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Das Können entscheidet
In jeder Wirtschaftsordnung, die den Wettbewerb zuläßt, gab und gibt es Sieger und Besiegte. Eroberungen und Niederlagen gelten aber nicht generell einer Branche, sondern dem einzelnen Unternehmen. Daher hat auch die Praxis einer leistungsbezogenen Auslese den Theorien über Wachstumsindustrien und intelligente Produkte, wie sie nicht nur in Sonntagsreden vertreten werden, jeden Reiz genommen.
Die vom Markt erteilte Zensur trägt, solange sie von der öffentlichen Hand nicht daran gehindert wird, nur dem Rechnung, was Vermögen im ursächlichsten Sinne bedeutet, nämlich Können. Ist es aber dieses Können, das als Maßstab einer internationalen Bewährung herangezogen wird, dann ist es identisch mit der Zielsetzung der Vorarlberger Textilindustrie.
Eine kühne Behauptung? Nein, Bekenntnis zur Realität. Es mag sein, daß diese zahlenmäßig andere Dimensionen bekommt, als sie 1982 gegeben sind: in einer Beschäftigung von 20.000 Mitarbeitern, einer Exportleistung von 50 Prozent, gemessen an der gesamten Vorarlberger Wirtschaft, einem Anteil von mehr als 45 Prozent an der österreichischen Tex-tilproduktion. „Nicht die Gunst, sondern vielmehr die Ungunst der Verhältnisse ist der Hammer, der den Mann schmiedet” - mit dieser bald 200jährigen Erfahrung ist die Vorarlberger Textilindustrie schrittweise und maßvoll in die Spitze der weitbesten Textillei-stung hineingewachsen.
Dieses Zeugnis stellen allein Tausende Kunden im Export und einige hundert im Inlandsmarkt aus. Und es hält jeden Vergleich mit Bravourleistungen anderer Branchen aus. Wer vor diesen
Tatsachen die Augen verschließt, unterliegt einer aus durchaus üblichen Bewährungsproben geborenen Polemik, wonach die textile Erzeugung an europäischen Standorten keine krisenfeste und zukunftsträchtige sei.
Die Vorarlberger Textilleistung ist zugeschnitten auf einen europäischen Standort, auf einen Standort im Heimatland Vorarlberg und in Österreich, wo sie seit Jahrhunderten eine Mitträgerschaft von Unternehmern und Mitarbeitern hat. Diese Textilleistung bedarf der Nähe ihrer wichtigsten Kunden. Ihre Erzeugnisse sind nicht Textilwaren, die vom Grundnutzen des einfachen Bedeckens, Behängens oder Verkleidens zehren, wo der Preis das Motiv des Kaufentscheides ist.
Die Leistung des Textilhandels Vorarlbergs besteht in der Kreation eines mindestens jede Saison wechselnden Zusatznutzens individueller Selbstdarstellung. Und hier wiederum spezialisiert nach Mode, Zeitgeist, Funktion, projiziert auf sportliche, wohnliche, festliche, alltagsmäßige, phantasievolle, lebensnahe Bedürfnisse. Das ist die Praxis eines textilen Lifestylemarketings, oder, anders gesagt, die textile Ubersetzung für Leben.
Hierin liegt die Herausforderung für unsere textile Leistung, unser Vermögen an Tradition, Können, Technik und Kreativität im Zeitgeist zu übersetzen. Je mehr Geistkapital wir in diese Aufgabe investieren, desto größer ist unsere Chance.
Die Vorarlberger Textilindustrie hat gelernt, Veränderungen positiv zu bewerten. Auch im Rückblick auf unsere Geschichte finden wir die Bedingungen, Fabriken zu bauen, Märkte zu erobern, Produkte zu entwickeln, nie besonders günstig. Aber das hat zum Uberlebenstraining beigetragen. Heute prägt die Vorarlberger Textilindustrie ein Spezialistentum in mehr als 200 Betrieben, die meist klein- und mittelbetrieblich strukturiert sind. Sie haben mit Kreativität, Tradition und Qualitätsbewußtsein ein vielseitiges Textilangebot entwickelt und damit ein Leistungspotential aufzuweisen, wie es kein anderes Textilland in Europa für sich in Anspruch nehmen kann. Wenn Zukunft das ist, was man kann, dann hat unsere Vorarlberger Textilindustrie die besten Voraussetzungen erarbeitet: Ideen, Qualität, Marktpflege, Initiativen, Experimentierfreude und Mut.
Das alles vermag möglicherweise die Ungunst der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen nicht aufzuwiegen, aber dann ist die Textilindustrie die letzte Branche, die von einer sozialen Marktwirtschaft Abschied nimmt.
Der Autor ist Präsident der Handelskammer für Vorarlberg.
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