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Das Menschliche bewahren

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Als Stefan Zweig 1936 auf dem Weg zum PEN-Kongreß in Buenos Aires der Einladung seines Verlegers folgte, ihn in Rio zu besuchen, fragte er den jungen Mann, der ihn abholen kam, wo denn sein Vater sei. Zweig war damals 53, sein brasilianischer Verleger Abräo Koogan 23 Jahre alt. Trotz dieses großen Altersunterschiedes entwickelte sich zwischen den beiden Männern eine tiefe Freundschaft. Abräo Koogan stand auch auf der Referentenliste des Stefan-Zweig-Kongresses, der von 18. bis 23. Februar im Schloß Leopoldskron in Salzburg tagte, doch der alte Herr konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht aus Brasilien anreisen. Eine Studentin verlas seine Erinnerungen an „Die letzten Monate mit Stefan und Lotte Zweig".

Koogan erzählte von der düsteren Stimmung, aus der Zweig sich nicht mehr befreien konnte: „Für ihn war alles eine Überraschung, er war den Kampf nicht gewohnt." Koogan als Ostjude, der aus Rußland geflohen war, kannte den Faschismus bereits, kannte Verfolgung und Gewalt - und doch hatte er sich den Glauben bewahrt, daß der Faschismus das Judentum nicht vernichten könne.

Auf den Unterschied zwischen dem „reichen Westjuden" und dem „armen Ostjuden" kam auch Jacques Le Rider in seinen „Darstellungen des Judentums in den Erzählungen der dreißiger und vierziger Jahre" zu sprechen. Er stellte Stefan Zweig und Josef Roth einander gegenüber: Roth habe die Aussichtslosigkeit des Kampfes einsehen und somit zu ertragen gelernt, Zweig sei unfähig gewesen, sein Schicksal zu begreifen, und daran zugrunde gegangen.

Auch in seinem Romanfragment „Clarissa" drückt sich Zweigs Hai-

tung der Realität gegenüber aus: „Freud will die Menschen auf die Causa ihrer Verstörung hinbringen, ich will sie davon abbringen."

Knut Beck, Lektor des Fischer Verlages und Herausgeber der gesammelten Werke Zweigs, sprach über seine Rekonstruktionsarbeit an „Clarissa".

Dieser Romanentwurf aus Zweigs letzten Lebensmonaten wurde erst 1981 im Londoner Nachlaß aufgefunden. Harry Zohn, Professor für deutsche Literatur in den USA, beschrieb Zweig in seinem Referat „Briefe und Tagebücher im Exil" als „Arzt, der sich nicht selber heilen konnte". Zweigs Dilemma sei darin gelegen, daß er zwar „den Widergeist der Zeit verstand, ihm aber nicht Paroli bieten" habe können.

Da er Zeit seines Lebens nur geistiges Schaffen anerkannte, fehlte seinem Humanismus das gesellschaftspolitische Element. Er sei nicht bereit gewesen, seine „antifanatische Haltung zugunsten zeitgebundener Aktion aufzugeben". Diese Haltung ist ihm oft genug angekreidet worden, ihm, der auf nichts anderes hoffte, „als auf den endlichen Triumph der Vernunft".

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