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DAS MILIZSYSTEM SOLL BEIBEHALTEN WERDEN

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Die Bedeutung der militärischen Landesverteidigung wurde im Sommer 1991 durch die kriegerischen Ereignisse an Österreichs Grenzen zum ehemaligen Jugoslawien dramatisch aktualisiert.

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Die Bedeutung der militärischen Landesverteidigung wurde im Sommer 1991 durch die kriegerischen Ereignisse an Österreichs Grenzen zum ehemaligen Jugoslawien dramatisch aktualisiert.

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Österreichs Wehrpolitik hat auf den Krisenfall Jugoslawien und auf die geänderte sicherheitspolitische Lage in Mitteleuropa als erstes Land mit einem neuen Wehrkonzept reagiert. Der Einsatzrahmen des Bundesheeres wird auf 120.000 Mann abgesenkt, ständig verfügbare Einheiten in der Stärke von 15.000 Soldaten können im Anlaßfall ohne Mobilmachung in kurzer Zeit aufgeboten werden und die Miliz wurde bei diesen Überlegungen aktiv berücksichtigt. Diese Reform, die vom Landesverteidigungsrat empfohlen und im Ministerrat einstimmig beschlossen worden ist, hält an der Prämisse der allgemeinen Wehrpflicht unverrückt fest.

Alle Analysen möglicher Anlaßfälle und Bedrohungsbilder für die österreichische Sicherheit ergeben, daß militärische Landesverteidigung nicht nur eine Frage der Qualität, sondern vorrangig eine solche der Quantität darstellt.

Solange ein europäisches Sicherheitssystem - trotz WEU und NATO - keine endgültigen Konturen erkennen läßt, muß Österreich seine Landesverteidigung auf der allgemeinen Wehrpflicht und somit auf der milizartigen Struktur unseres Bundesheeres einrichten.

Das von bestimmten politischen Richtungen geforderte Berufsheer wird dem heutigen Auftrag an das Bundesheer nicht gerecht. Neben dem wesentlich höheren Budgetbedarf -für ein Berufsheer in der Stärke von 40.000 Mann müßten mehr als 60 Milliarden Schilling im Jahr veranschlagt werden - sprechen weitere Sachargumente gegen ein Berufsheer. Es würden sicherlich genügend Offiziere zu finden sein, kaum jedoch einfache Soldaten. Häuptlinge ohne Indianer? Söldnerheer analog der Fremdenlegion? Für die österreichische Sozialdemokratie ist die Integration und Verankerung der bewaffneten Macht im Staate in allen Schichten der Gesellschaft unabdingbar.

Falsche Prognosen

Die angelaufene Bundesheer-Reform verlangt pro Einrückungsjahr-gang 34.000 Präsenzdiener, um die Miliznährrate zu gewährleisten. Durch die letzte Novelle zum Zivildienstgesetz wurde durch den Wegfall der „Gewissenskommission” der Zugang zum Wehrersatzdienst erleichtert. Diese angesprochene Novelle wurde zeitlich bis zum 31. Dezember 1993 befristet. Der Gesetzgeber muß bis Ende des Jahres tätig werden oder der Rechtszustand vor 1992 würde wieder aufleben.

Tatsache ist, daß entgegen den Prognosen, die von zirka 6.000 Zivildienern pro Jahr gesprochen haben, der Zustrom zum Wehrersatzdienst derzeit wesentlich größer ist.

Tatsache ist auch, daß der Zivildienst politisch in Österreich gewünscht wird, viele Sozialeinrichtungen ohne Zivildiener nicht mehr effektiv oder unfinanzierbar wären. Übrigens wird bei der laufenden Diskussion gerne übersehen: Ohne allgemeine Wehrpflicht kein Zivildienst!

Das übermäßige Ansteigen von Zivildienern nach Erleichterungen beim Zugang zu diesem Ersatzdienst ist keine österreichische Novität. Ähnlich war vor wenigen Jahren die Entwicklung in der BRD. Allerdings pendelte sich in Deutschland der Prozentsatz an Zivildienstmeldungen nach vier Jahren wieder auf den „Normalpegel” vor dem erleichterten Einstieg ein.

Durch die Fallfrist 31. Dezember 1993 ist derzeit die Möglichkeit, eine längere Beobachtungszeit in dieser Frage auszunützen, nicht möglich. Gerade dies wäre, um einen objektiven Trend feststellen zu können, sehr nützlich, denn derzeit stehen zum

Beispiel lediglich nur die Zivildienstzahlen eines Haupteinrückungstermi-nes (Oktober 1992) zur Verfügung. Eine gesetzliche Verlängerung des Beobachtungszeitraumes um etwa eineinhalb bis zwei Jahre wäre denkbar.

Die Koalitionspartner in der Bundesregierung haben für den kommenden Herbst Verhandlungen über die Zivildienstfrage angesetzt. Die Sozialdemokraten sind trotz einiger Querschüsse während des Politsom-mers - vor allem seitens des Vizekanzlers - an einer seriösen gesetzlichen Lösung interessiert. Bei den kommenden Verhandlungen muß besonders auf die Wehrgerechtigkeit geachtet werden.

Für eine wirkungsvolle Lösung bedarf es Fantasie. Bloßes Lagerdenken in Richtung entsprechender Verlängerung der Zivildienstdauer beziehungsweise unveränderte Rechtslage trotz überdimensionalen Zustromes zur Zivildienstableistung wird der angesprochenen Lösung nicht dienlich sein.

Es gilt nicht, die Zivildiener zu „bestrafen”, es gilt Wehrgerechtigkeit bei der angeforderten Solidarleistung dermännlichenjun-gen Bürger gegenüber ihrem Staatswesen herzustellen.

14.000 Präsenzdiener pro Jahr werden gemäß neuer Bundesheer-Reform kein durchlaufendes Abdienen beim Heer erleben. Für sie gilt sechs Monate Grundwehrdienst plus sofort anschließend ein weiteres Monat Truppenübungen. Es verbleiben somit 30 Übungstage bei der

Miliz, die bis zum 30. Lebensjahr abgeleistet werden.

Warum sollten folglich alle Zivildiener acht beziehungsweise zehn Monate durchgehend Zivildienst leisten können? Es wäre gerechter, daß beim Zivildienst ebenfalls 30 Übungstage im Rettungs-oder Katastrophendienst verbleiben. Für den Borkenkäfereinsatz, bei Windbruch oder Hochwasserhilfeeinsatz muß niemand ausgebildeter Soldat sein.

Für die Verlängerung des Beobachtungszeitraumes sprechen meines Erachtens zwei Argumente: Erstens wäre die Zivildienstfrage dadurch kein Thema im kommenden Nationalrats-wahlkampf und zweitens ist den Zivildienstwerbern noch nicht genug bewußt geworden, daß durch übergroßen Bewerberansturm jahrelange Wartezeiten bei der Ableistung zu befürchten sind.

Sicherheitspolitik hat Vorrang

Vorrang für alle Überlegungen hat aber die österreichische Sicherheitspolitik zu sein. Es gilt daher, die militärische Komponente innerhalb der Umfassenden Landesverteidigung entsprechend zu festigen und glaubwürdig zu erhalten. Das Bundesheer selbst ist bei der Ausbildungsreform und bei der Neufassung der allgemeinen Dienstvorschrift zu kreativen Beiträgen gefordert.

Sollten letztlich alle Maßnahmen wehrpolitisch und sicherheitspolitisch zu keinen allgemein akzeptablen Ergebnissen führen, müßte an eine „europäische Dauer” des Zivildienstes gedacht werden. Der Autor, Abgeordneter zum Nationalrat, ist Wehrsprecher der SPÖ.

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