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Das Nasenzählen führt zu nichts

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Die Ausstrahlung des Katholikentages '83 läßt sich nicht statistisch messen. Viele „kleine Erfolge“ sind es, die zählen, Ansätze im Sinne einer stetigen Weiterentwicklung.

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Die Ausstrahlung des Katholikentages '83 läßt sich nicht statistisch messen. Viele „kleine Erfolge“ sind es, die zählen, Ansätze im Sinne einer stetigen Weiterentwicklung.

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Fragen nach Sinn und Zweck des eigenen Tuns, nach Sinn und Zweck der eigenen Gemeinschaft werden oftmals viel zu selten gestellt und wenn, dann wird nicht selten auf die notwendige Schlußfolgerung vergessen.

Solche Fragen sind im Prinzip durchaus vernünftig. Nur: In unserer Kirche werden sie mit geradezu selbstquälerischer Häufigkeit gestellt und mit einem Eifer sonder Sorte gleich auch negativ beantwortet. Ich habe es in der ganzen langen Phase der Vorbereitung dieses Katholikentages 1983 miterlebt, wie diese Kardinalfrage immer wieder kam: ob denn das alles gutgehen würde, ob ein Großereignis dieser Art noch in unsere Zeit paßt, ob eine Veränderung in der Glaubenshaltung überhaupt denkbar wäre angesichts der Kirchenbesuchsstatistik, der Kirchenaustritte und der Kirchensteuer.

Jene, die Verantwortung um diesen Katholikentag trugen, haben zum Glück weniger über diese Fragen reflektiert, sondern den Katholikentag so wie er war möglich gemacht. Und es war gut so.

Wenigstens in einem hat der Katholikentag nichts geändert: Selbstquälerische Fragen werden unentwegt gestellt. Haben wir den Aufbruch versäumt? Welchen Aufbruch denn?

„Der Katholik unserer Zeit führt wohl kaum von vornherein schon sein Leben im Angesicht Gottes. Die Verknüpfung des Alltags mit Gott ist ihm keineswegs selbst gegeben. Davon auszugehen, alle Glieder der Kirche erlebten ihre Entscheidungen, Ängste und Freuden ohne weiteres in der Zwiesprache mit dem Vater im Himmel, wäre eine Illusion“: Das war eines der vielen, ehrlichen, befreienden Worte die Johannes Paul II. auf seinem Besuch in Österreich gesprochen hat. Das ist der Ausgangspunkt zur Beurteilung unserer Lage.

Ich habe vor dem Katholikentag schon gesagt, wer davon ausgeht, der Katholikentag würde bewirken, daß aus Österreich ein Volk von unentwegten Betern würde, der muß in dieser Erwartungshaltung am Katholikentag — und seinen Folgerungen — eine bittere Enttäuschung erleben.

Ich meine: Wenn unter dem Eindruck dieses Katholikentages ein paar tausend Menschen wieder beten gelernt haben, ein paar tausend Katholiken sich in ihrem Glauben bestärkt fühlen, ein paar Glieder der Kirche an ihrem Tun . wieder neue Freude gefunden haben, dann war das alles ein Erfolg.

Die in Österreich so beliebte Glaubensbewertung im Wege des Abzählens der Kirchenbesucher vermag das nicht auszusagen. Uberhaupt scheint mir diese mechanistische Bewertungsform mehr zur Feststellung der Abnützung von Bodenbelägen in den Kirchen geeignet als zur Feststellung der Glaubensintensität. Glaubt der urlaubende, kranke, gehbehinderte Katholik nicht? Und doch fällt er durch den Raster dieser Statistik.

Demgegenüber sind Veränderungen in der Bereitschaft, dem Glauben und der Kirche wieder einen besseren Platz in der Skala der Wichtigkeiten im eigenen Leben einzuräumen schwer meßbar. So schwierig hier auch der Erfolg zu messen sein mag: Hier liegt der Schwerpunkt, an dem wir alle unsere Bemühungen anzusetzen haben. Und genau hier verzeichnen wir zwar keinen Aufbruch, aber durchaus jene erwarteten, kleinen Erfolge.

Ein Jahr „danach“ werden sich Katholiken beim Papstkreuz am Heldenplatz zu einer großen Friedensvesper versammeln. Es entspricht der Form, daß die offizielle Einladung hiezu vom Wiener Erzbischof ausgegangen ist. Der Anstoß, das Anliegen kam von den Katholiken selbst. Die Wiener Katholische Aktion und die katholischen Verbände waren es, aus denen heraus das „man müßte, man sollte“ gekommen ist, und die es auch umsetzen.

Im Geiste des Katholikentages und des Papstbesuches wird man sich versammeln und für den Frieden beten, weil es einer großen Zahl von Katholiken so richtig und so wichtig scheint. Und unser Kardinal hat sich gerne an die Spitze gesetzt.

Ist das nicht ein kleiner Fortschritt? Uberhaupt, wenn man ein klein wenig boshaft bedenkt, wie viele „epochale“ Ereignisse es im Laufe der Jahre gibt, die ein Jahr danach völlig der Erinnerung entschwunden sind.

Oder: Mitte November wird es in Eisenstadt ein zweites Mal die Arbeitstagung „Christ und Weltgestaltung“ geben. Zwei Jahre zuvor diente sie der Vorbereitung des Katholikentages. Heuer wird man aus der Ermutigung des Katholikentages heraus weiterdenken über die gesellschaftliche Verantwortung des Christen in seiner Umwelt.

Viele solcher Beispiele könnte man nennen. Noch mehr freilich könnte man nennen, was noch zu tun bleibt. Aber gerade das scheint mir die ungeheure Herausforderung an jedwedem Wirken in der Kirche zu sein: es ist nie beendet, erledigt, erschöpft. Der Weg führt immer weiter. Was wir dafür brauchen ist Mut und ein höheres Maß an Selbstvertrauen.

Johannes Paul II. hat uns beides gegeben: Er hat uns nicht kleinlich die Zahl der Kirchenaustritte vorgerechnet, wie wir das ein paar Monate später selbst besorgt haben. Er hat uns ganz nüchtern gesagt, wo wir stehen und dann hinzugefügt: „Die Schwierigkeiten unserer Zeit wecken bei vielen Menschen, besonders bei den jungen, auch die kühnsten Träume, die besten Kräfte des Geistes, des Herzens und der Hände“. Wenn wir nur wollen, dann spüren wir das auch.

Der Autor ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände.

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