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Das Österreich-Puzzle

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Am 5. Februar hat die Tiroler Landesregierung ihr Memorandum zur Weiterentwicklung des Föderalismus übermittelt, am 9. März überreichte Landeshauptmann Martin Purtscher in Wien die Vorarlberger Denkschrift in Sachen Bundesstaatlichkeit an Kanzler Franz Vranitzky und „Vize” Josef Riegler. Tags zuvor hatte Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider im Bundesrat - nach Wien angereist, „damit die Bundesräte aus ihrer Schläferrolle aufwachen” - zur „Befreiung der Länder” aufgerufen. Und Riegler selbst hat in seiner Eigenschaft als • „Föderalismus-Minister” am 6. März den Bericht einer Strukturreformkommission vorgestellt, der sich mit der künftigen Neurordnung des Bundesstaates Österreich befaßt.

Die Föderalismusdiskussion ist auf breiter Front angelaufen. Sie hat wenigstens fünf Wurzeln.

• Die Bundesländer befanden sich, was ihre verfassungsrechtlichen Kompetenzen betraf, seit jeher in einer schwachen Position. Und diese wurde - so auch der Befund des Salzburger Politikwissenschaftlers Herbert Dachs- „nach 1945 seitens der Großen Koalition weiter ausgehöhlt”. Dieser Prozeß konnte überhaupt erst in den sechziger Jahren mit der Formulierung des Forde-rungsprogrammes der Länder gestoppt werden. Eine echte „Trendumkehr” ist allerdings bis heute ausgeblieben. In der Diktion des jüngsten Vorarlberger Memorandums: „Insgesamt hat die Arbeit der letzten Bundesregierung nicht zu einer Stärkung der Bundesstaatlichkeit geführt.”

• Die Diskussion über einen EG-Beitritt Österreichs ist ein notwendiger Anlaß für eine Verfassungsdebatte. Universitätsprofessor Helmut Schreiner, Präsident des Salzburger Landtages, vertritt sogar die Meinung, daß „ein Beitritt Österreichs zur EG so viel wie das Ende der Bündesstaatlichkeit bedeuten würde. Es wäre dann, wenn nicht zuvor Substantielles geschieht, ehrlicher (und auch kostengünstiger), die Länder als Gliedstaaten zu eliminieren und damit auch die Landesparlamente abzuschaffen, wodurch aus den Landesregierungen dann dezentrale Außenstellen der Bundesregierung würden.” Soll daher ein EG-Beitritt „nicht mit dem endgültigen Verlust der Selbstgestaltungsfähigkeit” eines Bundeslandes erkauft werden, sind nachhaltige Veränderungen notwendig, sonst drohe Österreich „zu einem Fossil des Zentralismus in Mitteleuropa zu werden”.

• Drittens bekommt die Föderalismusdiskussion durch den internationalen Trend zur Regiona-lisierung Auftrieb. Bundeskanzler Vranitzky hat darauf angespielt, wenn er anläßlich der Überreichung des Vorarlbergers Memorandums gemeint hat, das „Europa der Regionen dürfe nicht zu einem Europa der Provinzen” werden.

• Zum Trend der Regionalisierung gesellt sich allerdings auch - und quer durch die gesellschaftlichen

Bereiche feststellbar - eine „Fragmentierung”, ein Verlust an Gemeinsamkeit insgesamt. Umwelt-und Verkehrsfragen, Spitalsfinanzierung, Finanzausgleich oder Flüchtlingsbetreuung, „Belastungen” im Zusammenhang mit der Landesverteidigung: Bei Problemen, die Bundesländergrenzen überschreiten driftet der Bundesstaat heute bereits unübersehbar auseinander.

„Anti-Wien-Affekt”

1 Fünftens schließlich gab und gibt es in den Bundesländern „AntiWien-Affekte”, die nach landespolitischer Nützlichkeit auch angesprochen und mobilisiert werden. Haider etwa hat seine Idee vom „Freistaat Kärnten” damit gewürzt: „Es wird notwendig sein, den Wienern klarzumachen, daß entweder alle gleich viel wert sind, oder es werden jene austreten, die sich schlecht behandelt fühlen.” Dabei sind die Wiener- angeführt von den Salzburgern - gemeinsam mit den Vorarlbergern und Oberösterreichern Zahler im bundesweiten Finanzausgleich, während die Kärntner - nach den Burgenländern - zu den größten „Nutznießern” (1990: 10.000 Schilling pro Kopf der Landesbevölkerung) der innerösterreichischen Umverteilung zählen.

Österreichs EG-Ambitionen machen eine grundlegende Reform des Bundesstaates unausweichlich. Dabei geht es aber auch um ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit, das die politische Einheit und Lebensfähigkeit des Landes sicherstellt, soll Österreich im künftigen Europa mehr als ein Puzzle aus neun „Länder-Staaten” sein. Für eine „sofortige” (Haider) Volksabstimmung zur Verfassungsänderung fehlen die Voraussetzungen.

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