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Das offene Buch Jugend

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Die „heutige" Jugend: Ist sie nicht allerorten ein beliebtes Diskussionsthema? Glaubt nicht jeder, genau zu wissen, was von der Jugend zu halten, wie sie zu behandeln ist? Sind wir nicht überzeugt davon, daß dieser Jugend Discos, Drogen und Demonstra-

tionen näher liegen als Bundesheer, Zwentendorf oder Parteipo-Htik?

Wir wissen tatsächlich viel über die „heutige" Jugend (wie über jede soziologische Gruppe). Wenn unsere Vorfahren über die Jugend herzogen - und welche Generation tat das nicht (es ist schon bei Sokrates nachzuschlagen)? -, gingen sie von persönlichen Einzelerfahrungen aus.

Heute haben wir dank der modernen Sozialwissenschaften die bestdurchleuchtete Jugend, die es je gab. Wir können somit auf wissenschaftlich gesicherter Grundlage über sie herziehen. Oder auch nicht.

Das letzte umfassende Produkt auf diesem Gebiet wurde jüngst präsentiert: „Jugend zu Beginn der achtziger Jahre — österreichischer Jugendbericht 1". Das darin enthaltene, qualitativ unterschiedlich aufbereitete Material zeigt uns die jungen Österreicher angesichts der Bezugspunkte Gesundheit, Kriminalität, politische Beteiligung, Lebensorientierungen, Faipilie, Schule und Gesellschaft.

Die angeführten Fakten werfen mitunter nicht nur ein Licht auf die Jugend, sondern auch auf ihre Umwelt.

Aus den Stellungsuntersuchungen des österreichischen Bundesheeres von 1978 geht hervor, daß 55,76 Prozent der jungen Männer j als volltauglich, 27,42 Prozent als ^ teilweise tauglich und 16,22 Prozent als untauglich eingestuft wurden.

Interessant dabei ist das West-Ost-Gefälle: In Tirol (75 Prozent volltauglich!), Salzburg und Vorarlberg wurde niemand (!) als untauglich eingestuft, in Kärnten sind fast 20 Prozent untauglich, in Wien und Niederösterreich über 15 Prozent.

Die Annahme liegt nahe, daß im Westen die Leute nicht gesünder, aber die Stellungskommissionen wesentlich strenger sind.

Dem schwer lesbaren Abschnitt über Jugendkriminalität ist zu entnehmen, daß Vermögensdelikte bei weitem überwiegen. Jugendliche werden relativ oft mit einer Straftat in Verbindung gebracht, aber seltener verurteilt als

Erwachsene. Der Freiheitsentzug als Strafe geht zurück.

Noch interessanter als die auf Statistiken basierenden Teile des Buches sind die Einstellungen der jungen Menschen zu bestimmten Fragen. Eine kleine Auswahl aus den Bereichen Ehe, Familie, Kirche:

• Der Partner soll vor allem „zärtlich" und „absolut treu" sein.

• Wichtigste Voraussetzungen für die Eheschließung sind „gemeinsame Interessen und Ziele" und eip „ausreichendes eigenes Einkommen".

• Der Kirche oder der ÖVP Nahestehende wünschen sich in der Regel mehr Kinder.

• 27 Prozent der Burschen und 36 Prozent der Mädchen geben an, fast jeden Sonntag den Gottesdienst zu besuchen.

• 91 Prozent stehen dem Geschlechtsverkehr Unverheirateter positiver gegenüber, sechs Prozent bedienen sich einer Doppelmoral, und dei Prozent bekennen sich zur Abstinenznorm.

• Inösterreichbejahen55Pro-zent (am meisten im westeuropäischen Vergleich) den Satz: „Die Frau gehört in den Haushalt."

• Ein„harmonischesFamilien-leben" steht deutlich an der Spitze aller Lebensziele.

Die meisten dieser Ergebnisse sind nicht ganz neu, weder die Absage an kirchliche Normen noch an politische Parteien, aber wie diese bestdurchleuchtete Jugend aller Zeiten am besten zu behandeln ist. bleibt ein Problem.

Die Tabellen und klugen Worte des ..Jugendberichtes" wirken jedenfalls seltsam papieren neben den Auszügen aus Aufsätzen von Kindern und Jugendlichen zum Gastarbeiterproblem, die in dem funkelnagelneuen Band „Jugend ohne Zukunft?" zusammengefaßt sind.

Da sprechen die jungen Menschen mit ihren eigenen Worten zu uns, drücken sie in ihrer direkten, vorurteilslosen Art schwer auf unser soziales Gewissen.

Den Herausgebern ist für den Mahnruf zu danken, daß in unserem Land neben der österreichischen eine „andere" Jugend heranwächst (vor allem Jugoslawen und Türken), der wir viel zuwenig Chancen geben. Die Jungen erteilen uns in diesem Buch eine verdiente Lehre.

JUGEND zu BEGINN DER ACHTZIGER JAHHE - österreichischer Jugendbericht 1. - Hg. vom Osterreichischen Institut für Jugendkunde. Jugend Volk. Wien-München 1981. 224 Seiten. öS 278.-.

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