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Das Kloster der Protestanten

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Vorbemerkung: Taizė! Der Name ist den meisten bekannt. Roger Schutz, ein evangelischer Pastor, gründete hier 1940 eine ordensähnliche Gemeinschaft. Leutfried Businger lebte während eines Monats in Taizė, um zusammen mit anderen jungen Leuten das Leben der Bruderschaft kennenzulernen. Er schildert hier seine Eindrücke und zeigt, daß unser Titel das Neue, das in Taizė zu finden ist, nur unzulänglich bezeichnet. Denn das Wagnis der Brüder von Roger Schutz läßt sich kaum in herkömmliche Katalogisierungen einordnen. Der Artikel macht etwas von jener Atmosphäre spürbar, in der überzeugte Menschen versuchen, in einer neuen- Zeit radikal ernst zu machen mit den Forderungen des Christentums.

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Vorbemerkung: Taizė! Der Name ist den meisten bekannt. Roger Schutz, ein evangelischer Pastor, gründete hier 1940 eine ordensähnliche Gemeinschaft. Leutfried Businger lebte während eines Monats in Taizė, um zusammen mit anderen jungen Leuten das Leben der Bruderschaft kennenzulernen. Er schildert hier seine Eindrücke und zeigt, daß unser Titel das Neue, das in Taizė zu finden ist, nur unzulänglich bezeichnet. Denn das Wagnis der Brüder von Roger Schutz läßt sich kaum in herkömmliche Katalogisierungen einordnen. Der Artikel macht etwas von jener Atmosphäre spürbar, in der überzeugte Menschen versuchen, in einer neuen- Zeit radikal ernst zu machen mit den Forderungen des Christentums.

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Wer nach Tadzė kommt, um Sehenswürdigkeiten au finden, wird bald enttäuscht sein. Er findet keine Bauwerke, die er „besichtigen” kann. Wer wenigstens in der romanischen Kapelle sich umsehen möchte, liest an der Tür die lapidaren Sätze: Cette ėglise ne se vislte pas; man tritt nur ein, um sich zu sammeln und zu beten. Vielleicht wird der Besucher die geräumige, von deutschen Protestanten gebaute Versöhnungskirche bewundern: Weiß er, wie sehr sie dem Prior der Gemeinschaft ein Dorn im Auge ist? wie die Brüder fürchten, sie könnten sich mit der Zeit in Taizė etablieren? Deren Bedenken entspringen ja nicht einem schwärmerischen Armutsideal, sondern der Substanz ihres gemeinsamen Lebens. „Beton bringt Starrheit mit sich und erweckt den Eindruck dar Stärke”, notiert der Prior in sein Tagebuch. Die Brüder aber wollen beweglich bleiben, um der enormen Mobilität unserer Zeit folgen zu können. Sie wollen sich in Taizė nicht festlegen, sondern bereit sein, vertraute Wege aufzu- aufzugeben, in neue Aufgaben einzusteigen. Diese ,.Dynamik des Vorläufigen” belebt Taizė, sie schafft eine Atmosphäre der Unkompliziertheit und Gastfreundschaft, die auf Besucher zurückwirkt.

Die Zeltstadt

Im Sommer treffen sich einige hundert junge Leute in Taizė. Sie beschäftigen sich weder mit der Brüdergemeinschaft, noch beabsichtigen sie, zu kopieren, was die Brüder auf ihre Weise Vorleben. Die Jungen wollen versuchen, in kleinen Gruppen etwas vom Teilen und Mit-teilen der Brüder zu verwirklichen. Die meisten haben vor der Kirche ihr Zelt aufgeschlagen. Der Prior meint, die kleine Zeltstadt entspreche am besten seinen Vorstellungen von „Kirche”. Die Atmosphäre ermutigt zum gemeinsamen Gespräch, eng verbunden mit Arbeitseinsätzen und Gebet. Das Vertrauen, das die Brüder den Jungen entgegenbringen, verschafft ihnen Autorität. Man fühlt sich von den Brüdern überaus ernst genommen. Dieses Vertrauen animiert die Teilnehmer.

Die Verantwortlichen der Jugendtreffen bangen nicht, die Ergebnisse der Gruppenarbeiten könnten unvollständig sein. Frėre Michel und eigens beauftragte Teilnehmer ergänzen unsere Informationen über Südamerika und andere neuralgische Gebiete unserer Welt. Und was das Religiöse betrifft… Nun, Frėre Lėonard sagte einmal, ein maximaler, alles umfassender Glaube sei weder möglich noch nötig. Wer in Taizė war, versteht, wie er es meinte: Notwendig ist „nur”, wenigstens einen Punkt am Horizont anzuvisieren und von daher maximal engagiert zu leben. Diese Verpflichtung wird in Taizė unter den Jungen eingeübt.

Aufeinander hören

Die Brüder haben eine für manche Christen unkonventionelle Lebensform gewählt. Aber gerade, weil sie es wagen, einseitig zu sein, hören sie auf das Zeugnis der Jungen. — Eine der schönsten Erinnerungen an Taizė bleibt mir eine Gesprächsrunde mit Frėre Max Thurian. Das Gespräch ging über die Probleme des Betens. Wie dieser berühmte Theologe unsere Schwierigkeiten anhören konnte! Wir spürten, daß dieser Mann mit seiner großen Erfahrung im Beten fähig war, unsere kleinen und auch mißlungenen Versuche anzunehmen. Er hatte die verschiedensten Anliegen verstanden, und deshalb konnte ihn jedermann in der Runde auch verstehen. Jemand, der nur wenig französisch spricht, sagte mir nachher: „Ich verstehe sonst kaum, was gesprochen wird, aber diesmal konnte ich alles verstehen.”

In Taizė weiß man um die Verantwortung der Theologie. Aber man weiß auch, daß unser Glaubenswissen nur bruchstückhaft ausgedrückt werden kann. Man weiß um die Einseitigkeit unserer Kirche. Das schadet ja nichts, solange man um eigene Einseitigkeiten weiß. In Taizė schreibt man daher eine bescheidene Theologie. Deshalb auch das leidenschaftliche Interesse für die Traditionen in allen Kirchen. Die Brüder müssen andere Meinungen nicht suchen. Sie selber kommen ja von den verschiedensten Richtungen des Protestantismus her. Und neuerdings gibt es auch katholische Brüder in der Gemeinschaft, die allerdings noch warten müssen, bis sie die Erlaubnis bekommen, sich in dieser reformatorischen Gründung definitiv zu engagieren.

Das Ärgernis der Spaltung

Was in Taizė unüberhörbares Problem ist, das ist die Spaltung der Kirchen. Besonders im Gottesdienst, dem Herzstück von Taizė, kommt das Problem hautnah auf die Menschen zu. Warum, so fragen viele, nach dem gemeinsamen Morgenlob getrennte Eucharistiefeier unter dem gleichen Dach? Ist denn Christus geteilt? Gewiß, die Brüder sind tolerant. Sie unternehmen nichts, was das Vertrauen der Kirchenleitungen zu ihnen schmälern könnte. Wenn sie von Schwierigkeiten in unserer Kirche hören, dann schwelgen sie, weil sie überzeugt sind, daß Urteile von außen nur zur Verhärtung der Positionen führen. Aber gerade, weil sie uns alle an die Kirchen, denen wir angehören, verweisen, haben die Brüder diesen Kirchen etwas zu sagen. Sie leben vor, was die Menschen in Taizė aufgreifen. Nämlich:

— „Zweitrangiges nicht mehr mit dem Wesentlichen, Vorläufiges nicht mehr mit dem Grundlegenden zu vermischen” (Roger Schutz, der Prior der Gemeinschaft).

— Die Gefahr wahrzunehmen, „daß wir uns selbst genügen wollen, den Riegel vor einem entdeckten Schatz wieder schließen und für Jahrhunderte Strukturen aufrichten, die dereinst überholt werden und dann Ursachen der Isolierung statt der Mitteilung sind” (Roger Schutz).

— Die Einheit der Christen durch gemeinsames Handeln und Bekennen zu erwarten. Was damit gemeint ist, ist schwer auszudrücken, weil hier nach meiner Ansicht das Geheimnis von Taizė in den Blick kommt, das jeder erlebt, aber nur schwer in Worte fassen kana

Aufbruch zur Einheit

Die Brüder wagen ein Tun, das bewußt in der Schwebe bleiben will, nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer eindeutigen Verpflichtung zum ehelosen, gemeinsam geteilten Leben. Sie tun etwas, das unsem Gegensätzen von „katholisch” und „protestantisch” voraus ist. Taizė ist kein katholisierendes Kloster! Wer genau den nicht primär aus den negativen Erfahrungen und Enttäuschungen mit den alten, nicht mehr gangbaren entdeckt, sondern aus den geheimnisvollen gelebten Erfahrungen mit der Wirklichkeit Christi.” Dieser Satz mag sich wie ein Minimalsatz an- hörea auf dem alle Erneuerungen der Kirche basieren. Wer aber in Taizė war, der sieht darin das Maximum, zu dem wir erst aufbrechen müssen. Von diesem Aufbruch darf nichts geringeres als die Einheit der Kirchen und in der Kirche Geborgenheit erwartet werden.

Weil in Taizė dieses Maximum schon Gestalt annimmt, kann unsere Antwort zunächst nur Besinnung sein.

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