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Das Kreuz des Urlaubs

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Urlaub soll, einem unausrottbaren Vorurteil unserer ehemals arbeitsamen Gesellschaft nach, die schönste Zeit im Jahr sein. Natürlich sagt so etwas nicht der Volksmund, der weiß es besser.

Die Qual der Wahl war in diesem Jahr fürchterlich: Die Bahamas schieden aus, dahin wollten die unerträglichen Nowaks von gegenüber, die uns durch ihre unerbittliche Vorliebe für Knoblauch und Starkbier schon Dutzende Ferien vermiest hatten. Mein Gegenvorschlag, es diesmal mit dem gleichermaßen gemütlichen wie preiswerten Böheimkirchen zu versuchen, scheiterte am energischen Widerstand von Tochter Ina. Sie könne sich mit so einem Urlaubsziel weder in ihrer Klasse noch in ihrer Lieblingsdisco je wieder sehen lassen.

Nordafrika schied aus hygienischen, Südafrika aus politischen Gründen schon frühzeitig aus der familiären Urlaubsplanung aus. Aus Hawaii wurden gerade noch rechtzeitig vulkanische Aktivitäten gemeldet, auf Bali waren spatzengroße Gelsen gesichtet worden.

Gegen Rucksacktouren zu Fuß meldete ich erhebliche Bedenken an - „Wollt Ihr Eure bürgerliche Existenz in Frage stellen?“ -, eine Flugreise scheiterte an energiepolitischen Überlegungen unserer Erbtante und ein Urlaub mit Auto und Wohnwagen erwies sich als überhaupt nicht durchsetzbar, weil er nach der unüberwindlichen Überzeugung von Ehefrau Ida sowohl das Ozonloch vergrößerte, als auch das „eh schon lädierte“ Ökosystem Europa vollends zum Kippen gebracht hätte. Was blieb uns also anderes als eine Kreuzfahrt zum Nordkap?

Die Idee konnte so falsch nicht sein. Immerhin waren Legionen von gestreßten Urlaubsplanern auch zu keinem anderen Resultat gekommen. Sie hatten wohl alle dieselben bunten Broschüren gelesen, die fe-riale Köstlichkeiten der besonderen Art verhießen: „Verlieren Sie sich in der unendlichen Weite des Meeres “, wurde man aufgefordert, und „hören Sie das beredte Schweigen der unberührten Natur.“

Wer wollte so etwas nicht wieder einmal hören? Körperliche und seelische Betreuung wurde genauso versprochen, wie „endlich Zeit, allein zu sein und mit der Seele...“. Wer kann schon Meister Tucholsky widerstehen? „Entkommen Sie den überfüllten Stränden im Süden!“, war sowohl eine ökonomische Verlockung als auch ein indirekter Hinweis darauf, daß es in diesem Jahr ohne Sonnenbrände dritten Grades abgehen könnte, und die Anmerkungen über die „Bausteine der Welt“, die „in ihrer Ursprünglichkeit“ zu besichtigen wären, weckten den Bildungsbürger in mir.

Die Kinder zogen wie erwartet dann doch einen Badeurlaub bei Freunden an einem inländischen Badesee mit starkem Ausländerbesatz vor. Ida und ich aber fuhren in diesem Jahr kreuz - und zwar nordwärts.

Es kam genau so, wie es im Prospekt beschrieben war, nur hatten wir es leider nicht so real verstanden* Die „unendliche Weite des Meeres“ geriet während der ersten drei Tage zur unbeschreiblichen „Höhe“, was immerhin die Ernährungsprobleme der Eingewöhnungsphase auf, wenn auch, radikale Weise löste. Der Nordsturm pfiff dermaßen „beredt“ über Deck, daß man gar nichts anderes hätte hören können, auch wenn man sich hätte unterhalten wollen. In seiner Kabine fühlte man sich alsbald von aller Hoffnung auf festen Grund verlassen, und man wäre Uberaus froh gewesen, wenn nur die Seele gebaumelt wäre und nicht der ganze Körper und die Koje und das Schiff.

Wie schrecklich es zu dieser Zeit an den^überfüllten Stränden im Süden wäre, konnten wir uns zu

Die Eissalons sperren wieder einmal zu. Erdbeer, Zitron, Haselnuß, ade. Schokolade, Vanille, Kaffee, lebt wohl.

Ein Stück Kindheit läßt für ein paar Monate die Rollbalken herunter. Als Bub war mir ein Sommer ohne Gefrorenes unvorstellbar. Jetzt, erwachsen, kann ich mir diese Zeit zwischen Mai und August per Stanitzl für ein paar Minuten zurückholen. Mutters Warnung wird wieder wach, nur ja nicht abzubeißen von dem kalten Zeug, da sonst die Zähne springen würden Und es langsam im Mund zergehen zu lassen, dem Hals und dem Magen zuliebe. Ich halte mich bis heute an die Ratschläge.

Die Tüten sind mittlerweile teurergeworden. Knabenträume erfüllend, kaufe ich mir davon die größten. In eitlen Phasen gedenke ich des komischen Anblicks, den ein eisleckender Erwachsener abgibt. Dann setze ich mich in den Garten des Eissalons und bestelle eine Portion, die ich löffeln kann. Da bekomme ich zwar weniger, zahle dafür aber mehr. Freilich, man sitzt dem Luigi oder dem Tino die Sessel ab, das kassiert er ein.fünfhundert täglich zweimal im Speisesaal versichern, und die „Bausteine der Welt“ hatten sich mit überaus ursprünglichem dichten Nebel getarnt. Natürlich war auch das Ziel unserer alternativen Urlaubsreise, das Nordkap, fest im Nebel verpackt, aber das konnten wir wenigstens im eindrucksvollen Panoramakino dortselbst bestaunen.

Und dennoch, es war ein besonderer Urlaub. Emsige Jungfilmer produzierten reisebegleitend einen preiswerten Videostreifen für den eigenen Hausgebrauch. Da Ida darin mehrmals, einmal überdies beim Verlassen der Bordsauna, zu sehen war, haben wir ihn mit unserer Restbarschaft beim Erreichen festen Bodens erstanden.

Wir werden ihn beim nächsten Knoblauchfest den Nowaks vorführen. Denn die legen wir im nächsten Urlaub auf die Kreuz... I Rache muß sein.

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