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Das Kissinger-Ei

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Kaum war der Plan zur Trennung der israelischen und ägyptischen Streitkräfte unterzeichnet und mit dem Rückzug 30 Kilometer ostwärts des Kanals begonnen worden, als bereits in Israei und Ägypten Stimmen der Kritik laut wurden.

Die Kritiker hatten allerdings vergessen, daß seit dem Yom-Kippur-Krieg die Manövrierfähigkeit der beteiligten Staaten, durch die beiden Großmächte USA und Sowjetunion begrenzt wurde. Beide Supermächte lassen es heute nicht mehr zu, daß eine der beiden Seiten eine militärische Entscheidung für eigene Rechnung herbeiführt. Daher müssen sich Ägypten und Israel fragen, was für eine Alternative zu diesem Abkommen sie denn noch gehabt hätten. Nachdem sich die israelische Armee vom ersten Schock erholt hatte, konnten die arabischen Armeen keinen einzigen taktischen Erfolg mehr verzeichnen. Aber auch wenn den Israelis ein neuer totaler Sieg sicher gewesen wäre, hätte dieser Sieg große Verluste mit sich gebracht, wobei es noch lange nicht klar ist, ob ein solcher Sieg sich auch politisch hätte auswerten lassen. Wäre die Truppenentflechtung nicht zustande gekommen, ein Wiederaufflammen des Krieges wäre wohl unausbleiblich gewesen.

Die neue Regelung sichert Israel jedenfalls vor einem Überraschungsangriff, denn wenn auch die UNO-Truppe keine militärische Bedeutung hat, so ist sie trotz allem doch ein politischer Faktor, den man nicht übersehen darf. Diese Truppe untersteht dem Sicherheitsrat der UNO, der allein die Räumung des Korridors anordnen kann, welcher von den UNO-Soldaten als Pufferzone zwischen den ägyptischen und israelischen Streitkräften gehalten wird, um Zwischenfälle zu vermeiden. Bekanntlich haben im Sicherheitsrat die USA das Vetorecht.

Die neue israelische Verteidigungslinie erfordert einen um vieles geringeren Truppenaufwand und stellt deswegen eine große Erleichterung der wirtschaftlichen Situation des Landes dar. Ob nach der Unterzeichnung des Vertrages zur Entflechtung der Streitkräfte Sadat ein Wirtschaftspotential neuen militärischen Abenteuern widmen wird, wie die Kritiker des Vertrages in Israel behaupten, oder dem Aufbau seines Landes, wie Dayan, Alon und die anderen Kabinettsmitglieder annehmen, wird sich erst in Zukunft zeigen.

Der Vertrag kam hauptsächlich dank dem politischen Verständnisse und der Geduld des US-Außenministers Kissdnger zustande. In Israel schien ihm nur einmal fast der Kragen zu platzen. Das war, als der Vize-Ministerpräsident Yigal Alon im Gespräch immer weiter ausholte. Kissinger unterbrach ihn und erklärte trocken, daß es hier nicht am Platz sei, weitschweifige politische Reden zu halten.

Bei Kissingers ersten Besuchen in Jerusalem und Assuan sah es noch nicht sehr rosig aus. Jede Seite brachte ihre Maximalforderungen vor und erweckte den Eindruck, als ob sie nicht mit sich handeln lassen würde. Als die Israelis fragten, ob sie ihre Forderungen schriftlich niederlegen sollten, verbat Kissinger sich das, wie er dann auch Sadat ersuchte, es bei mündlichen Vorschlägen bewenden zu lassen. Kissinger wollte auf alle Fälle vermeiden, daß irgendeine Seite ihre anfänglichen radikalen Forderungen schriftlich fixiere und diese, nachdem sie an die Öffentlichkeit gedrungen wären, nicht mehr rückgängig machen könne. (Womit er wieder einmal seinem Lehrmeister Metternich folgte.)

Auf israelischer Seite stellten sich Kissinger drei Minister entgegen: Sicherheitsminister Dayan, der dabei von Generalstabschef Elazar unterstützt wurde und sich mit den militärischen Aspekten des Entflechtungsproblems beschäftigte, Außenminister Abba Eban, der die politischen Aspekte behandelte, und der stellvertretende Ministerpräsident Yigal Alon, der bei diesen Verhandlungen Golda Meir vertrat und fast genau so hartnäckig war wie die alte Dame. Frau Meir ist wegen einer Gürtelrose noch immer bettlägerig, doch wurde sie vom Friedensapostel Kissinger zweimal besucht. Bei diesen Gelegenheiten bestätigte sie alle Punkte, die von einem ihrer Minister angenommen worden waren.

Auf der ägyptischen Seite hatte es Kissinger etwas leichter. Hier traf Sadat persönlich alle Entscheidungen, obwohl er manchesmal mit dem Außenminister Fahmi und dem Generalstabschef Gamasi Rücksprache hielt.

Den Israelis machte Kissinger klar, daß ein Scheitern der Gespräche zu einem weiteren Krieg führen müsse. Den Ägyptern machte er klar, daß Amerika, falls die Gespräche ohne Verschulden Israels scheitern sollten, weiterhin als engster Verbündeter auf Israels Seite stehen werde.

Die Israelis störte es vor allem, daß Ägypten auf den von Israel geräumten Gebieten militärisch präsent sein sollte. Israel denkt insgeheim daran, die ganze Sinai-Halbinsel den Ägyptern zurückzugeben, doch unter der Voraussetzung, daß diese Region entmilitarisiert bleibt. Nun könnte die minimale militärische Präsenz, die Ägypten bereits erreichen konnte, eventuell als Präzedenzfall für ganz Sinai gelten. Das sollte vermieden werden.

Eine weitere Frage sind die Garantien für den Fall eines Vertragsbruches. Die Israelis wollten schriftliche amerikanische Garantien, die vom Kongreß zu genehmigen wären, um auch nach einem Regierungswechsel in den USA Sicherheit zu bieten. Hiezu war Kissinger jedoch nicht bereit. Nach Rücksprache mit Präsident Nixon erklärte er namens der USA mündlich, daß sein Land eine friedliche Lösung anstrebe und daß, wer immer das Abkommen zur Truppenentflechtung verletze, mit der Gegnerschaft der USA zu rechnen habe.

Die Israelis forderten eine ägyptische Erklärung zum Abbruch des Krieges. Sadat erwiderte, daß eine solche Proklamation der Anerkennung Israels gleichkäme, und dies bereits, während Israel noch den größten Teil der Sinaihalbinsel besetzt halte. In ganz Ägypten gebe es niemanden, der bereit wäre, eine derartige Erklärung zu unterschreiben. Wenn er als Präsident es tue, habe er damit seine Abdankung unterzeichnet.

Nach einer Prüfung der verschiedenen Paragraphen des Vertrages kann man feststellen, daß im Grunde genommen beide Parteien ihre Forderungen stark zurückschrauben mußten — und trotzdem zufrieden sein können.

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