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Das Licht auf der Stirn

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Der kleine Jesus liegt in der Krippe und weiß von nichts. Das heißt: eigentlich weiß er alles, aber bei seiner Geburt hat ihn (nach guter alter jüdischer Sitte) ein Engel auf den Mund geschlagen, und er hat alles vergessen. Was im Anfang war und was am Ende sein wird - die ganze Weltgeschichte. Nun liegt er da, wie ein Neugeborenes daliegt und heißt vorläufig Jeschua.

Sicher, die Umstände sind etwas ungewöhnlich, nicht jedes

Neugeborene liegt, wie man später in Weihnachtsliedern singen wird, auf Heu und Stroh. Aber man muß nicht meinen, daß er da schlecht liegt, die Witterungsverhältnisse sind übrigens auch anders als wir uns das vorstellen werden — Schnee ist sehr unwahrscheinlich im Lande Juda. Seine Eltern sind nolens volens aufgebrochen, um sich in ihrer Heimatgemeinde registrieren zu lassen (Volkszählungen waren schon damals sehr unbeliebt). Und das haben wir jetzt davon, hat Josef zu Miriam gesagt, als die Wehen zu früh angefangen haben, wären wir doch in Nazareth geblieben!

Die Umgebung ist allerdings so übel nicht, Stall ist nicht gleich Stall, Schweine werden in Israel nicht gezüchtet, und die Hirten sind gastfreundliche Leute. Man hat Schafkäse und Wein gebracht, nicht dem Jesuskind natürlich, aber seinen Eltern. Wahrscheinlich auch Ziegenmilch, denn die

ist gut für stillende Mütter. Mein Sohn, sagt Josef zufrieden, als er das Kind an Miriams Brust saugen sieht, ben Joseph, der Sohn Josefs.

So wäre, bis auf die politischen Verhältnisse (immerhin steht die Besatzungsmacht im Land, aber das mag man in so einem privaten Augenblick vergessen), alles schlicht idyllisch bei der Geburt des kleinen Jesus. Erst recht, wenn man unter dem Dach des Stalls Ochs und Esel und darüber einen ungeheuren Sternenhimmel hinzudenkt. Aber das ist es eben: Dieser Sternenhimmel — ein Sternenhimmel, wie wir ihn heute kaum mehr sehn können — dieser Himmel ist schuld. Vielleicht ist das Dach des Unterschlupfs schadhaft, und es fällt ein Licht auf das Kind — aber das ist sicher kein Zufall.

Wir wollen der Uberlieferung folgen und annehmen, daß es ein Hirt zuerst gesehn hat. Das waren ja übrigens keine Hüterbuben damals, sondern Halbnomaden, vertraut mit den Zeichen und Wundern der Natur, be-geistert wie Moses, immer in Erwartung des Unerwarteten. Oder auch in Erwartung des voll heiliger Ungeduld Erwarteten: Da wird einer kommen, der wird sein Volk befreien. Und dann wird die Willkür der Herrschenden aufhören, dann werden die Erniedrigten und Beleidigten erhöht und entschädigt werden, dann wird kein ungerechter Unterschied mehr sein zwi-

sehen oben und unten. Seht doch seht — könnte also dieser Hirt gesagt haben. Was, könnte Josef gefragt haben, was gibt es da schon groß zu sehn? Das Licht, sagt der Hirte, das Licht auf der Stirn des Kindes. Na und, könnte Josef gesagt haben, na schön, wir stellen das Kind ins Dunkel, daß es besser schläft. Doch diesem Kind ist nicht beschieden zu schlafen.

Sicher, jetzt darf es noch schlafen, zu Bethlehem, in der Krippe. An Miriams Brust gesättigt, schläft es ein, wie ein satter Säugling einschläft. Und der versponnene Hirte fällt zurück in sein nachdenkliches Schweigen, summt vielleicht einen Psalm in seinen Bart. Einen Psalm, den man später zu einem Schlaflied verniedlicht, aber sowie das Kinn des Hirten auf die Brust sinkt, klingt er vielleicht wirklich so ähnlich. Und draußen ist Nacht, und auch die römischen Soldaten in den Garnisonen schlafen. Und selbst der Kaiser in Rom schläft, wenngleich etwas zeitverschoben, und hat noch keine Ahnung, was seinem Reich, das sehr eindeutig von dieser Welt ist, bevorsteht. Stille Nacht, heilige Nacht - aber es ist die Nacht vor dem Tag, die Ruhe vor dem Sturm. Denn später, in Nazareth, wird der kleine Jesus aufwachen und fragen...

Marne, wie war das damals, als ich geboren wurde?

Du bist ein bißchen zu früh gekommen, wird sie sagen, und es hat Gott sei Dank nicht besonders

weh getan.

Ja aber, wird der kleine Jesus sagen, das meine ich nicht, wie war das mit dem Licht?

Das Licht war auf deiner Stirn, wird Miriam sagen.

Ach was, wird Josef sagen, und einen Moment lang zu sägen aufhören, setz doch dem Buben keine Flausen in den Kopf!

Ich sage ja nur, was wahr ist, wird Miriam beharren. Das Licht war auf deiner Stirn, und ich war sehr froh über dich.

Nicht wahr, wird der kleine Jesus weiterfragen, die drei weisen Männer haben es auch gesehn?

Weise Männer! wird Josef brummen, Sterngucker! Verrückte!

Nicht doch, wird Miriam sagen, sie haben ihn immerhin gesegnet.

Ich wollte, wird Josef bitter lachen, sie hätten wirklich die Geschenke gebracht, von denen die Leute erzählen; naja, auf Weihrauch und Myrrhe hätte ich für meinen Teil ganz gern verzichtet — aber das Gold hätten wir brauchen können.

Nimm ihn nicht ernst, wird Miriam lächeln, er meint es nicht bös.

War da wirklich ein Stern? wird der kleine Jesus fragen.

Ja, wird Miriam sagen, ein Stern war da wirklich. Die weisen Männer haben gesagt, es war ein Phänomen, aber von solchen Dingen weiß ich nichts. Ich kann dir nur sagen, daß es der hellste Stern war, den ich je gesehn habe.

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