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Das mißverstandene Ärgernis

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,,Die Ablässe sind ein frommer Betrug an den Gläubigen und ein Versäumnis guter Werke“. Als Papst Leo X. diesen, Martin Luther unterstellten, Satz verwarf, konnte er wohl nicht ahnen, daß sich an der Beurteilung des katholischen Ablaßwesens durch die gläubige Christenheit in 450 Jahren nicht viel ändern würde. Noch immer geistern die seltsamsten Vorstellungen über Wirkung und Wesen von Ablässen durch die Phantasie der mehr oder weniger Frommen; noch immer wird die scheinbare Mechanisierung einer nur durch persönliche Umkehr erbringbaren Genugtuung der Magie zugesellt; noch immer gilt das katholische Ablaßwesen entweder als ein frommer Betrug an den Gläubigen oder doch als ein ärgerliches, unver-stehbares Überbleibsel aus dem so finsteren Mittelalter, dessen „segensvoller Gebrauch“ (Trient) höchstens dem päpstlichen Finanzkämmerer zukommt.

So ist es für den katholischen Theologen nicht überraschend, wenn Heinz Beckmann 1974 im „Rheinischen Merkur“ lapidar erklärte: „Der Ökumene wird kein Gefallen damit getan, wenn man jetzt in Deutschland mehr oder weniger zu verschweigen versucht, daß auch im bevorstehenden Heiligen Jahr in Rom der Ablaß erworben werden kann, wenn auch gewiß nicht mehr gegen Geld, so doch unter der Bedingung gewisser geistlicher Übungen, die zuvor .geleistet' werden müssen. Der Ablaß aber, darüber muß man sich klar sein, ist ein Ding, das evangelische Christen nicht etwa nur ablehnen, sondern das für sie schlechthin unvorstellbar ist, also außerhalb jeder Auseinandersetzung über den rechten-Glauben liegt“.

• Nun ist nach wie vor kein katholischer Christ verpflichtet, einen Ablaß zu gewinnen. Verständnis für die in der Kirche seit dem 11. Jahrhundert geübte Praxis der Vergebung zeitlicher Sündenstrafen — für dieses „Ding“ also— darf gleichwohl von jedem Christen, nicht zuletzt im Hinblick auf das Heilige Jahr erwartet werden. Ein richtiges Verständnis des Ablasses muß eine Minimalkenntnis der Geschichte des Bußsakraments voraussetzen. Denn es ist kein Zufall, daß das Entstehen von Ablässen zeitlich einer Veränderung der kirchlichen Bußpraxis auf den Fuß folgt, wobei zugegebenermaßen die gläubige Praxis bis heute der theologischen Reflexion vorauseilte.

War die älteste Form der innerkirchlichen Sündenvergebung eine „Exkommunikationsbuße“, bei der die öffentliche Buße einer „mühsamen Taufe“ glich, so wird nun in der privaten Buße (6.—10. Jahrhundert) die Versöhnung mit der Kirche an den Anfang des sakramentalen Bußverfahrens gestellt. Die sakramentale Bußleistung wird erst nach der Lossprechung erbracht und vermindert sich im Vergleich zur frühkirchlichen Praxis dermaßen, daß heute die Schuld, für die ein Christ etwa des 4. Jahrhunderts sein Leben lang gebüßt hätte, mit ein paar „Vaterunser“ abgetan zu sein scheint. Aber ist sie das wirklich?

In der ältesten Form kirchlicher Bußpraxis war es eine eigentlich undiskutable Annahme, daß wirkliche Schuld nicht nur der inneren Reue des Sünders zur eigentlichen Tilgung der Schuld vor Gott und der Kirche bedurfte, sondern daß sich diese Umkehr des Herzens auch und zunächst nach außen hin manifestieren mußte. In einer psychologisch vielleicht richtigeren Einschätzung des Menschen, wollte die Kirche erst einmal konkrete Taten der Reue und Bewährung sehen, ehe sie den Gläubigen wieder in ihre Heilsgemeinschaft aufnahm.

Durch die veränderte Bußpraxis steht der Büßer zu Beginn des Mittelalters vor einer neuen Frage, Nach wie vor ist es unbestritten, daß die ewige Sündenstrafe, also der Verlust der ontischen Gnadengemeinschaft mit Gott, nur durch die möglichst richtig motivierte Umkehr aufgehoben werden kann, daß es einer Wiederaufnahme in die Kirche als einziger Heilsgemeinschaft bedarf und daß der Sünder eine in etwa der Schwere seiner Schuld entsprechende Buße zu leisten hat. Die Frage hieß nun: Wenn die Kirche schon die Vollmacht hat, einen reuigen Büßer wieder in ihre Heilsgemeinschaft mit Gott aufzunehmen und somit die ewige Sündenstrafe zu erlassen, welche Vollmacht hat sie dann hinsichtlich der zeitlichen Sündenstrafen?

Wenn die katholischen Kirche nach ihrem eigenen Verständnis des Bußsakramentes zeitliche Sündenstrafen nicht einfach erlassen kann, dann müssen dafür tiefere Ursachen als bloße Willkür oder die Absicht, den Büßer auch wirklich büßen zu lassen, vorliegen. Nun: Die ewige Sündenstrafe (um in der hier nötigen Terminologie zu bleiben) ist nicht ein zur Schuld des Menschen hinzukommender Racheakt Gottes, vielmehr trägt die echte Schuld des Menschen diese „Streife“ in sich. Schwere Schuld ist durch die Tat selbst die vom Menschen bewußt vollzogene und gewollte Abkehr von Gott und als solche die „Strafe“. Das gleiche gilt nun aber von der zeitlichen Sündenstrafe. Schwere Schuld trägt auch in der Zeit ihre Strafe in sich selbst. Alles andere wäre eine unverständliche und, anthropologisch wie psychologisch, die wirkliche Situation verfehlende Verharmlosung der Schuld. Denn wenn die bewußte und gewollte Absage des Menschen von Gott im Vollzug einer mit dem göttlichen Leben unvereinbaren Schuld nie eine Eintagsfliege sein kann, sondern ein innerer Prozeß ist, der sich dann natürlich auch in einer einzigen schweren Sünde zeigen kann, dann gilt umgekehrt: Der Piö~ zeß der Umkehr ist auch nicht von einem momentanen Willensakt zu erwarten, sondern echte Umkehrbraucht die psychologische, anthropologische, religiöse Aufarbeitung, eine nur langsam sich ändernde Lebenshaltung des Menschen, zu der auch Bußwerke gehören. Ja, die begehrliche Situation des Menschen verlangt gerade auch vom Sünder Buße — und hier ist das Abbüßen der zeitlichen Sündenstrafe gemeint — als bleibende Aufgabe.

Die Kirche kann also, so läßt sich feststellen, die zeitliche Sündenstrafe im so verstandenen Sinn gar nicht erlassen, weil sie die in der Zeit verlangte Bußhaltung des Sünders nicht einfach als „geleistet“ dekretieren kann. Anderseits gibt es Ablässe nun aber doch. Was also kann die Kirche? Niemand, so möchte ich meinen, kann Anstoß an der folgenden Aussage nehmen: Die Kirche kann darum beten, daß dem Sünder die psychologische anthropologische und religiöse Umkehr des Herzens auch wirklich gelingen möge, und genau dies ist das Wesen des Ablasses!

So heißt es in der „Apostolischen Konstitution über die Neuordnung des Ablaßwesens“ aus dem Jahre 1967: „Der Kirchenschatz ist Christus der Erlöser selbst ... Außerdem... die Gebete (!) und guten Werke aller Heiligen“. Dadurch erhält das unglückliche Wort .Xirchenschatz“ einen auf den ersten Blick nicht vermuteten und verständlichen Inhalt. Dieser Schatz ist das Gebet, in erster Linie Christi und mit ihm der Kirche, und wenn in kirchlicher Dokumen-taton von „autoritativer Zuteilung“

aus diesem Kirchenschatz die Rede ist, so steht im Hintergrund das Wissen, daß es eine Wirksamkeit eben dieses Gebetes Christi vor Gott gibt, die dem Büßenden als Hilfe zu seiner persönlichen Bußleistung auch als effektiv wirksam zugesagt werden kann.

So sehr freilich der Büßende auf diese Fürbitte der Kirche vertrauen darf — ohne seine Mitwirkung, ohne die rechte Disposition, geschieht gar nichts! Von der Bußhaltung, die sich — will man nicht jede Anthropologie auf den Kopf stellen — auch veräußerlichen muß, kann niemand dispensieren. Sie kann weder gekauft noch geschenkt werden. In welcher Form nun aber sich die innere Bußhaltung des Sünders manifestiert oder manifestieren soll, kann dann auch von der Gemeinschaft der Gläubigen bestimmt werden, die gewisse Bußleistungen verlangen darf, und es ist nicht einzusehen, warum als eine solche Bußleistung nicht auch eine Pilgerfahrt nach Rom, ein Gebet oder eine Geldspende gelten dürfte. Dieser Bußeleistung sichert dann die Kirche ihrerseits das in sich vor Gott wirksame Gebet der fürbittenden, brüderlichen Liebe zum Erreichen echter Umkehr zu. Das Wissen um die helfende Fürbitte der Kirche zur Erlangung echter Bußgesinnung und wirklicher mühevoller Umkehr ist das Motiv und Wesen des Ablasses in einem.

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