stand im Vordergrund die Frage, unter welchen Umständen und wie rasch die Ehepartner wieder auseinanderkommen. Ein gravierender Punkt kam zu kurz: Das Wohl des Kindes. Hat der Richter überhaupt die nötige Vorbildung, pädagogisch und psychologisch, um entscheiden zu können, welchem Elternteil das Kind zugesprochen werden soll?
In Deutschland, wo seit der jüngsten Scheidungsreform ein Familienrichter gleichzeitig für Scheidung und elterliche Gewalt zuständig ist, kam Beklemmendes zutage: Eine „Forschergruppe Familienrecht“ an der Universität Frankfurt hat untersucht, „wie im konkreten Einzelfall' Richter wirklich entscheiden“.
Das Resultat: Was unter dem „Wohl des Kindes“ zu verstehen ist, wird in der Regel auf rein äußerliche und materielle Aspekte verkürzt. Die Einseitigkeit des Richters könne nur dann überwunden werden, so die Untersuchung aus Frankfurt, wenn er imstande ist, bei seiner Entscheidung psychische Gesichtspunkte zu erkennen und zu bewerten.
In der Praxis ist dies, wie die „Forschergruppe Familienrecht“ meint, kaum der Fall: „Gruppendiskussionen und Einzelgespräche zeigten, daß die befragten Richter weder im
Den psychischen Problemen weichen die Richter aus
Rahmen des juristischen Studiums noch auf Grund privater Interessen systematische Kenntnisse auf psychologisch-psychiatrischem Gebiet erworben hatten ...“ Die Familienrichter neigen dazu, „sich, wenn möglich, der Berührung mit der psychischen Falldynamik zu entziehen“.
In Österreich scheint man auf diesem Gebiet ausnahmsweise dem
deutschen Nachbarn um eine Nasenlänge voraus zu sein: Zumindest Vorschläge gibt es in genügender Anzahl.
Dr. Udo Jesionek, Präsident der österreichischen Richtervereinigung, verspricht sich viel von einer zweistufigen Ausbildung zum Richter. Neben dem regulären Jusstu-dium sollte eine Schulung der zukünftigen Richter „auf den für die Ausübung des Richterberufes nötigen außerjuristischen Gebieten“ erfolgen.
Auch Univ.-Prof. Dr. Walter Spiel von der Kinderpsychiatrie des Wiener Allgemeinen Krankenhauses hat dazu einen Vorschlag: „Die neue Studienordnung und die geplante Weiterbildung der Juristen in psychologischen und soziologischen Belangen fördert die Bewußtseinsbildung der Studierenden in Richtung auf psychologisches Verstehen und ermöglicht eine gemeinsame Sprache aller Beteiligten.“ Begründung: Es gibt Verständigungsprobleme zwischen Medizinern und Psychologen einerseits und den Juristen anderseits.
Während die Richtervereinigung seit einigen Jahren Vorträge, Seminare und Exkursionen zu außerjuristischen Themen anbietet, hat das Justizministerium versucht, eine Gruppe von Richtern zu schaffen, die in besonderer Weise sozialpsychologisch geschult ist. Nach westdeutschem Vorbild soll schließlich auch
in Österreich der Jugend-, Vormundschafts- und Scheidungsrichter in der Person eines einzigen Familienrichters vereinigt werden. Eingesetzt solle aber nur der werden, der sich durch spezifisches Verständnis auf den Gebieten Pädagogik, Psychologie und Psychiatrie auskennt.
Ist all der gute Wille ein ausreichender Garant dafür, daß in unserem Land das Interesse des Kindes bestens gewahrt wird? Die Psychologin Helga Kauer ist grundsätzlich von der guten Leistung der zuständigen Stellen überzeugt; dennoch hat sie immer wieder mit Kindern zu tun, die nach falschen gerichtlichen Entscheidungen nachhaltige seelische Schäden davongetragen haben: Sie allerdings sieht den Hauptgrund solchen Versagens in der von „Haß erfüllten Zerrissenheit“ der Eltern.
Dafür, daß das Wohl des Kindes in zerfallenen Ehen meist zu kurz kommt, macht Univ.-Doz. Dr. Hans Cermak, Kinderarzt und Obmann des Vereines für gewaltlose Erziehung, die Eltern selbst verantwortlich: Sie werden nach wie vor nicht einmal ansatzweise auf ihre Erziehungsaufgaben vorbereitet; die primitivsten psychologischen Erkenntnisse seien ihnen fremd. Schließlich seien natürlich auch die Richter über ihre psy-cho-soziale Verantwortung nicht instruiert.
Hans Cermak glaubt, daß die Schulen und Universitäten, an denen Pädagogik, Psychologie und Soziologie gelehrt wird, nicht entsprechend genützt werden: „Sind diese und andere Institutionen, ist das Christentum nicht imstande, Richter mit der tiefen Einsicht hervorzubringen, daß
Ein Recht des Kindes, aber nicht Recht auf das Kind
es ein Recht des Kindes gibt - aber niemals ein Recht auf das Kind?“ Medizinisch-psychologische Gutachten habe es immer schon gegeben, was nützten diese aber, wenn der Richter sie nicht verstehe?
In Schweden, dem europäischen Experimentierfeld in gesellschaftspolitischer Hinsicht, steigt man inzwischen im Interesse des Wohles des Kindes bereits auf die nächsten Barrikaden: Die Juristin Ulla Ja-cobssen fordert vehement das gesetzlich verbriefte Recht einer „Scheidung des Kindes von den Eltern“. Dieses Gesetz sollte alle nur erdenklichen Versuche zur Beilegung des Konfliktes zwingend vorschreiben, jedoch in letzter Konsequenz, wenn die gesunde Entwicklung des Teenagers durch das Verhalten der Eltern nachweislich gefährdet werde, eine Trennung zwischen Kind und Eltern ermöglichen.
In Malmö, der drittgrößten Stadt Schwedens, haben die kommunalen Behörden auf die Vorschläge von Ulla Jacobssen bereits reagiert: Sie stellen Wohnungen für Teenager aus gestörten Familien bereit.
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