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Das letzte Wort hat der Wähler

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„Wer wollte im übrigen auch wirklich ernsthaft behaupten, daß die parlamentarische Demokratie womöglich völlig frei von Fehlem und Mängeln sei?” Hermann Wit- halm, ehemaliger Bundesparteiobmann der ÖVP, Vizekanzler und Klubobmann seiner Partei stellt diese rhetorische Frage im Schlußkapitel seines vierten STYRIA-Bu- ches („Aus meinem Gästebuch”), um sogleich auf recht beachtenswerte Lösungsvorschläge Volldampf zu nehmen: „Ich habe meine Bücher nicht zuletzt deshalb geschrieben, um in ihnen Probleme der parlamentarischen Demokratie aufzeigen und zugleich zu ihnen Stellung nehmen zu können. Das sollte mein, eines alten, erfahrenen Parlamentariers, kleiner, bescheidener Beitrag zur Festigung und Fortentwicklung’der parlamentarischen Demokratie in Österreich sein.”

Hermann Withalm rückt den „Grundsatz des gütlichen Einvernehmens, des im Pluralismus wesensnotwendigen, unvermeidlichen Kompromisses”, der im Schweizer System theoretisch und praktisch besser zum Ausdruck kommt als in Österreich, in den Mittelpunkt seiner Vorschläge. Der „Eiserne Hermann” redet einer Verlebendigung der Demokratie durch Stärkung der plebiszitären Elemente, der Elemente der direkten Demokratie, das Wort. Er meint mit „Grundsatz des gütlichen Einvernehmens” die Notwendigkeit, die eigene Auffassung dem anderen nicht aufzuzwingen, was aber die Bildung klarer Mehrheiten und die Fällung von Mehrheitsentscheidungen nicht ausschließen dürfe: Grundsatz des gütlichen Einvernehmens ohne instutionalisierten Zwang zur Konzentrationsregierung.

Es ist eine von praktisch allen Parlamentariern und allen Fachleuten anerkannte Tatsache, daß das österreichische Modell der parlamentarischen Demokratie auf Sicht Gefahr läuft, die imaginäre Bindung der Volksvertreter an den Willen des Volkes immer mehr in Frage zu stellen. Die in der österreichischen Verfassung vorgesehenen Elemente der direkten Demokratie - wie Volksabstimmung laut Artikel 43 und Volksbegehren nach Artikel 41/2 - sind letztlich so konstruiert, daß das letzte Wort nicht beim Volk, sondern erst wieder bei der Regierung bzw. beim Parlament liegt. Und im Parlament selbst ist wiederum festzustellen, daß sich das demokratische Kräftespiel nicht zwischen Regierung und Parlament entfaltet, sondern daß immer häufiger die vollziehende Gewalt (Regierung) mit der sie unterstützenden Parlamentspartei (Regierungspartei) die Szene ohne Rücksicht auf qualifizierte Minderheiten (Opposition) beherrscht.

Hermann Withalm möchte Volksabstimmung und Volksbegehren nach Schweizer Muster ausbauen. In der Schweiz existieren auf dieser Ebene Referendumsund Initiativrecht. Beide Möglichkeiten fußen im wesentlichen auf dem Gedanken, daß grundsätzlich eine qualifizierte Minderheit - seit Sonntag sind es 50.000 „Stimmbürger” - über jede beliebige Materie einen Volksentscheid herbeiführen kann. Einerseits können 50.000 stimmberechtigte Schweizer Bürger (oder acht Kantone) Bundesgesetze dadurch zu Fall bringen, indem sie eine Volksabstimmung (Referendum) darüber verlangen. Anderseits können sie eine Gesetzesinitiative (Initiativrecht, Volksbegehren) ergreifen, wobei in der Schweiz, im Gegensatz zu Österreich, das letzte Wort beim Volk liegt, das bei Erreichen der erforderlichen Unterschriftenzahl wiederum eine Volksabstimmung verlangen kann.

Das, was man in Österreich Volksabstimmung nennt, ist eine geradezu groteske Konstruktion: Vom Nationalrat beschlossene Gesetze sind dann einer Volksabstimmung zu unterziehen, wenn eine Mehrheit des Nationalrates dies beschließt. Im Klartext: Zuerst muß eine Mehrheit im Parlament ein Gesetz beschließen, dann muß wiederum die Mehrheit (dieselben Abgeordneten also) eine Volksabstimmung gegen das eben beschlossene Gesetz beschließen. Withalm: „Daß es bei dieser verfassungsrechtlichen Konstruktion bisher noch nie zu einer Volksabstimmung gekommen ist, darf somit fürwahr nicht wundernehmen.”

Das in Österreichs Verfassung verankerte Volksbegehren fristet ein nicht minder bedauernswertes Schattendasein: „Jeder von 200.000 Stimmberechtigten oder von je der Hälfte der Stimmberechtigten dreier Länder gestellte Antrag (Volksbegehren) ist von der Bundesregierung dem Nationalrat zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung vorzulegen.” Auch das bisher größte Volksbegehren, das zum Schutze des menschlichen Lebens, wurde der geschäftsordnungsgemäßen Behandlung zugeführt, ohne daß die Parlamentsmehrheit bereit gewesen wäre, nur einen Finger breit von ihren Standpunkten abzurücken. Ja sie besaß nicht einmal die demokratische Fairneß, ein Volksbegehren zu diesem Thema zuzulassen.

Wäre zum Thema Abtreibung in Österreich eine Volksabstimmung durchgeführt worden, so wäre das Ergebnis nach Ansicht Withalms genauso zur Kenntnis genommen worden, wie etwa auch das Resultat einer Präsidentenwahl.

Hermann Withalm sieht in den verschiedenen Elementen der direkten Demokratie so etwas wie ein ständig über den Köpfen der Parlamentarier schwebendes Damoklesschwert, eine ständige Mahnung, den Bogen nicht zu überspannen, da sonst das Volk selbst nach dem Rechten sehen würde. Der erfahrene Politiker Withalm vertritt sogar die Meinung, zum Ende der Großen Koalition in Österreich wäre es nicht gekommen, hätte es bereits damals das korrigierende Instrument des Referendums gegeben.

Grundsätzlich würde man Withalm falsch verstehen, wollte man ihn als einen jener Demokratisierer beschreiben, die politische Entscheidungen aus der Hand der gewählten Mandatare in die Gewalt des gesamten Volkes übertragen. Withalm will durch seine Vorschläge das parlamentarische System selbst stärken und aus der Monarchie rührende Verzerrungen („… hier ist der Monarch mit seiner Regierung und dort das Parlament. ..”) abbauen.

Er selbst, so Withalm, habe als Klubobmann öfters im Parlament Stellungen bezogen, die seinem Parteiobmann Klaus als Regierungschef keine besondere Freude bereitet hätten. Um die Volksvertreter im Parlament zu stärken, könnte sich Withalm auch eine Lockerung des vielzitierteii Klubzwanges vorstellen: „Ich glaube, daß eines Tages auch bei uns eine Entwicklung kommen kann, wo man, wie im amerikanischen Senat, die Entscheidung über einzelne Gesetze wirklich den Abgeordneten überläßt.” Freie Abstimmungen (ohne Klubzwang) habe es bisher nur zweimal - Aufhebung der Todesstrafe und Glücksspielgesetz - gegeben.

Eine häufigere Freigabe der Abstimmungen hätte unserem Parlament nur gutgetan. Auch hier kann nur noch einmal auf das Thema Abtreibung verwiesen werden.

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