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Das Konzil ist nicht tot

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Was auf diesem und durch dieses II. Vatikanische Kon­zil tatsächlich geschehen und in Bewegung geraten war, das tat sich mir eigentlich erst während des Österreichischen Synodalen Vor­ganges auf, den ich journalistisch, berichtend und analysierend, be­gleiten durfte. Da erst begriff ich die ungeheure Chance, die in die­sem neu erkannten „Volk Gottes", in dieser neuen Geschwisterlichkeit, in dieser Dialogbereitschaft nach innen und außen wirklich steckte. Und ich spürte das Feuer, von dem so viele Synodale damals angesteckt waren, empfand viel­leicht zum ersten Mal auch die politische Sprengkraft, die die Vokabel Gott, Glauben, Kirche in sich tragen.

Aber ich spürte natürlich auch die Probleme, die das alles mit sich bringen würde, erkannte die Hin­dernisse, die sich der Realisierung dieser neuen Ansprüche in den Weg stellen könnten. Schon in den Zei­ten der heftigen Diskussionen in der Konzils-Gedächtnis-Kirche in Lainz wurde deutlich, wieviele da fest auf der Bremse standen, noch bevor es gelungen war, wirklich Gas zu geben. Und was mich auch damals schon erschreckte und be­drückte war dieses ungeheure Maß an Angst vor Machtverlust und dieser eklatante Mangel an Glau­ben. Man traute sich und man trau­te IHM nicht viel zu. Man war nicht bereit hinzuhören, wenn er es uns immer wieder zurief, wie damals am See Genezareth „Fürchte dich nicht." - Seine Kirche war und ist kleingläubig geblieben.

Aber einzelne Christen, Frauen und Männer, Kleriker und Laien haben doch seinen Anruf gehört und sind ihm gefolgt, und in der Summe sind es gar nicht so wenige. IWären sie nicht, die da versuchen, Idas Feuer weiterzutragen und durch ihr Leben zu bezeugen, das Konzil wäre längst vergessen, die Doku­mente längst verstaubt. Und dieser Mut wächst, das durfte ich in den folgenden Jahren immer wieder und bis heute erfahren, dieser „Chri­stenmut" wächst vor allem von den Rändern her. Vielleicht haben die­se jungen Kirchen auch deswegen die größere Chance, weil sie nicht so viel historischen Ballast mitzu­schleppen und zu überwinden ha­ben, weil für sie Glauben und Le­ben wesentlich stärker als Einheit verstanden werden, als das bei uns europäischen Sonntagschristen üblich ist.

Der stärkste Motor dieser Bewe­gung, die da in allen Sprachen sagt und singt: „Kirche sind wir alle", sind, wohin man schaut, die Frau­en. Sie sind nicht nur, wie Hans Küng einmal sagte, „der bravere Teil" der Kirche, sondern sie sind das pulsierende Blut, das den my­stischen Leib Christi im Heute der Welt lebendig sein läßt. In Latein­amerika sind es in Mehrheit Frau­en, die die Basisgemeinden leiten. In Afrika sind die Katechisten, das Rückgrat der Pastoral, mehrheit­lich Frauen. Im jungen und leiden­den Süden sind es also vor allem Frauen, die von Gott reden, die die Frohe Botschaft verkünden, die das Priestertum aller Getauften ins Leben der Gemeinden übersetzen. Das männliche Bild, das römische und andere Kirchenversammlun­gen prägt, täuscht also, das Antlitz der Kirche ist längst weiblich.

Europa hinkt da etwas nach. Zu sehr mit Vergangenheit befrachtet, zu nahe an den Machtzentralen, eingeengt in verkrusteten Struktu­ren, redet man zwar von Evangeli­sierung, meint aber immer noch zu sehr Ausübung von Mächt und Einfluß, was sich seit dem soge­nannten „Sieg" über die kommuni­stische Ideologie noch zu verschär­fen scheint. Aber das gilt eher für die Außenhaut, die via Medien eine Kirche der Männer zementiert. Innen ist es da auch schon anders. Oder glauben Sie, daß die Pfarren noch funktionieren würden, wenn die Frauen auswanderten?

Und, darüber müßte man sich langsam klar werden, hier in Euro­pa besteht diese Gefahr. Wenn in einer ersten Volksschulklasse einer katholischen Landgemeinde mehr als die Hälfte der Kinder kein Kreuzzeichen mehr machen kann, ist das doch wohl ein Zeichen da­für, daß die Mütter vielleicht noch am Sonntag zur Kirche gehen - weil sich das halt so gehört - innerlich aber längst ausgewandert sind.

Das II. Vatikanische Konzil hat die Gleichwertigkeit von Mann und Frau betont. Wenn jeder und jede sich in seinem/ihrem ganzen So-Sein in die Kirche einbringen könn­te und würde und zwar ohne Macht­gerangel und Berührungsängste, sondern als von Gott her bestimmte und beschenkte und auf Gott - auf den Vater, auf den Sohn und auf den Geist - bezogene Menschen, dann brauchte man die Fenster, die Johannes XXIII. aufgestoßen hat, nicht wieder so ängstlich zu ver­schließen und möglichst noch zu­zunageln. Darum ginge es, um dieses geschwisterliche Aufeinan-der-hin-Offensein. Die Frage der Ämter ist sekundär, ist nur eine Frage der Zeit.

Das Konzil ist nicht tot. Viel­leicht hat es nur noch nicht richtig zu leben begonnen. Unter der win­terlichen Eiskruste einer Kirche von gestern keimt die Saat des Reiches Gottes in den gläubigen und muti­gen Herzen von Millionen Männern und Frauen, vor allem Frauen.

Die Autorin ist stellvertretende Leiterin der ORF-Hörfunk-Hauptabteilung Religion.

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